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Von Königgrätz bis Córdoba, vom Krieg um Schleswig bis zu Numerus-clausus-Flüchtlingen und Ossi-Kellnern: eine kleine kulturhistorische deutsch-österreichische Erkundungsreise.

Der deutsche Papst lächelte vor einiger Zeit gütig von Wiener Plakaten, segnend. Darunter stand: "Er ist ein Piefke. Deshalb: Kirchenaustritt!“ Im EU-Parlament sprach vor einiger Zeit ein deutscher Abgeordneter; da ertönte es lautstark aus dem Plenum: "Halt die Klappe, arroganter Piefke!“ Die Dolmetscher waren ratlos bei der Übersetzung in die Amtssprachen der Gemeinschaft. 1937 hörte der britische Geheimdienst in London einen österreichischen Diplomaten laut fluchen: "Das war wieder der verdammte Piefke in Berlin!“ - worauf der Secret Service Ihrer Majestät in Berlin verdeckt zu ermitteln begann. Ohne Erfolg. Es gab einfach zu viele Piefke.

Gegenwärtig finden sich in den deutschen Telefonbüchern 142 Piefke, die meisten in Berlin und Brandenburg, 39, immerhin noch 13 in Bayern. Der Name war vor dem Krieg vor allem im deutsch-polnischen Sprachosmosegebiet häufig, in Schlesien und Pommern. Mit der Vertreibung ist er nach Westen gekommen. Er ist polnischen Ursprungs: "piwo“ heißt "Bier“, "piwko“ "Bierchen“, irgendwie typisch für Deutsche.

Und die schlagen heutzutage naturgemäß gegen die Piefke-Lästerer in Österreich zurück: "Ösis, Dösis, Wiener Würstchen, Klagenfurz“ etc. Sprachlicher Bruderkrieg. Da muss auch "Córdoba“ immer wieder herhalten. Schließlich gibt es in Wien sogar einen Córdoba-Platz (am Anfang einer Sackgasse). Die deutschen Fußballfans indes haben das österreichische "Wunderteam“ der Vorkriegszeit vergessen (6:0 in Berlin, 5:0 in Wien 1931 für die Österreicher). Piefke-Saga also allerorten im Lande Austria, von dem der Berliner Bustourist sagt: " Is ja janz jut un schön, aber imma, wenn man wat sehn wollte, war’n Berch dazwischen.“

Karikatur des Spießers

Allein, es gab den Piefke lange vor dem deutschen Touristen (dem Lande unentbehrlich), es gab ihn literarisch und aus Fleisch und Blut. Wer sich darüber amüsant und durchaus gelehrt zugleich informieren will, der ist mit Hubertus Godeysens "Piefke. Kulturgeschichte einer Beschimpfung“ bestens bedient (der Autorname ist Pseudonym eines Ex-Diplomaten und weiland Bundeswehroffiziers). Seine Arbeit entstand nach Vorstudien des Wiener FAZ-Korrespondenten Reinhard Olt, des Wiener Germanisten Anton Karl Mally und bescheidener Schriften des Rezensenten.

Zunächst war "Piefke“ der typisch berlinische Name einiger komischer Figuren in humoristischen Zeitschriften und Theaterstücken im Spree-Athen und im Wien des 19. Jahrhunderts, die Karikatur eines - gelegentlich gegen die Obrigkeit rebellischen - kleinbürgerlichen Spießers, bekannt gemacht vor allem durch den vielschreibenden Satiriker Adolf Glaßbrenner.

In der Anschluss-Zeit war in der Ostmark (Godeysen weiß offenbar nicht, dass die Bezeichnung eine Wiederbelebung der "Marchia orientalis“ Karls des Großen war; in aller Unschuld gibt es in Wien-Floridsdorf eine Ostmark-Gasse …), der Gebrauch des Wortes als Beleidigung strafbar; der Strafrahmen reichte von 70 Reichsmark Geldbuße bis zu sieben Monaten Gefängnis.

"Das sind ja Räuber und Diebe“

Am schlimmsten aber erging es den Piefke kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als offener Hass gegen die "Piefkebagasch“ ausbrach. 246.000 Reichsdeutsche wurden sofort ausgewiesen, etliche innerhalb 48 Stunden mit nur 30 Kilo Gepäck. Ihr Eigentum wurde beschlagnahmt. Lebensmittelmarken für die Zurückgebliebenen gab es nicht, ihre Wohnungen wurden fristlos gekündigt, nicht wenige auf offener Straße angespuckt. "Piefke-rein“, meldete mancher Wiener Hauswart seinen Gemeindebau, das "judenrein“ war noch nicht lange verklungen. 1955 lebten noch 19.000 Deutsche in Österreich von rund 600.000 1938. Bis 1957 herrschte Pass- und Visumzwang für Deutsche. Das ist alles gnädig vergessen wie die große Enteignung deutschen Vermögens in Österreich 1955, die den deutschen Botschafter in ein fassungsloses "das sind ja Räuber und Diebe“ ausbrechen ließ. Heute leben etwa 200.000 Deutsche im Alpen- und Donaustaat, sie stellen nun die größte "Migrantengruppe“, weit vor Ex-Jugoslawen (wenn man sie nach Nationalitäten getrennt zählt) und den Türken. Als "richtige Ausländer“ gelten die Deutschen aber nicht, sondern eben als Piefke. Doch der Ösi freut sich: Heute muss ihn der Kellner aus Leipzig bedienen.

War der Piefke also zunächst eine "Comic“-Figur, dann eine Metapher für alles Laute, Arrogante, Preußische, eben für Pickelhaube und Stahlhelm und dann Braunhemd, so ist er es eben heute für den Touristen oder "Gastarbeiter“, wie der Österreicher noch immer sagt. Die Koseform, beliebt bei Studenten, die die Numerus-clausus-Flüchtlinge vehement ablehnen, ist immerhin "Scheipi“, "Scheißpiefke“. Allerdings hat der Wiener Oberbürgermeister Zilk am 3. Oktober 1990 aus Sympathie, Mitfreude und Solidarität am Wiener Rathaus Schwarz-Rot-Gold aufziehen lassen. Wiener Jungsozialisten, die sich beschwerten, beschied er knapp: "Lernt’s Geschichte, Burschen.“ Dafür bekam Österreich dann zum Dank im Jahr 2000 massive Sanktionen auch aus Berlin.

Einige Jahrzehnte lang wusste man aber in Deutschland und Österreich genau: Piefke lebt. Es gibt ihn aus Fleisch und Blut: Johann Gottfried Piefke wurde am 9. September 1815 im Wartheland/Preußen als Sohn eines Organisten geboren, starb einen "sozialverträglichen Tod“ (© Norbert Blüm), nach mehr als 45 Jahren im Dienst als Militärkapellmeister (nie in Pension gegangen) des 1. Brandenburgischen Leibgrenadierregiments König Friedrich Wilhelm III. Nr. 8 in Frankfurt/Oder. Er ist der größte Komponist von Militärmärschen, den Preußen/Deutschland hervorgebracht hat. Seine Musik erklingt bei der Steuben-Parade in New York und auf Schiffen der Bundesmarine vor Somalia oder in Afghanistans Bundeswehrlagern. Der weltbekannte Marsch "Preußens Gloria“ stammt von ihm. Die NVA der DDR durfte ihn nicht spielen. Wohl aber - und da schließt sich der Kreis der österreichischen Piefke-Ablehnung - den Triumphmarsch des Siegers über Österreich vom 3. Juli 1866 in Böhmen, den "Königgrätzer Marsch“.

Und da hat Gottfried Piefke ein wenig in die Weltgeschichte eingegriffen. Zu Mittag des Schlachttages war man auf dem preußischen Feldherrenhügel schon etwas verzagt. Wilhelm I., Bismarck, Moltke warteten angespannt auf das Auftauchen der Verstärkung am Horizont. König Wilhelm sank der Mut. Da marschierte Piefkes Musikcorps nach vorne, und kaum sieht er seinen König auf der Anhöhe, lässt er mit vollster Wucht und Lautstärke das "Heil Dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands …!“ schmettern. Wilhelm lässt Piefke rufen und richtet das Wort an ihn, innerlich gerührt und gestärkt: "Das vergesse ich Ihnen nicht, solange ich lebe.“

Politisch unkorrektes Grazer Gymnasium

Aber Piefke war schon 1864 im gemeinsamen Krieg Preußens und Österreichs gegen Dänemark (um die rechtswidrige Annexion Schleswigs rückgängig zu machen) ein gefeierter Held geworden. Nahe vor den dänischen Düppeler Schanzen kletterte Piefke während des preußischen Sturmangriffs auf die feindseitige Brustwehr und dirigierte im Kugelhagel mit seinem Degen, an dem er die preußische Fahne befestigt hatte, seine 300 Musiker im Laufgraben unter ihm. Ein Grazer Gymnasium trägt den Namen eines Siegesortes (Oeversee) von 1864 - gänzlich unbeanstandet von Political Correctness. Piefke wurde von Kaiser Franz Joseph I. 1865 mit der "Goldenen Verdienstmedaille“ geehrt, er konnte ja noch nichts wissen vom Bruderkrieg ein Jahr später …

Persönlich war der Mann nicht "piefkinesisch“. Er war mutig, tapfer, selbstbewusst, aber bescheiden, freundlich, gänzlich unarrogant, kein Angeber, nicht selbstgefällig. Und - Ironie der Geschichte - durch Einführung des Euphoniums und des Kornetts in die Militärmusik bringt er eine melodische, füllige, "weiche“, wenn man will "österreichische“ Klangfarbe in die Militärmusik hinein. Die Geschichte, er habe in Wien großkotzig dem Interviewer der Neuen Freien Presse auf dessen Frage, wohin man denn das Belegexemplar senden solle, geantwortet: "Mein Juter, schicken’se det ma an Piefke, Europa! Det kommt an“ ist reine Erfindung. Dieser Piefke war nie in Wien.

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