In den Straßen von New York

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Ihre Sujets fand die amerikanische Fotokünstlerin im Alltag und auf der Straße, vor allem in den ärmeren Vierteln ihrer Heimatstadt New York. Die Albertina ehrt Helen Levitt (1913-2009) mit einem Rückblick auf 60 Jahre Kunstschaffen.

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Ihre Sujets fand die amerikanische Fotokünstlerin im Alltag und auf der Straße, vor allem in den ärmeren Vierteln ihrer Heimatstadt New York. Die Albertina ehrt Helen Levitt (1913-2009) mit einem Rückblick auf 60 Jahre Kunstschaffen.

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Es gibt Künstler, die ihr Privatleben offensiv zur Schau stellen, und solche, die es wie einen Schatz hüten. Zur letzteren Kategorie gehört die amerikanische Fotokünstlerin Helen Levitt, 2009 im Alter von 95 Jahren gestorben, der die Albertina nun eine Ausstellung widmet. Die größte und umfassendste, die je gezeigt wurde, wie Direktor Albrecht Schröder bei der Eröffnung betonte. Für all jene, die es noch nicht wissen sollten, wird er nicht müde, sein Mantra bei jeder Gelegenheit zu wiederholen: Wir sind ein Haus der Superlative!

So wenig wir über die Person Levitt wissen, dies wissen wir immerhin: Sie hatte keine Kinder. Vielleicht liegt hier ein Grund dafür, dass sie mit Vorliebe Kinder und Jugendliche ablichtete -diese Fotos machen zwei Drittel ihres gesamten Œuvres aus. Aufgenommen hat sie die ab den 1930er-Jahren vor allem in den ärmeren Vierteln ihrer Heimatstadt New York, in Harlem und der Bronx.

Wir sehen Kinder in ganz unterschiedlichen Situationen: wie sie sich an Halloween verkleiden, wie sie auf der Straße spielen, wie sie sich streiten, wie sie die Treppenstufen vor den Häusern als eine Art Bühne nutzen. Allzu lange liegen diese Aufnahmen noch gar nicht zurück, doch sie zeigen eine uns fremde Welt. Eine Welt, in der die Kinder sich noch auf der Straße aufhielten. Heute ist das nicht mehr möglich, viel zu gefährlich, längst hat das Automobil diesen Ort in Besitz genommen.

Freiheit und Unbekümmertheit

Kinder, eingefangen im Augenblick allergrößter Selbstvergessenheit -wunderbare Momentaufnahmen sind das, welche so in unserer Zeit auch kaum noch gemacht werden könnten. Man stelle sich vor, jemand nähere sich mit seiner Kamera fremden Kindern, umgehend würde er sich doch verdächtig machen, unweigerlich würden ihm finsterste Absichten unterstellt.

Levitt lebte in einer Zeit, in der, was die Arbeit mit der Kamera betrifft, noch größere Freiheit und Unbekümmertheit herrschte. Niemanden musste man um Erlaubnis bitten, bevor man ein Foto von ihm machte. Und das tat Levitt auch nicht. Heimlich fertigte sie 1938 mit ihrem Fotokollegen Walker Evans eine Serie von Passagieren der New Yorker U-Bahn an. Ihre Kamera hielt sie dabei versteckt und betätigte den Auslöser über eine Kabelverbindung. Oder sie benutzte einen Winkelsucher, mit dem sie Aufnahmen ums Eck machen konnte.

Die Gesetzeslage hat sich inzwischen geändert. Das Recht am eigenen Bild lässt diese Arbeitsweise nicht mehr zu. Gute Gründe führten zur Aufwertung des Persönlichkeitsschutzes. Andererseits: Der verdeckten Arbeit von Levitt verdanken wir heute ein wertvolles Dokument: ein authentisches Bild jener Zeit. Die Fahrgäste zeigten, weil sie sich unbeobachtet fühlten, keine Pose, sondern ihr wahres Gesicht.

Einen Zeitraum von nicht weniger als 60 Jahren umfasst das Schaffen der Fotokünstlerin. 1959 wechselt sie von Schwarz-Weiß zu Farbe, was zu einer Akzentverschiebung in der Komposition ihrer Bilder führt. Farbe rückt nun zum dominierenden Gestaltungsmittel auf. Auf einem dieser Bilder sehen wir, wie ein Auto das gleiche leuchtende Rot hat wie die Kleidung seines Besitzers.

Ihre Motive findet Levitt gleichwohl weiterhin im Alltag, draußen, auf der Straße. Sie wird der sogenannten Street Photography zugerechnet, einer Kunstrichtung, die im Übrigen auch einen der Schwerpunkte in der Sammlungstätigkeit der Albertina-Fotoabteilung bildet (Leiter: Walter Moser, der auch diese Ausstellung kuratiert hat). Noch eine Konstante zieht sich durch Levitts Werk: ihre Vorliebe für komische Momente. Hier kauert eine Frau neben einem Auto, dort beugt sich eine andere so vor, dass sie dabei eine Verrenkung der seltsamsten Art vollführt. Denke nicht zu lange nach! Lass dich beim Fotografieren von deiner Intuition leiten! Fotografiere aus dem Bauch heraus! So lautet eine zentrale Botschaft, die ihr Henri Cartier-Bresson, der Gründer der Fotovereinigung Magnum, bei einem Praktikum in New York vermittelte. Es scheint, dass sie sich zeitlebens daran gehalten hat.

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