In den Tiefen des Unterbewußtseins

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Ein reinigender Psychotrip an der Staatsoper: Richard Strauss' "Frau ohne Schatten" erkundet ihre gemarterte Seele.

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Ein reinigender Psychotrip an der Staatsoper: Richard Strauss' "Frau ohne Schatten" erkundet ihre gemarterte Seele.

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Wohl noch nie wurde auf der Bühne der Wiener Staatsoper ein Werk szenisch derart radikal umgedeutet wie Richard Strauss' "Die Frau ohne Schatten", die jüngste Premiere im Haus am Ring. Regisseur Robert Carsen hat sich das Diktum Erwin Ringels, bei diesem Werk handle es sich um eine "psychotherapeutische Oper", zu eigen gemacht und das, was Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal symbolistisch in Form eines Märchens zum Ausdruck gebracht hatten, offen psychoanalytisierend im Stile eines klassischen Psychothrillers erzählt. Was die interessante Idee zu einem großen, ja genialen Regietheater-Wurf macht: Musik und Inszenierung decken sich in völliger Harmonie; denn Hofmannsthals Buch steht ganz unter dem Einfluß der Psychoanalyse und Strauss gilt bekanntlich als Meister darin, nicht nur Denken und Gefühl, sondern auch Unbewußtes in ungeahnter Deutlichkeit zu Gehör zu bringen.

Daß Dirigent Giuseppe Sinopoli auch Doktor der Psychiatrie ist, mag der musikalisch immens ausdifferenzierten Produktion zusätzlich zugute gekommen sein. Weil nämlich die Textverständlichkeit gleich null ist - der einzige handwerkliche Makel einer ansonsten glänzenden Aufführung - stellen neben Carsens klaren szenischen Bildern allein Sinopolis ebenso klare, aus dem vielschichtigen Geflecht von 130 (!) Leitmotiven gewobenen Klangbilder die einzige für den Zuschauer decodierbare Erzählebene dar.

Nur noch die Bezeichnungen der Partien erinnern an das ursprüngliche, romantisch-orientalische Märchen: Die Ehe eines bürgerliches Paares (Deborah Voigt als "Kaiserin" und Johan Botha als "Kaiser") steckt in einer Krise. Eine Nervenärztin (Marjana Lipovsek als "Amme") führt die offenbar unter einer schweren Neurose leidende Frau in die Welt ihrer Träume, die Medizinerin führt sie auf eine halluzinative Reise in ihr Unterbewußtsein. Dort begegnet die "Kaiserin" einer Spiegelung ihres Ego, einem Traumbild ihrer selbst (Gabriele Schnaut als "Färberin"), deren Konflikt mit ihrem Mann (Falk Struckmann als "Färber") ein Spiegelbild ihrer eigenen Ehekrise ist. Doch die Therapie der Ärztin, die in der Aneignung einer fremden, uneigentlichen Identität besteht, erweist sich als Irrweg. Die "Kaiserin" läßt ihre Begleiterin zurück, die - nachdem sie von Sigmund Freud höchstpersönlich (Wolfgang Bankl als "Geisterbote") gemaßregelt wurde - den Geistern all der von ihr falsch behandelten Patienten anheim fällt. Am Ende des Trips löst die "Kaiserin" den sie lähmenden inneren Konflikt alleine, indem sie sich von der fesselnden Bindung zu ihrem toten Vater und damit von den Fesseln der bürgerlichen Gesellschaft befreit. Sie findet zu sich selbst und zurück zu ihrem Mann.

Alle an dieser Produktion Beteiligten verdienen höchstes Lob, auch Direktor Ioan Holender für seinen Mut, bei der Wahl des Regisseurs auf die geistige Erstarrung des erwartungsgemäß wütend buhenden Premierenpublikums keine Rücksicht zu nehmen, das wohl das übliche romantische Märchen erwartete. Auch das hervorragende Bühnenbild von Michael Levine darf nicht unerwähnt bleiben: Im wahrsten Sinne des Wortes schwindlig macht die zentrale Traumszene im zweiten Akt. Aus der Vogelperspektive blickt das Publikum von oben hinab auf die sich im Bett in ihren Angstträumen hin- und herwälzende "Kaiserin". Selbst jemand, der mit Oper nicht viel anfangen kann, würde von der hypnotischen Kraft dieses Bildes und er dazugehörigen monumentalen Klangpracht - und damit von der Aufführung insgesamt - unweigerlich mitgerissen werden.

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