In der Badehose beim Erschießen zuschauen

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Zeitenwende in der NS-Rezeption: Stefan Ruzowitzky untersucht in seinem neuen Film "Das radikal Böse“, wie Soldaten zu Mördern wurden.

* Das Gespräch führte Matthias Greuling

Welches Gesicht hat eigentlich das Böse? Grimmig dreinschauende Männer? Oder können sie auch lachen? Für Stefan Ruzowitzky ist das Böse vielgestaltig. In seinem Film "Das radikal Böse“ untersucht der Oscar-Preisträger auf Basis von Tagebüchern und Gerichtsakten, wie Soldaten der Deutschen Wehrmacht zu skrupellosen Mördern werden konnten, als sie durch Europas Osten zogen und dabei Hunderttausende vorwiegend jüdische Zivilisten ermordeten - scheinbar ohne Reue und Gewissen: Viele Soldaten, die Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen ermordet hatten, rechtfertigten sich später vor Gericht, nur Befehle ausgeführt zu haben; aber den Zwang, Zivilisten zu erschießen, gab es nicht, im Gegenteil: Wer bei den Morden mitmachte, bekam "Belohnungen“ wie etwa Beförderungen oder mehr Freizeit.

Die Furche: Herr Ruzowitzky, wird der Holocaust je überwunden werden - zumindest durch immer größeren zeitlichen Abstand?

Stefan Ruzowitzky: Er wird und muss überwunden werden. In meiner Jugend saß die Tätergeneration von einst noch an den Schalthebeln der Macht, das waren die Spitzen der Gesellschaft. Die Kunst hatte damals auch die Aufgabe, diese Generation mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren. Aber das ist heute nicht mehr so. Weil es die Täter physisch de facto nicht mehr gibt, wird es dadurch möglich und auch notwendig, anders an das Thema heranzugehen.

Die Furche: Ereignisse aus der Sicht der Täter zu schildern, so wie Sie das tun, ist relativ neu. Ist das auch ein Wagnis, weil sich Menschen so auch rechtfertigen können?

Ruzowitzky: Ja, das ist ein Wagnis. Aber wiederum hängt das sehr damit zusammen, dass die Täter nicht mehr am Leben sind. Wenn ich Täter psychologisch analysiere, kann das immer missverstanden werden als eine Art von Entschuldigung. Und es ist tatsächlich unerträglich, wenn die Täter selbst mit solchen Argumenten kommen. Deshalb war die Relativierung des Holocaust auch immer ein Tabu, weil es eben die Täter selbst waren, die sagten: "Ja, wir haben einen Völkermord begangen, aber seht euch Stalin an, der hat noch viel mehr Menschen umgebracht!“ Das geht natürlich nicht. Hingegen müssen die Geschichtsforschung und die Sozialwissenschaften zu einem gewissen Grad vergleichen und einen Kontext herstellen, um herauszufinden, welche wiederkehrenden Muster es bei Genoziden gibt.

Die Furche: Aufnahmen der Massenerschießungen gibt es kaum. Der Film zeigt nur eine.

Ruzowitzky: Das ist, soviel ich weiß, die einzige Aufnahme dieser Art, zumindest die einzig offiziell publizierte. Im Hintergrund sieht man Hunderte von Zuschauern, die sich diese Morde angesehen haben. In einem der Texte der Soldaten kommt das auch vor: Dass man da nachmittags in der Badehose hingegangen ist und sich zum Vergnügen diese Erschießungen angesehen hat. Weil das etwas Spektakuläres war, das man sonst nicht zu sehen bekam. Das trug dazu bei, dass viele Soldaten diese Tötungen als legitim empfanden: Wenn etwas bei helllichtem Tage, mitten im Sommer vor hunderten Zuschauern stattfindet, dann kann das ja nicht so falsch sein.

Die Furche: Bei den meisten Statements der Soldaten hat man den Eindruck, dass die sehr wohl wissen, dass sie etwas Falsches tun, wenn Sie Zivilisten erschießen.

Ruzowitzky: Diesen Eindruck hatte ich auch. Die Grundhaltung war, dass es "eine schreckliche Arbeit ist, die wir da verrichten müssen. Das wünscht man sich nicht, aber es muss halt sein“. Auch das Regime verhält sich auffällig: Die Erschießungen passieren zwar am helllichten Tag, aber niemals in Deutschland, das war ihnen zu gefährlich. Man hat viele deutsche Juden in den Osten geschickt und sie dann dort erschossen: ein propagandistischer Balanceakt des Nazi-Regimes.

Die Furche: Gehen Filmemacher heute anders mit dieser Zeit um als früher?

Ruzowitzky: Was zeitgeschichtliche Dokus betrifft, findet eine Zeitenwende statt. Bisher waren die zwei Säulen Zeitzeugeninterviews und Archivmaterial. Zeitzeugen gibt es praktisch keine mehr, und wenn, dann sind das sehr alte Menschen, die damals sehr jung waren. Nach 70 dazwischenliegenden Jahren können solche Zeugen oft nicht mehr auseinanderhalten, was sie wirklich selbst erlebt, und was sie gelesen und in Filmen gesehen haben.

Die Furche: Trägt Österreich für Sie noch immer eine Art "kollektiver Erbschuld“?

Ruzowitzky: Bei der Rezeption des diesjährigen Chemie-Nobelpreisträgers Martin Karplus, der 1938 aus Wien vertrieben wurde, schlich sich wieder eine seltsame Scham ein. Es hieß, wir Österreicher hätten Karplus damals verjagt, aber das stimmt so nicht: Es waren unsere Großeltern, die ihn verjagt haben, nicht wir. Die waren die Verbrecher. Es ist Verantwortung genug, dass wir die Erben der Täter sind, und uns etwa jetzt aktuell mit Restitutionsfragen auseinandersetzen, aber wir sind nicht mehr die Täter. Wir sind nicht die Tätergesellschaft, sondern wir sind die Erben dieser Gesellschaft. Ich finde es falsch, dass wir das bis heute nicht begriffen haben, aber es hat wahrscheinlich mit dem österreichischen Hang zur Selbstgeißelung zu tun, dass wir uns immer noch als die Täter hochstilisieren. Sind wir nicht mehr. Die Täter sind tot, gottseidank, diese Generation gibt es nicht mehr, und jetzt kann man ehrlich, aufrecht und analytisch damit umgehen.

Die Furche: Haben Sie sich gefragt, wie Sie reagiert hätten, wenn Sie als Soldat in Osteuropa stationiert gewesen wären?

Ruzowitzky: Für mich ist es gut nachvollziehbar, wie die Menschen damals in diese Sache hineingeraten sind, wie die Anfänge, die ersten Schritte dahin passiert sind. Man ist in einer Gruppe, in der man nicht nach moralisch-ethischen Grundsätzen handelt, sondern als Mitläufer dabei ist, der nicht blöd auffallen will. Man will kein Kameradschaftsschwein sein. Diese ganzen kleinlichen Gründe, die einem in der Situation wichtiger sind, als eine mutige, moralische Entscheidung zu treffen. Da stehe ich sicherlich nicht drüber, gerade in so einer Situation. Aber wo das dann hinführt, gerade, was zum Beispiel das Töten von Kindern betrifft, ist schwer nachvollziehbar. Ab dem Moment, ab dem ich selbst Kinder hatte, hatte ich etwa Probleme damit, mir Filmszenen anzusehen, in denen Kinder getötet werden. Weil ich da zu nahe dran bin, und es die ultimative Horrorvorstellung ist, dass deinen Kindern etwas passiert. Damals waren die Täter oft liebende Väter, die nach Hause schreiben, dass ihnen ihre eigenen Kinder so unglaublich wichtig sind und sie gerade deshalb jetzt die Kinder hier erschießen. Da schießt ein Soldat aus zwei Meter Entfernung einem Kleinkind eine Kugel in den Kopf - das ist etwas, wo ich nicht mehr mitkomme und wo für mich auch psychologische Modelle versagen.

Die Furche: Noch dazu, wo keiner der Soldaten tatsächlich gezwungen wurde, bei den Erschießungen mitzumachen …

Ruzowitzky: Richtig. Das ist womöglich der schrecklichste Teil dieser Geschichte: Die Verweigerer berichteten, dass sie eine Rüge bekamen, und einer hatte das Gefühl, er wäre bei einer Beförderung übergangen worden oder bekam weniger Freizeit. Das war der Preis, den man dafür zahlen musste, nicht täglich Frauen und Kinder zu erschießen. Das ist nicht mehr fassbar.

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