"In der Stadt, der revolutionären ..."

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Es freut den Autor dieser Zeilen -auch aus familiären Gründen -, wenn Übersetzungen aus dem Jiddischen erscheinen. Die jüngste Übersetzung ist wahrscheinlich der "kleine Roman" "Montag" von Moyshe Kulbak (1896-1937). Kulbak wurde in Smorgon geboren, damals Gouvernement Wilna des Russischen Reiches (heute Grodno-Gebiet in Weißrußland), ging auf eine staatliche jüdisch-russische Schule, studierte dann an drei verschiedenen Jeschiwot, arbeitete als Lehrer in einem Waisenhaus. Nach der Revolution begann für ihn das Wanderleben: von Minsk nach Wilna, dann nach Berlin. 1923 kehrte er nach Wilna, 1928 in die Sowjetunion, nach Minsk, zurück. Der Staatsantisemitismus in Litauen und vor allem in Polen (ganz zu schweigen vom schwierigen Leben der "Ostjuden" in Deutschland, die nicht nur von den Deutschen angefeindet wurden, sondern auch von den "deutschen Juden", die ein Anwachsen des Judenhasses wegen dieser "wilden Uneuropäer" fürchteten) machte die UdSSR zu einem Zufluchtsort. Das Jiddische war eine der Staatssprachen in Weißrußland und wurde auf vielen Wegen gefördert -durch jiddische Theater, Verlage, Zeitungen und Zeitschriften. Kulbak begann, sehr aktiv an diesem regen kulturellen Leben teilzunehmen. 1937 wurde er verhaftet und hingerichtet -ein Schicksal, das er mit vielen Schriftstellern und Nicht-Schriftstellern, mit vielen Juden und Nicht-Juden teilte.

Ruhige und distanzierte Erzählweise

Kulbak war ein Lyriker und in dieser Eigenschaft sehr populär. "Sterndl" ("Sternchen", 1916), das erste von ihm veröffentlichte Gedicht, wurde sofort zu einem Volkslied. Seine Gedichte brauchen einen würdigen Nachdichter mit feinem musikalischen Gehör, weil sie dem Volksmelos der Juden Weißrußlands und Litauens, der sogenannten "Litwaken", nahestehen. Mit der Prosa sieht es etwas anders aus -man braucht für sie Jiddisch-Kenntnisse und eine elementare Vorstellung vom Leben der Juden (und anderer Völker) Osteuropas.

"Montag" ist 1926 erschienen und schildert in expressionistischer Manier die Revolutionszeit in einer Kleinstadt. Man liest die in der Edition FotoTapeta erschienene Übersetzung von Sophie Lichtenstein gern, fühlt sich in einen sicheren Rhythmus hineingeschaukelt. Weniger glücklich ist man mit dem Nachwort der Übersetzerin. Darin gibt es nicht ganz richtige Behauptungen, zum Beispiel: "... die Wiedereinführung der Quoten" - in den 20er-Jahren! Selbstverständlich gab es in der UdSSR keine Prozentquoten für die Juden im Bildungswesen; das einzige Land, wo zwischen den Weltkriegen solche "Bildungsquoten" existierten (ausgenommen natürlich die prinzipiellen Nicht-Zulassungen im Dritten Reich), war das xenophobe Pilsudski-Polen. Und es wird die "Schließung der Synagogen" falsch in einen antisemitischen Kontext gestellt, das heißt aus der Reihe geschlossener Kirchen, Moscheen und buddhistischer Tempel herausgerissen.

"In der Stadt, der revolutionären, lebte ein Lehrer für Hebräisch, der ein ruhiger Mensch war -Mordkhe Markus" - so beginnt der Roman, der selbst ruhig und etwas distanziert in seiner Erzählweise ist. Das bringt die jüdische und russische Geschichte zum Sprechen.

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