In die Luft gesprengt

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Geteilte Zuschauerreaktionen bei der „Csárdásfürstin“ an der Grazer Oper: Regisseur Peter Konwitschny lässt Peter Kálmáns Operette im Schützengraben zwischen abgetrennten Gliedmaßen und Mozartkugeln spielen.

Als neue Sicht auf das Genre Operette wird in der Grazer Oper ausgegeben, was Peter Konwitschny 1999 aus Emmerich Kalmans „Csárdásfürstin“ zu einem Dresdener Skandal inszenierte.

Heiter beginnt die Produktion mit einem unfreiwillig komischen Insert auf der Übertitelungsschiene: „Die Steiermärkische Sparkasse als Hauptsponsor wünscht eine schöne Vorstellung.“ Der erste Akt hebt auch schön an. So elegant wie Johannes Leiackers Budapester „Orpheum“-Plüsch sind Operettenszenerien nicht alle Tage. Sylva Varescu gibt ihre Abschiedsvorstellung und schenkt ihren Anbetern in einem teilweisen Striptease ihr prächtiges Folklorekostüm. Die Herrengarde im Frack fällt auf die Knie.

Belustigender Handgranatenwurf

Doch es ist 1915. Und der im historischen Materialismus nicht mehr ganz firme Regisseur aus der DDR will das Publikum glauben machen, dass serbische (?) oder russische (?) Kanonen das schöne Varieté niederkartätschen. Beim Schauplatzwechsel ins Wiener Palais Lippert-Weylersheim sollen die Zuschauer akzeptieren, dass Fürst Leopold Maria und seine Fürstin Schützengräben ausheben, kriegsverpflichtet Uniform, Stahlhelm und Gasmaske tragen, weil auch Wien beschossen wird. Da darf auch nicht verwundern, wenn der Wurf der ersten Handgranate – sehr zur Belustigung (?) des Publikums in der Grazer Oper – den Erfolg hat, dass abgetrennte menschliche Unterschenkel und Arme durch die Luft fliegen. Sylva muss auch wieder mit einem kopflosen toten Soldaten tanzen. Als aufgeklärter Österreicher staunt man über Konwitschnys eingeengtes Geschichtsbild, das offenbar den DDR-Schießbefehl und seine tausend Opfer seit 1989 ausgeblendet hat.

Graf Boni Kancsianu darf den ganzen dreistündigen Abend lang Mozartkugeln werfen, manche davon sind Knallbonbons, manche mit Ekligem gefüllt, manche voll Nougat und Marzipan, Mahlzeit! Der Fürst wird später am Abend die geheimnisvolle „Gattin“ Bonis fragen „Darf ich Ihnen meine Gliedmaßensammlung zeigen?“

Zum Tanz auf dem Vulkan findet sich endlich der Varieté-Habitué Feri bacsi mit den „geretteten“ Mädis aus dem Budapester Chantant ein zum makabren Krüppel-Ballett der Einbeinigen, Blinden oder sonstwie Lädierten. Ein Höhepunkt instinktloser Geschmacklosigkeit.

Und so schleppt sich der Totentanz trotz „Tanzen möcht’ ich“ und „Habt euch lieb“ charmelos und witzlos ins utopische Happy-end. Dabei muss man Konwitschny durchaus zugutehalten, dass er minutiöseste Personenregie führt, die handwerklich auf höchstem Niveau anzusiedeln ist. Dass seine Botschaft aber den Fluss der Partitur und die Arbeit des Dirigenten lähmt, ist ihm und nicht dem beflissenen Neuseeländer Tecwyn Evans anzulasten. Als Zuhörer stirbt man mit dem Tenor mehrere atemtechnische Liebestode.

Völlig unnötiger Hitler-look-alike

Gesungen wird dennoch mehr als ordentlich. Als Entdeckung mit viel Schmelz zu werten ist der fesche tschechische Tenor Ladislav Elgr als verliebter Edwin. Stimmlich steht ihm die Ungarin Eva Batori als Sylva Varescu nicht nach. Das Buffo-Paar ist finessenreich mit den Grazern Sieglinde Feldhofer als Komtesse Stasi und Martin Fournier als besonders wortdeutlichem Graf Boni besetzt. Rollendeckend auch das Fürstenpaar (Uschi Plautz, Gerhard Balluch) und der flotte Bonvivantenbuffo Feri (Götz Zemann). Völlig unnötig ist ein von Peter Konwitschny dazu erfundener Hitler-look-alike in Kellner-Montur.

Elf Jahre nach Dresden inszeniert in Graz keiner mehr einen auszujudizierenden „Csárdásfürstin“-Skandal. Die Adorateure und Hagiografen brüllen von einigen teuren Plätzen „Bravo“, geschockte Zuschauer erwidern mit Buh-Chor. Profis wie Staatsoperndirektor Ioan Holender oder Operettenkomiker Franz Suhrada nehmen’s gelassen bis gelangweilt. Steuerzahler und Abonnenten haben ihren „Kostenbeitrag“ sowieso schon für die Chose „gespendet“.

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