In guter jüdisch-christlicher Tradition

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Ernst-Wolfgang Böckenförde, einer der bedeutendsten Staatstheoretiker, Juristen und Rechtsphilosophen Deutschlands, wird 80 Jahre alt.

Im März 1963 begegnete ich in einem katholischen Bildungshaus in Münster zum ersten Mal drei hochinteressanten, damals jungen Wissenschaftern, die in den nächsten fast 50 Jahren wachsende Bedeutung erhielten: Hans Maier, dem späteren bayerischen Kultusminister, dem Historiker Heinz Hürten und Ernst-Wolfgang Böckenförde, der am 19. September 80 Jahre alt wird. Diese Begegnung fand auf dem Höhepunkt des II. Vatikanums in der damit verbundenen Aufbruchsstimmung statt, nur wenige Wochen vor dem Tod Papst Johannes XXIII. Die Diskussionen kreisten in erasmischem Geist um Religionsfreiheit, Toleranz, um Aufklärung und Freiheit überhaupt. Die uns beschäftigenden wissenschaftlichen Koryphäen lebten damals noch (Rudolf Smend, Hermann Heller, Franz Schnabel, der umstrittene Carl Schmitt, überall war der freilich schon verstorbene Max Weber gegenwärtig, und, für mich in Österreich prägend, Hans Kelsen und mein Lehrer Gustav E. Kafka).

Jurist und Historiker von Graden

Ernst-Wolfgang Böckenförde wurde 1930 in Kassel als Sohn eines Oberforstmeisters geboren. Er hatte sieben Geschwister. Böckenförde erwarb ein Doktorat der Rechtswissenschaften in Münster (1956) und eines der Philosophie (Geschichte) in München (1961). Seine Habilitation erfolgte 1964. Ernst-Wolfgang Böckenförde war Professor in Heidelberg (1964#69), Bielefeld (1969#77) und in Freiburg/Br. (1977 bis zu seiner Emeritierung 1995). Als Sozialdemokrat war er 1971#76 Mitglied der Enquête-Kommission #Verfassungsreform# des deutschen Bundestages und 1983#96 Mitglied des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.

Böckenförde ist Jurist und Historiker von Graden. Seine fachlichen Schwerpunkte sind Grundrechtstheorie, Methodologie der Verfassungsinterpretation, die Sorge um Menschenwürde und Bioethik, Verfassungsgeschichte, europäische Einigung, das Verhältnis von Religion und Staat sowie die Säkularisierung des Staates seit dem Investiturstreit. Seine Auffassungen zu Europa und Demokratie sind nicht unumstritten. Böckenfördes stets auch historischer Ansatz bei der Untersuchung der aktuellen Erscheinungsformen und Ordnungsprobleme des Staates in ihrer Geschichtlichkeit unterscheidet ihn von der in Österreich doch vorherrschenden Strukturtheorie der Reinen Rechtslehre Hans Kelsens. Besonders große Bedeutung misst Böckenförde, wie seine Generationsangehörigen überhaupt, dem Zweiten Vatikanischen Konzil und hier gerade auch der Deklaration über die Religionsfreiheit vom 7. Dezember 1965 bei. Er spricht einmal von der #Reinigung des Glaubens durch die Vernunft der Aufklärung#. Die Legitimation des Staates von den Menschenrechten her und eine säkularisierte Trennungsform ohne Polis-Kult und zwingende #Zivilreligion# bringen ihn zu einer großzügigen Haltung in einer offenen Ordnung, die freilich auch ihre Grenzen hat, etwa in den Fragen des Fundamentalismus.

Schon 1964 prägte er den berühmten Satz, der ihm weithin Bekanntheit verschaffte: #Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots, zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und # auf säkularisierter Ebene # in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.#

Ralf Dahrendorf hat diese Formulierung das #Böckenförde-Paradox# genannt. Auch der moderne Staat und seine Rechtsordnung leben # Böckenförde hat dies 2006 zu seiner großen Sorge gemacht # von vormodernen Wurzeln und Vorräten, die sich freilich immer mehr aufzehren, die gebraucht und verbraucht werden, ohne dass der Staat sie produzieren könne. Sie werden von anderen gesellschaftlichen Kräften aus dem Bereich der Kultur, der Familie, den Vereinen und den Religionsgemeinschaften zur #Verfügung# gestellt. Gerade die Selbstsäkularisierung von Christen, das Schwinden des jüdisch-christlichen Erbes als in der Kultur tragende Traditionen verdünnen sich durch eine Entkräftigung der moralisch gebundenen Bausteine.

Große Spannweite

Die diagnostische Kraft Böckenfördes wurde in Österreich nie in ihrer ganzen Breite rezipiert, sein oben erwähntes Diktum jedoch durchaus. 1978 wies er in der Frage der Regierbarkeit darauf hin, dass Regierungsmehrheit und Opposition den Mut zu Entscheidungen haben müssen. Sie haben ihn jedoch oft nicht, #weil ja der Ausgang nicht gewiss ist#. Die Bereitschaft der Aktivbürger, #auch sogenannte unpopuläre Fragen positiv zu beantworten, sofern sie glaubwürdig gestellt werden, ist größer als die Regierenden es zu ihrer eigenen Selbstentlastung haben wollen#.

Ist das nicht auch für Österreich heute formuliert? Jedenfalls zeigt die Beschäftigung mit Ernst-Wolfgang Böckenförde, dass er ein Wissenschafter von großer Spannweite ist und es nicht verdient, auf ein wenn auch noch so prominentes Wort eingeengt zu werden.

* Der Autor ist em. Professor für Öffentliches Recht an der Uni Graz

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