In jedem Provinznest ein Orchester

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Wien modern, Festival für Neue Musik, begibt sich heuer auf die Reise zu den Rändern Europas.

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Wien modern, Festival für Neue Musik, begibt sich heuer auf die Reise zu den Rändern Europas.

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Leicht tut sich die Neue Musik nach wie vor nicht," bedauert Christoph Lieben-Seutter, der Generalsekretär der Wiener Konzerthausgesellschaft. Von finnischen und skandinavischen Verhältnissen kann man hierzulande nur träumen. Dort, am Rand Europas, boomt die Moderne Musik. "Jedes Provinznest hat sein eigenes Orchester," schwärmt Lieben-Seutter. So kann es passieren, daß ein kleiner Ort zum Mekka der Kammermusikfreunde wird, die ihn schnell als Geheimtip handeln und weltweit anreisen. Doch Finnen sind nicht genetisch musikalischer als andere. Seit den späten sechziger Jahren wurden sie flächendeckend musikalisch erzogen. Musikunterricht findet auf breiter Basis in Volks-und Hauptschulen statt.

"Meine Generation - ich bin Jahrgang 1958 - ist die erste, die die Früchte dieses Systems genießt. Es hat nicht nur eine Reihe professioneller Musiker hervorgebracht, sondern auch ein Publikum heranwachsen lassen, das über ein hohes musikalisches Allgemeinwissen verfügt und daher der zeitgenössischen Musik gegenüber sehr aufgeschlossen ist," meint der finnische Komponist und Dirigent Esa-Pekka Salonen im "Standard".

Er wird mit dem Symphonieorchester des Schwedischen Rundfunks einen fulminanten Schlußpunkt unter "Wien Modern" setzen. Unter anderem mit Eigenkompositionen und Magnus Lindberg.

Vielversprechend hört sich auch ein Video des finnischen Akkordeonkünstlers Kimmo Pohjonen im Wiener Veranstaltungsort WUK an. Ein kurzgeschorener Mann in Lederhose verlangt sich selbst und seinem Instrument das Letzte ab. Umspielt von roten, blauen und gelben Lichtprojektionen wiegt er sich im Schein mehrerer Scheinwerfer harmonisch im Klang sanfter Töne, um dann abrupt zur völligen Extase zu wechseln. Wenn er das Akkordeon von der Schulter schnallt, sich auf den Boden wirft und liebevoll die Rundungen des Instrumentes streichelt, um blitzartig hochzuhechten, die Stimmung von Farbe und Klang zu wechseln, es fächerartig schützend über die zuckenden Beine zu breiten, erreicht der Act dramatische Dimensionen. Spätestens damit wird klar: dieser Mann vereint Phantasie mit musikalischem Können und höchstem Körpereinsatz. Auch die Liebe der Finnen zum Tango, der dort gepflegt wird, wie sonst nirgendwo, klingt an.

Auch das Odeon und das Kunstforum der Bank Austria stehen neben Konzerthaus und Musikverein als Schauplätze zur Verfügung. Man tut viel für die Moderne Musik: Exklusive Spielorte, ein buntes, EU-Vorsitzgemäßes Programm, hochkarätige Musiker aus Skandinavien über Rußland bis Griechenland sind noch nicht alles. Subventionen der Stadt Wien in der Höhe von 9 Millionen Schilling und des Bundes, der 1,2 Millionen zuschießt, bieten dem Publikum einen wahren Dumpingpreis: 850 Schilling kostet der Generalpaß für etwa vierzig hochkarätig besetzte Konzerte. Die Lust der Wiener auf moderne Klangwelten braucht kräftige Unterstützung - Wien ist eben anders. Es liegt nicht an den Rändern, sondern in der Mitte Europas, und sollte einmal, musikalisch gesehen, Helsinki werden.

Informationen: (01) 712 12 11

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