„In jeder Situation kann man etwas tun“

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Sie wollte nach Indien – und blieb in Pakistan hängen: Fast 50 Jahre kämpft die Ordensfrau Ruth Pfau nicht nur gegen die Lepra. Eine Hommage zum 80er.

„Ich sollte bei ihnen sein“, sagte Ruth Pfau bei ihrem letzten Besuch in Wien im vergangenen Mai und meinte die Hundertausenden Menschen im pakistanischen Swat-Tal, die aus Angst vor den Taliban und der Offensive der pakistanischen Regierung geflohen waren.

Seit 1960 lebt und arbeitet die aus Ostdeutschland stammende Ärztin und Ordensfrau Ruth Pfau in Pakistan. Seit damals kämpft sie gegen die Lepra, den Aussatz, und die damit verbundene gesellschaftliche Ächtung und Isolation. Im Swat-Tal im Nordwesten Pakistans hat sie vor bald 50 Jahren mit ihrem Einsatz begonnen. Mittlerweile betreibt Ruth Pfau mit ihren einheimischen Mitarbeitern allein im Swat-Tal im Hindukusch mit seinen bis zu siebeneinhalbtausend Metern hohen Berggipfeln 34 Stationen. Wann immer sie von einem oder einer Patientin gehört hat, der/die von der Familie verstoßen wird, hat sie sich auf den Weg gemacht, mit klapprigen Jeeps, auf unwegsamen Pisten, oft genug durch umkämpfte Stammesgebiete, manchmal versperrte ihr sogar eine vorgehaltene Kalaschnikow den Weg.

„In jeder Situation kann man irgendetwas tun“, ist das Credo der jetzt 80-jährigen Ruth Pfau. Und „unmöglich“ ist ein Wort, das sie nicht akzeptiert und das in ihrem Wortschatz nicht vorkommt.

Von Ostdeutschland nach Pakistan

In den letzten knapp 50 Jahren hat sie zuerst ein Lepra-Krankenhaus in der pakistanischen Hafenstadt Karachi gebaut, dann nach und nach in ganz Pakistan Lepra-Stationen aufgebaut. Ruth Pfau hat ein Heer von einheimischen Mitarbeitern eingeschult und ihre Arbeit immer in einheimische Hände weitergegeben, „falls ich einmal rausgeschmissen werde“.

Denn Ruth Pfau ist eine europäische, katholische Ordensfrau.

Geboren wurde Ruth Pfau am 9. September 1929 in Leipzig und wuchs dort in einer jüdischen Familie auf. Mit 19 Jahren ging sie in den Westen. In Mainz studierte sie Medizin. In dieser Zeit entdeckte sie den christlichen Glauben für sich. Im Jahr 1951 ließ sich Ruth Pfau taufen und wurde Mitglied der evangelischen Kirche. Bereits zwei Jahre später konvertierte sie zum Katholizismus. 1957 trat sie in die „Gesellschaft der Töchter vom Herzen Mariä“ ein, einem Frauenorden, der während der Französischen Revolution gegründet wurde. Es gibt kein klösterliches Leben, die Ordensmitglieder tragen keine Tracht und sie arbeiten in den unterschiedlichsten Berufen. „Ich bete mein Leben“, hat Ruth Pfau einmal gesagt, als man sie auf ihre Gebetszeiten ansprach und meinte damit ihren unermüdlichen Einsatz für alle, die ihrer Hilfe bedürfen – viele Stunden am Tag. 1960 ließ sich die fertig ausgebildete Ärztin von ihrem Orden nach Indien schicken. Visaprobleme zwangen damals die junge Ordensfrau und Ärztin aus Deutschland zu einem Zwischenstop in der pakistanischen Millionenstadt Karachi. Dort begegnete sie in einem der Elendsviertel zum ersten Mal leprakranken Menschen, Aussätzigen. Bis heute ist Karachi das Zentrum ihrer Arbeit geblieben.

Lepraarbeit auch in Afghanistan

Vor einigen Jahren hat Ruth Pfau die Lepraarbeit – zunächst illegal – auch auf Afghanistan ausgeweitet. In den vergangenen Jahren kamen die Bekämpfung von Tuberkulose, von Augenkrankheiten und Impf-Aktionen in entlegenen Gebieten dazu. „Wenn die Menschen nicht zu einem Arzt gehen können, dann muss der Arzt eben zu ihnen kommen“, sagt sie. Zusätzlich setzt sie sich für ein menschenwürdiges Leben der hinduistischen Minderheit in Pakistan ein. Und Ruth Pfau und ihre einheimischen Helfer kümmern sich außerdem nach Möglichkeit um die zahllosen afghanischen Flüchtlinge in Karachi. Finanziert werden alle Hilfsprojekte durch Spenden. Im vergangenen Herbst wurde Ruth Pfau ein Herzschrittmacher eingesetzt. Seither muss sie leisertreten.

Pakistan und Afghanistan haben seit Jahrzehnten mit großen Problemen zu kämpfen: mit Kriegen und Bürgerkrieg, einer hohen Kindersterblichkeit, Unterernährung, Analphabetismus. Afghanistan gilt als das Land mit der höchsten Rate an Witwen und Waisen und als das am stärksten verminte Land der Welt. „Ein riesiges Problem ist auch der wachsende religiöse Extremismus in der Islamischen Republik Pakistan“, sagte Ruth Pfau besorgt bei ihrem letzten Besuch in Wien. Sobald sie die Worte „Taliban“ und „Amis“ ausspricht, wird ihre sonst so leise und sanfte Stimme laut und ihre Augen beginnen zu blitzen.

„Zweite Mutter Teresa“

In den fast 50 Jahren seit ihrer Ankunft in Pakistan hat Ruth Pfau unendlich viel Leid erlebt. „Natürlich habe ich ab und zu das Gefühl: ‚Jetzt reicht’s! Warum gehen wir nicht nach Hause?‘ Aber einfach aufgeben und weglaufen geht ja auch nicht“, sagt die aus Leipzig stammende Ärztin und Ordensfrau mit den schneeweiß gewordenen Haaren. „Ich habe aber im Lauf der Jahre und nach oftmaligem Hadern mit Gott aufgehört, nach dem ‚Warum‘ des Leids zu fragen“, sagt die 80-Jährige mit einem Lächeln. Irgendwann, am Ende ihres Lebens, würde sie alle Fragen stellen und die Antworten erfahren können.

Ruth Pfau, die katholische Ordensfrau aus Deutschland, hat im vom Islam stark geprägten Pakistan seit 1980 den Rang einer Staatssekretärin. „Ich mische mich prinzipiell nicht in die Politik ein“, sagt sie und fügt schmunzelnd hinzu: „Ich mache meine Arbeit; aber durch meine Mitarbeiter habe ich oft Informationen, die die in Karachi nicht haben.“

„Zweite Mutter Teresa“ wird sie manchmal genannt. Für ihr Engagement wurde Ruth Pfau für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen und mit einem der höchsten Orden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Sie wurde zur Ehrenbürgerin der Islamischen Republik Pakistan ernannt und erhielt zahlreiche weitere Auszeichnungen – darunter den Albert Schweitzer-Preis und den Marion Dönhoff-Preis.

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