In keinem Lager ist Österreich

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Das Land wehrt sich zurecht gegen Negativ-Klischees. Doch was fehlt, ist eine positive Vision, die sich dem entgegensetzen ließe. Hier hat die Politik weitgehend versagt.

Den vielen Klischees, die mit Österreich verbunden sind, ließe sich ein weiteres hinzufügen: jenes des Österreich-Korrespondenten; also eines in Wien stationierten Journalisten, der für ein ausländisches Medium über Land und Leute berichtet. Wesentliches Merkmal des Österreich-Korrespondenten wäre dann – dem Klischee nach –, dass er über Österreich hauptsächlich Klischees verbreitet. Das gilt insbesondere für die „große“ Österreich-Geschichte jenseits der Tagesaktualität; also für Texte, mit denen man beispielsweise auf die Seite 3 einer bedeutenden deutschen Zeitung oder in deren Feuilleton kommt (oder in analoge Formate elektronischer Medien). Allzu oft geschieht es ja nicht, dass Österreich derart prominenter und daher innerredaktionell begehrter Platz eingeräumt wird, gelegentlich aber eben doch – und dann hat der Österreich-Korrespondent seinen großen Tag. Dabei muss er sich nicht sonderlich Mühe geben, denn die Versatzstücke sind wohlfeil und bestens erprobt – sie lassen sich, je nach Anlass, immer neu zusammenfügen und sind nur um ein paar aktuelle Bezüge anzureichern.

„Was ist los mit diesem Land?“

Der erste Todestag von Jörg Haider war so ein Anlass, und Michael Frank, Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Wien, durfte sich auf Seite 3 seines Blattes in Pose werfen. Absurd-aberwitziger Haider-Kult – gewiss, wer wollte das bestreiten? Unsägliche FPÖ-Slogans – geschenkt, leider! Um all dies aber geht es uns hier nicht – sondern darum, wie aus diesen und anderen blau-orangen Strichen ein vorgebliches Gesamtgemälde fabriziert wird. Da vermisst man nichts, aber auch gar nichts an Klischees, die jenes Österreich-Bild ergeben, an dem sich abzuarbeiten die selbst ernannte „kritische Intelligenz“ nicht müde wird. Da darf die beliebte rhetorische Frage „Was ist los mit diesem Land?“ nicht fehlen, da muss der österreichische Karikaturist Gerhard Haderer (stellvertretend für die genannte „Intelligenz“) natürlich erschrecken, „wenn er nach Österreich heimkommt“, da wird die Republik gleich eingangs pauschal dargestellt als „Land, in dem Hass längst wieder gesellschaftsfähig ist“. Und selbst „der Gute“ in dieser Geschichte bedient noch ein Klischee. Denn vor den Vorhang geholt wird hier just der – tatsächlich formidable – Marmeladefabrikant Hans Staud, dem man „bis heute ansieht“, dass er „einer der feschesten Burschen“ war. – Achtung, Subtext für die deutschen Leser: Die Österreicher lieben halt das Süße so sehr. Und vom Süßen ist es ja bekanntlich nicht weit zum Verlogenen … Immerhin, Fritzl, Kampusch und „das Verlies“ kommen nicht vor.

Ja, was ist da wirklich los? Kritik an verzerrten, durch heimische Meinungsmacher inspirierten und verstärkten Zuschreibungen von außen ist wichtig und richtig, kann aber nicht alles sein. Wenn Fremd- und Selbstwahrnehmung notorisch auseinanderklaffen, scheint es geboten, auch einmal ernsthaft in sich zu gehen. Oder, um Woody Allen zu paraphrasieren: Dass sie dich verfolgen, heißt ja nicht, dass du nicht paranoid bist. Die entscheidende Frage müsste also lauten: Was hat Österreich der periodisch wiederkehrenden Kritik – Stichworte Waldheim, Haider, Amstetten & Co. – entgegenzusetzen? Welche Identität formulieren wir positiv wider die zurecht als negativ empfundene, die uns habituell zugeschrieben wird? Die Antwort hierauf fällt ernüchternd aus – frei nach Grillparzer: In keinem Lager ist Österreich.

Die goldenen siebziger Jahre

Die wohl gravierendste Zäsur der österreichischen Geschichte seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1955 markierte zweifellos der Beitritt zur Europäischen Union 1995. Das Land trat damit, zumindest der Form nach, aus seinem beschaulichen Inseldasein heraus, welches zum einen eine von den Siegermächten auferlegte Folge des Zweiten Weltkriegs war, in der man sich aber zum anderen sehr bequem und durchaus geschickt eingerichtet hatte. „Neutralität“ wurde dafür zur allumfassenden, weit über die Sicherheitspolitik hinausreichenden Chiffre. Die siebziger Jahre erscheinen im Rückblick als Blütezeit: als Brüssel fern und Globalisierung ein Fremdwort war; als der Wohlfahrtsstaat großzügig ausgebaut wurde, Zuwächse zu verteilen, statt Mängel zu verwalten waren; als Bruno Kreisky gesellschaftspolitisch Aufbruch signalisierte und gleichzeitig mit seinen außenpolitischen Ambitionen den Geruch der großen weiten Welt ins Land holte; all dies noch abgerundet durch einen allseits respektierten großen Kirchenmann, Kardinal König, an der Spitze des Episkopats und, als Tüpfelchen auf dem „i“, einen Österreicher im Chefsessel der Weltorganisation, Kurt Waldheim als UN-Generalsekretär.

Das alles ist heute unendlich weit weg, aber es hat den Anschein, dies sei die letzte Epoche gewesen, in der das Land seiner selbst einigermaßen gewiss war. Seither haben wir identitätspolitisch nie mehr so richtig Tritt gefasst, allen Bemühungen einzelner Politiker wie Vranitzky, Busek oder Schüssel zum Trotz. Was mit dem EU-Beitritt in Gang kommen hätte können, wurde meist nur halbherzig, nicht selten gar ressentimentgeladen, mit geballter Faust in der Hosentasche nachvollzogen. Die europaweit einzigartige Dominanz der Boulevardmedien spielt hier gewiss eine Rolle – aber die Medien sind ja zum Teil nur ein Spiegel der sie tragenden Gesellschaft.

„Österreich übernimmt sich und Europa“

„Maulheldenplatz“, titelte Ulrich Weinzierl mit sanftem Spott in der Frankfurter Allgemeinen anlässlich der erstmaligen Übernahme des EU-Vorsitzes durch Österreich anno 1998, „Österreich übernimmt sich und Europa“. Den EU-Vorsitz brauchen wir, wie es aussieht, nicht mehr übernehmen – aber mit einer Positionierung im europäischen Kontext sind wir nach wie vor überfordert, was bis hinunter zu Personalfragen – Stichwort EU-Kommissar – durchschlägt. Bei der gegenwärtigen Bundesregierung mit dem Bundeskanzler Werner Faymann an der Spitze hat man den Eindruck, sie habe sich schon mit Österreich übernommen, von Europa gar nicht zu reden. Doch das tiefer liegende Problem ist nicht ihr anzulasten – mit ihrer geschichts- und identitätspolitischen Unbedarftheit entstellt sie die Befindlichkeit des Landes nur zur Kenntlichkeit.

Einstweilen spricht also nichts dagegen, dass der Österreich-Korrespondent sein liebstes Spiel weitertreiben kann – der Wiener Wahlkampf dürfte reichlich Stoff für „große“ Geschichten bieten, und auch Jörg Haiders fünfter Todestag kommt bestimmt.

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