Thomas Stangl - © Foto: Wolfgang H. Wögerer

Thomas Stangl: "In Timbuktu war ich noch immer nicht"

19451960198020002020

Der Erzähler treibt bei ihm als Gespenst durch den Text und die Figuren entstehen durch ihre Bewegungen im Raum; für Momente, in denen nichts passiert, sucht Thomas Stangl eine Sprache: der Schriftsteller im Gespräch über die Poetik seiner Literatur.

19451960198020002020

Der Erzähler treibt bei ihm als Gespenst durch den Text und die Figuren entstehen durch ihre Bewegungen im Raum; für Momente, in denen nichts passiert, sucht Thomas Stangl eine Sprache: der Schriftsteller im Gespräch über die Poetik seiner Literatur.

Werbung
Werbung
Werbung

Warum er wie erzählt, darüber sprach Thomas Stangl in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in der Reihe WERK.GÄNGE. Der folgende Text ist die redigierte und gekürzte Fassung dieses Gesprächs.

Die FURCHE: In "Der einzige Ort" sind zwei Männer unabhängig voneinander und zu verschiedenen Zeiten unterwegs nach Timbuktu - Sie blenden beim Erzählen hin und her. Ebenso in "Was kommt": Da gibt es Emilia im Jahr 1937 und Andreas in den 70er-Jahren, einmal kommt sie in den Blick, einmal er. Auch im jüngsten Roman "Regeln des Tanzes" switchen Sie zwischen den Protagonisten. Wollen Sie gar nicht anders erzählen?
Thomas Stangl:
Nein, will ich nicht. Ich versuche von zwei oder mehr unterschiedlichen Ausgangspunkten her zu schreiben und dann langsam zwischen diesen Handlungssträngen, die am Beginn nichts miteinander zu tun haben, eine immer engere Beziehung und Verknüpfung zu schaffen. Man kann wirklich sagen, dass das ein entscheidendes Formprinzip für mich ist.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Die FURCHE: Was fasziniert daran?
Stangl:
Es bietet einerseits die Möglichkeit, so etwas wie indirekte Beziehungen herzustellen, die vielleicht auch etwas mit den indirekten Beziehungen zu tun haben, die man als Autor oder als Leser zu den Figuren eines Buches hat. Andererseits, damit verbunden, bietet es die Möglichkeit, ein anderes Verhältnis zur Zeit einzunehmen. Die Geschichten nicht als abgeschlossene ferne Ereignisse zu erzählen, sondern eine Art von Gegenwartsraum zu schaffen, in dem verschiedene Zeitebenen einander begegnen. Zum Beispiel in "Der einzige Ort" das Afrika des 19. Jahrhunderts mit dem zeitgebundenen europäischen Blick der Protagonisten auf Afrika nicht einfach für sich stehen zu lassen, aber auch nicht darüber hinwegzuerzählen, sondern es in eine für mich produktive Beziehung zu einem gegenwärtigen Blick auf Afrika zu setzen und dadurch aus dieser reinen Historizität zu lösen, ihm etwas Gegenwärtiges zu geben.

Die FURCHE: Aber manchmal taucht doch so etwas wie ein auktorialer Erzähler auf ...
Stangl:
Das ist so etwas wie ein Gespenst, das durch den Text treibt und durch die verschiedenen Zeitschichten. Diese Art von Erzählinstanz habe ich beim Schreiben von "Der einzige Ort" entwickelt, angeregt durch die Probleme, die ich anfangs damit hatte, eine geeignete Perspektive für das Erzählen dieser Geschichten zu finden. Vor allem in Zusammenhang mit der Frage, ob man einen konventionellen historischen Roman erzählen kann - und mit meinem Unwillen, einen solchen zu erzählen.

Die FURCHE: Was reizt Sie an den Ab-und Umwegen?
Stangl: Ich versuche so etwas wie eine Materialität, eine Körperlichkeit, ein intensiveres an den Raum und an den Ort Gebundensein in den Sätzen und der Sprache zu finden. Ich langweile mich als Leser bei dem, was als spannend gilt, weil ich merke, wie es gemacht ist. Wenn ich einen Krimi aus den 50er-Jahren sehe, finde ich oft interessanter, welche Figuren im Hintergrund durch das Bild laufen, wie die Hausfassaden aussehen, wie die Geschäftsinschriften, wie der zufällig ins Bild gekommene Alltag. Ich versuche in den Büchern für die ganz konkrete Welt, für die Momente, in denen nichts passiert, eine Sprache zu finden. Ich könnte jetzt sagen: Weil es mich mehr interessiert. Aber es hat auch etwas zu tun mit dem, was ich als Vergegenwärtigung bezeichnet habe. Mit diesem Versuch, eine andere Gegenwart in der Literatur erscheinen zu lassen und nicht einfach etwas von außen oder von oben zu beschreiben. Und ich versuche, die Figuren durch den Raum, durch ihre Bewegungen im Raum entstehen zu lassen und sie nicht von vornherein als einheitliche Persönlichkeiten mit festgelegten Charaktereigenschaften zu zeichnen.

Ich versuche so etwas wie eine Materialität, eine Körperlichkeit, ein intensiveres an den Raum und an den Ort Gebundensein in den Sätzen und der Sprache zu finden.

Thomas Stangl

Die FURCHE: "Regeln des Tanzes" führt in das Jahr der Angelobung der schwarz-blauen Regierung und der Proteste dagegen. Wie schwierig war es, eine konkrete zeitgeschichtliche Situation zu literarisieren?
Stangl:
Einer der Ausgangspunkte für diesen Roman war der Wunsch, etwas über diese Wochen zu schreiben, die in meiner Lebenszeit in Österreich etwas wie einem Ausnahmezustand am nächsten kamen. Es hat mich erstaunt, dass sie aus dem öffentlichen Gedächtnis fast verschwunden scheinen. Ich konnte mir beim Schreiben des Romans kaum vorstellen, dass in einer ähnlichen Situation plötzlich eine ähnliche Bewegung entstehen könnte. Ich habe versucht, aus meinen Erinnerungen heraus möglichst genau einige der Tage dieser Zeit zu schildern, mit den manchmal vielleicht etwas übertriebenen Befürchtungen, die meine Protagonistin hat und die großteils auch meine eigenen waren. Die Schwierigkeit bei einem konkreten politischen Thema ist, darüber literarisch zu schreiben und nicht in eine Art von politischem Räsonieren zu verfallen oder in bloßes Behauptungsschreiben. Aber andererseits das Politische an der Situation ernst zu nehmen und nicht bloß als Teil einer literarischen Versuchsanordnung. Es geht in dem Roman auf allen drei Ebenen um eine Art von Ausnahmezustand, privat oder politisch. Um so etwas wie einen revolutionären Moment, freilich innerhalb einer historischen Situation, wo von einer Revolution keine Rede sein kann. Es ist für die eine Protagonistin entscheidend, dass demonstriert wird, also dass ein Versuch unternommen wird, dessen Erfolgsaussichten zwar gegen Null gehen, aber dass es Momente gibt, in denen plötzlich alles anders und alles möglich scheint.

Die FURCHE: Waren Sie jemals in Timbuktu, diesem Sehnsuchtsort?
Stangl:
Nein, in Timbuktu war ich noch immer nicht ...

Die FURCHE: Sie haben das Timbuktu in "Der einzige Ort" aufgrund von anderen Quellen erschrieben?
Stangl:
Ja, und das ganz vage Bild, das ich von Timbuktu hatte, war einer der Ausgangspunkte des Schreibens. Ich habe mich gefragt, wie eigentlich ein Wort, ein Städtename so einen magischen Klang annehmen kann. Man kann über diese Stadt überhaupt nicht sprechen, ohne gleichzeitig über eine Realität und eine Illusion und Vorstellung einer Stadt zu sprechen. Was Menschen erzählen, die dort waren, ist oft diametral entgegengesetzt. Auch bei meinen beiden Protagonisten: Der eine hat gemeint, alle seine Vorstellungen seien erfüllt. Der andere, dass er noch nie einen trostloseren Ort gesehen hat als diese Ansammlung von niederen schiefen Hütten.

Die FURCHE: Literatur wirft oft Fäden aus, die ich als Leserin zusammensuche. Bei einfach gestrickter Literatur macht's am Ende plopp! - und da habe ich die Lösung. Bei Ihnen hingegen wird das Bild zwar vollständiger, webt sich mehr zusammen, trotzdem bleibt immer etwas offen. Wie machen Sie das?
Stangl: Es ist schwer, das generell zu beantworten. Es ist natürlich immer eine Frage der Balance, man sollte auf keinen Fall versuchen den Leser zu betrügen, indem man falsche Fährten auslegt und Andeutungen macht, die dann nie erfüllt werden. Vielleicht kann man es am besten damit umschreiben, dass es wichtig ist, am Ende den blinden Fleck erscheinen zu lassen. Es ist mir sehr wichtig, dass etwas offenbleibt, dass sich nie die ganze Handlung auflöst, weil das für mich auch genau das ist, was ein Buch zu etwas Realem macht, dass es sich nicht einfach mit der Auflösung einer Handlung in nichts auflöst, sondern dass es immer eine vielschichtige Wirklichkeit bleibt, in der alle Ebenen nie ganz in Übereinstimmung kommen.

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung