In Wien wird wieder getanzt

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Wien tanzt. Und einmal mehr ist das nicht nur wegen der gut besuchten Workshops - die, auch für Laien, für alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten offen sind -und dem internationalen "Völkchen" zu verstehen, das - aus 94 Nationen bestehend - mit den rosafarbenen Impulstanz-Rädern das Stadtbild zu allen Tagesaber vor allem auch zu den Nachtzeiten prägt. Vielmehr bespielt die heurige Ausgabe des Festivals, das seit Jahr(zehnt)en zu den größten und bedeutensten Festen des modernen Tanzes zählt, die unterschiedlichsten Bühnen der Stadt, von Volks-über Burgtheater, dem Kasino am Schwarzenbergplatz, dem Odeon und dem Schauspielhaus, dem mumok, Museum für moderne Kunst, und der Halle G im MuseumsQuartier, bis hin zu öffentlichen Plätzen wie dem Heldenplatz oder dem Würstelstand vor dem Kasino am Schwarzenbergplatz. Ebendort zerschneidet die Wiener Künstlerin Andrea Maurer jeden Abend die Programmhefte und fügt sie zu dadaistisch anmutenden Gedichten und Textcollagen zusammen, was als Kommentar zur Beziehung von Sprache und Tanz, Schreiben und Bewegen oder als augenzwinkernder Hinweis auf das durchaus prekäre Verhältnis und die Arbitrarität von Theorie und Tanz gedeutet werden kann.

Verändertes Verständnis von Tanz

Was lässt sich anhand der 48 Produktionen mit über 120 Vorstellungen ablesen? Welche Tendenzen sind bei solch einer Ballung von zeitgenössischer Tanz- & Performancekunst auszumachen und für die Kunst von morgen zu erwarten?

Zum einen ist kaum zu übersehen, dass sich in den letzten Jahren das Verständnis von Tanz weiter verändert hat. Längst ist seine Essenz nicht mehr die spektakuläre Darstellung von Bewegung, längst ist er nicht mehr allein geprägt von der Ausdruckskraft bewegter Körper. Die konzeptuelle Erweiterung lässt als Tanz etwa auch das Artikulieren nonverbaler Laute gelten, so die von Jule Flierl "Störlaut" betitelte Hommage an die Tänzerin, Schauspielerin und Kabarettistin Valeska Gert (1892-1978), die von sich sagte, sie sei eine Stimmtänzerin. Zudem verabschieden sich auffallend viele Produktionen vom Tanz als bloßer Darstellung und forcieren stattdessen die Mobilisierung und Partizipation des Zuschauers. Diese Stärkung partizipativer Begegnungen kann dabei immer als Reflexion politischer Verhältnisse oder auch als selbstreflexive Auseinandersetzung des Tanzes mit sich selbst verstanden werden, als immanente Kritik an der Fixierung der traditionellen Ordnung von Zuschauern und Performern, die durchaus als ins reale Leben durchschlagende verstanden werden soll.

Vereinfacht gesagt, kann als moderner Tanz alles Mögliche gelten, wenn man es nur als Tanz präsentiert. Zum anderen sind die Grenzen gegenüber den traditionellen Theaterformen sowie gegenüber dem Film und der bildenden Kunst noch durchlässiger geworden.

Letzteres ist geradezu ein Markenzeichen von ImPulsTanz geworden, denn seit nunmehr vier Jahren bespielt das Festival regelmäßig das mumok. Auch heuer wurden Künstlerinnen und Künstler eingeladen, mit dem Ort und/oder mit Objekten aus der aktuellen Ausstellung "Doppelleben -Bildende Künstler_innen machen Musik" in Dialog zu treten. Dass das mitunter eher misslingt oder recht beliebig ist, konnte an der "Museumsversion" des in den Räumen des mumok uraufgeführten Stückes "B.B." der in Stockholm lebenden Choreografin und Performerin Ofelia Jarl Ortega beobachtet werden. Der laszive Tanz mit den verführerischen Posen und fixierenden Blicken zum Zuschauer, die vermeintlich Blickregime, Machtverhältnisse, Verhaltenscodes und die "strategischen Potentiale von Objektivierung" erforschen sollten, hatten nicht unbedingt neugierig gemacht, sich auch noch die "Theaterversion" davon anzuschauen.

Einen ganz anderen Dialog suchte "ghostdance". Darin versuchten die beiden Oberösterreicher, der Musiker Andreas Spechtl und der diesjährige Träger des Mülheimer Dramatikerpreises Thomas Köck, auf die Bedeutung der Vergangenheit hinzuweisen. In ihrem Konzert mit gesampelter elektronischer Musik erinnerten sie nicht nur an die Geschichte von Radio, Sound, Plattenspieler und Synthesizer, sondern zielten damit vielmehr darauf hin, bewusst zu machen, dass Sein und Präsenz heißt, immer schon von Vergangenem, also von Abwesendem abhängig zu sein. Die Geister, die sie dabei umtreibt, sind jene, die auf die Gegenwärtigkeit der revolutionären Utopien des frühen 20. Jahrhunderts weisen. Ausgehend von Derridas Buch "Marx' Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale" würde nach Köck vom Gespenst lernen heißen, eine utopische Zukunft zu erinnern.

Mit Rekurs auf die jüngere Geschichte Österreichs -aber weniger auf die Zukunft, dafür umso mehr auf den gegenwärtigen Umgang der Menschen miteinander - scheint die Performance "iChoreography -Conversations" von Magdalena Chowaniec und Valerie Oberleithner abzuheben. Am Heldenplatz, auf den Stufen zum Eingang der Nationalbibliothek, also just unter jenem Balkon, von dem aus Hitler vor 80 Jahren einer hysterischen Menge sein "Heimins-Reich!" zubellte, treffen 16 einander fremde Menschen aufeinander. Ihr stummes Spiel, - sie kauern oder legen sich hin, andere pflegen die Liegenden, lockern ihnen die Glieder, streicheln über ihre Köpfe, berühren sie ganz einfach -erzählt von Empathie, von einem anderen, sorgsamen Umgang miteinander.

In gewisser Weise ist diese Choreografie ein visuelles Äquivalent zur Soundinstallation "The Voices", die die schottische Klangkünstlerin Susan Philipsz auf Einladung vom Haus der Geschichte anlässlich des Gedenkjahres hier vor Ort installiert hat. Wie Philipsz das fragil singende Kristallglas Hitlers martialischer Stimme sowie der frenetisch johlenden Menge als Gegenklang gegenüberstellt, setzen die Choreografinnen der Menschenmasse den schutzbedürftigen Einzelnen gegenüber.

Gelungen und berührend

Nicht alle Künstlerinnen und Künstler suchen die politische Dimension von Tanz, es wird auch noch in einem traditionelleren Sinne performt und sogar getanzt. Und wie! Eine besonders gelungene und berührende Performance war "five hundred thousand years of movement" der österreichischen Tänzerin und Choreografin Karin Pauer, die nur einen Pullover, ein paar Takte Musik und ein ungnädig tickendes Metronom braucht, um das menschliche Leben ins Verhältnis zur kosmischen Zeit zu setzen. Dabei wird das kleine Leben mit seinen scheinbar banalen Ereignissen so groß und kostbar, weil es das einzige ist, das der Mensch hat.

Die Höhepunkte haben eingelöst, was man von ihnen erwarten durfte: einerseits die formstrenge Choreografie zu Bachs sechs Cellosuiten mit dem Luther entlehnten schönen Titel "Mitten wir im Leben sind" von Anna Teresa De Keersmaeker mit Rosas und dem Cellovirtuosen Jean-Guihen Queyras und andererseits "Radical Vitality" der kanadischen Compagnie Marie Chouinard. Die Solos und Duette aus ihrem nunmehr vier Jahrzehnte umfassenden Schaffen bestechen durch ihren Erfindungsreichtum und einer stupenden Formfantasie. Die 30 Miniaturen sind perfekt gebaute kleine Erzählungen, ein assoziationsreiches Bildertheater durch ein perfekt choreografiertes Ineinandergreifen von Kostüm, Requisite, Licht und Körper mit einem Tanzvokabular, das schier unerschöpflich ist. Man ist ImPuls-Tanz stets wieder dankbar, solches in Wien sehen zu können!

ImPulsTanz bis 12. August, verschiedene Veranstaltungsorte in Wien www.impulstanz.com

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