"Indiz für den Geist unserer Zeit“

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Am 3. Oktober jährt sich zum vierzigsten Mal der Todestag des Dompredigers und Kunstförderers Monsignore Otto Mauer (*1907). Seine Sicht der Notwendigkeit der Konfrontation christlichen Glaubens mit zeitgenössischem Kunstschaffen ist unvermindert aktuell.

Gestische Pinselstriche, größere Flecken, kleinere Farbspritzer. Sie finden sich quer über die Fläche verteilt auf einer weißen Leinwand. Die einzige Farbe ist rot. Gemalt hat dieses Ölbild im Jahr 1962 Markus Prachensky. Der österreichische Maler zählt neben Arnulf Rainer, Josef Mikl und Wolfgang Hollegha zu jenen abstrakten Künstlern der Nachkriegsavantgarde, die der Domprediger Otto Mauer besonders gefördert hat. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass dieses Bild auf den ersten Blick so gar nichts mit christlicher Kunst zu tun hat. Wenn man den Titel "Rouge sur blanc - Sebastiansplatz III“ liest, kann man allerdings schon christliche Bezüge herstellen. Die roten Spritzer könnte man etwa als Blutspuren des verletzten Märtyrers Sebastian interpretieren. Aber darum ging es dem Priester und Kunstförderer im Grunde gar nicht. Otto Mauers Aussagen über Kunst im christlichen Kontext sind ungemein mutig. Sie sind in vielen Punkten so wegbereitend, dass sie auch heute, vierzig Jahre nach seinem Tod, höchst aktuell erscheinen. So kritisiert Otto Mauer das Reservat einer spezifischen Kirchenkunst, wie er sie im 19. Jahrhundert verortet. Stattdessen stellt er die "These auf, dass alle modernen Tendenzen, überhaupt alle Kunsttendenzen, die es jemals gegeben hat, mit dem Christentum vereinbar und durchaus verwendbar sind, wenn man sie zu kultischen Zwecken heranzieht“.

"Vater der Avantgarde“

Otto Mauer hat sich in seiner 1954 gegründeten "Galerie St. Stephan“, die 1963 aufgrund innerkirchlicher Auseinandersetzungen in "Galerie nächst St. Stephan“ umbenannt wurde, mit den fortschrittlichsten Künstlern seiner Zeit umgeben. Er hat internationale Größen wie Georges Mathieu nach Wien geholt. Vor allem hat er den österreichischen Künstlern und Künstlerinnen wie Herbert Boeckl, Maria Lassnig, Kiki Kogelnik oder Oswald Oberhuber die Möglichkeit gegeben, öffentlich mit ihrer künstlerischen Arbeit präsent zu sein. Von der Kirche verlangte Otto Mauer, dass sie sich "permanent in einen Dialog mit der Kunst einlassen“ muss. Denn durch die Kunst, so der Priester, "kommt etwas Kreatives in das Christentum“.

Der 1931 im Stephansdom zum Priester Geweihte wird gerne als "Vater der österreichischen Avantgarde“ bezeichnet. Rückblickend ist es tatsächlich schwer vorstellbar, wie sich Kunst und Architektur in Österreich nach 1945 entwickelt hätten - ohne den Monsignore. Seine Galerie war lange der Hauptort für Innovatives in Österreich, die von ihm organisierten "Internationalen Kunstgespräche“ bildeten das Zentrum der geistigen Auseinandersetzung rund um aktuelle Kunst- und Architekturentwicklungen. Dabei hat sich Otto Mauer keineswegs nur auf bildende Kunst beschränkt. So haben Hans Hollein und Walter Pichler in der "Galerie nächst St. Stephan“ ihre legendären Architektur-Utopien gezeigt, und der Avantgarde-Komponist Anestis Logothetis hat seine Musik zum Besten gegeben.

Die Kunst war für Otto Mauer eine wesentliche Kraftquelle, die den Menschen über sich hinauswachsen lässt. So meinte er 1967 in einer Rede über Joseph Beuys: "Kunst verändert den Menschen - sie verändert das Leben“.

Die Begeisterung für Kunst entwickelte sich bei dem 1907 in Brunn am Gebirge als Sohn eines Bankbeamten Geborenen schon sehr früh. Zunächst sammelte Otto Mauer Kunstdrucke. Später kam er über die katholische Jugendbewegung "Neuland“ mit Künstlern wie Max Weiler oder Rudolf Szyszkowitz zusammen. Das persönliche Gespräch mit Künstlerinnen und Künstlern sollte sein Denken und Handeln in den folgenden Jahrzehnten entscheidend prägen. So zeugen etwa 500 Blätter Alfred Kubins aus der Sammlung Otto Mauers von der Freundschaft zwischen dem wortgewandten Prediger und dem zurückgezogenen Zeichner. Sie begann 1941 und dauerte bis zum Tod Alfred Kubins 1959 an, wie auch eine Zeichnung beweist. Sie enthält auf dem Karton eine Widmung, die sie als Weihnachtsgeschenk an den Priester im Jahre des Kriegsendes ausweist: "Sphinx - Zum 24.12.45 für Professor Dr. Otto Mauer“.

Fragen, keine Antworten

Vorurteilslos hat sich Otto Mauer Alfred Kubins Blättern und dessen "Abgründen und Ängsten der Seele“ gestellt. Auch wenn ihm Kubins dämonische Welten als katholischer Priester zunächst fremd waren, wie frühe Schriften verdeutlichen. Aber Otto Mauer hat keine Kunst geschätzt, die Glaubensinhalte illustriert. Vielmehr hat den Priester Kunst interessiert, die keine Antworten gibt, sondern Fragen stellt. So meinte er zu Kubin und dessen rätselhaft unheimlichen Bildwelten: "Kubin hat keine Antwort auf die natürlichste und zugleich widernatürlichste Tatsache des Todes, kein Rezept.“

Seinen Kunstbegriff hat Otto Mauer immer weiter entwickelt und stets neue Künstler und Künstlerinnen für sich entdeckt. Waren es in der Frühzeit die klassische Moderne und die Neulandkünstler, später vor allem die österreichischen Informellen wie Rainer, Mikl, Prachensky und Hollegha, so kam schließlich in den letzten Jahren vor seinem Tod das Interesse für den deutschen Aktions- und Objektkünstler Joseph Beuys hinzu. Dem Domprediger und Kunstförderer hatte es die Beuys’sche Bekenntnis zu armen, unprätentiösen Materialien - "zu verfaultem Holz, zur gewöhnlichen Seife“ - angetan. Für Otto Mauer hatte dies in höchstem Maße mit Religion zu tun: So meinte er: "Es ist also das Spirituelle und nicht das Material, das die Kunst ausmacht.“

Dass ein katholischer Priester zu dem leidenschaftlichen Förderer der österreichischen Avantgarde schlechthin wurde, erstaunt noch heute. Für Otto Mauer war sein Engagement für die Kirche und die zeitgenössische Kunst kein Widerspruch: "Kunst ist schließlich ein elementarer Lebensbereich des Menschen.“

Kunst jenseits der Akademien

Prachenskys eingangs beschriebenes Bild befindet sich heute in der Sammlung Otto Mauer. Sie wurde dem Wiener Dom- und Diözesanmuseum 1980 übergeben, nachdem der Priester am 3. Oktober 1973 unerwartet im Alter von 66 Jahren an einem Lungeninfarkt gestorben war. Nach der Wiedereröffnung des derzeit von Architekt Podrecca umgebauten Dommuseums im Jahr 2015 werden Highlights der außergewöhnlichen Avantgardesammlung ständig in einem eigenen Otto Mauer gewidmeten Saal zu sehen sein. In wechselnden Präsentationen, denn die Sammlung umfasst an die 3000 Exponate. Darunter Werke bekannter Größen wie Gustav Klimt, Herbert Boeckl, Arnulf Rainer, Hans Hollein und Maria Lassnig. In der Sammlung finden sich aber auch Werke von weniger bekannten und dennoch bedeutenden Künstlern und Künstlerinnen der österreichischen Nachkriegsavantgarde wie dem Bildhauer Andreas Urteil oder der Malerin Helga Phillip.

Otto Mauer hatte sich früh auch für Kunst interessiert, die jenseits von Akademien entsteht. Für Kunst von Menschen, die sich nicht selbstbewusst als Künstler definieren und dennoch unglaubliche künstlerische Werke hervorbringen. So besitzt die Sammlung Otto Mauer an die 150 Blätter von Art-Brut-Künstlern aus Gugging. Bereits in den Jahren 1970 und 1972 gab es in der "Galerie nächst St. Stephan“ Ausstellungen mit Werken der Gugginger Gruppe. Dies hat wesentlich zur deren Bekanntmachung beigetragen.

Der Marktwert vieler von Otto Mauer geförderter Künstler ist, wie auch an den Blättern der Gugginger Gruppe zu sehen ist, in den vier Jahrzehnten seit seinem Tod exorbitant gestiegen. Auch wenn Otto Mauers Interesse kein pekuniäres war, spiegelt diese Tatsache wider, wie vorausschauend der Domprediger und Galerist Mauer agierte. Unermüdlich war er auf Ausschau nach Neuerungen: in der Kirche, in der Gesellschaft und vor allem auch in der Kunst. Manchen neuen Tendenzen stand er dabei skeptisch gegenüber - wie etwa der amerikanischen Popart oder dem Wiener Aktionismus. Seine Rolle als Mentor der Avantgarde verfolgte Otto Mauer bis zu seinem Tod im Oktober 1973 auf jeden Fall konsequent: "Die Galerie sucht weiter, vorwärtsgewandt, nach dem, was entsteht als Signatur, als Indiz für den Geist unserer Zeit. Und die ‚Zeichen der Zeit‘ wollen gehört, wollen verstanden werden.“

Radiotipp

Kunst verändert das Leben

Zum 40. Todestag des Dompredigers und Kunstförderers Otto Mauer; in: "Gedanken für den Tag“, Ö1, 1.-5. 10., 6.56 Uhr

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