Indonesiens Angst vor dem Terror

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Der terror hat nun auch Indonesien erreicht. Das größte islamische land der Welt gilt als Vorzeigemodell für die muslimische Welt. Doch die religiösen spannungen nehmen zu. Ein lokalaugenschein.

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Der terror hat nun auch Indonesien erreicht. Das größte islamische land der Welt gilt als Vorzeigemodell für die muslimische Welt. Doch die religiösen spannungen nehmen zu. Ein lokalaugenschein.

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Der Ruf des Muezzins verhallt in der schwülen Tropenluft, die prächtige Kuppel der Großen Moschee leuchtet im Abendrot. Auf einer Hauptstraße findet eine islamische Sasak-Hochzeit statt. Ein ganzes Dorf ist gekommen. Frauen sind in bunte Batiktücher gehüllt, Männer spielen traditionelle Gamelan-Musik, das Brautpaar marschiert unter goldenen Schirmen vorweg. An der feierlichen Prozession hat sich seit Jahrhunderten nichts geändert. Auf der kleinen Insel Lombok östlich von Bali koexistieren die Religionen friedlich. Hindu-Tempel stehen gegenüber Moscheen, chinesische neben christlichen Friedhöfen. Doch über die Weihnachtsfeiertage und an Neujahr erhöhte die Regierung die Terrorwarnstufe. Der zuständige Minister für Sicherheitsfragen sagte, die Behörden hätten detaillierte Hinweise auf die Möglichkeit eines Terroranschlags erhalten. Die US-Botschaft in Jakarta gab eine "Notfallmeldung" für US-Bürger heraus, die sich an den Touristenstränden von Lombok aufhielten.

Im Visier des Terrors

Touristen geraten verstärkt ins Visier von Terroristen. 2002 starben bei einem Bombenattentat auf einen Nachtklub auf Bali über 200 Menschen. Und nun der verheerende Anschlag auf ein Einkaufszentrum in Jakarta: Bei mehreren Explosionen und Schießereien waren in der vergangenen Woche mindestens sieben Menschen getötet worden. Staatspräsident Joko "Jokowi" Widodo sprach von "Terror".

Im Jänner spielte sich im Dschungel von Sulawesi ein wahrer Krimi ab: 2000 Spezialkräfte schlugen Schneisen in den Urwald und versuchten den Anführer der Terrorgruppe "East Indonesia Mujahideen"(MIT) Santoso aufzuspüren, der sich in dem unwägbaren Terrain mit seinen Unterstützern verschanzt hat. Seit Jahren fahndet die Polizei nach dem Topterroristen, der seine Solidarität mit dem Islamischen Staat bekundet hat und in Propagandavideos mit dem heiligen Krieg droht. Der Dschihadist steht im Verdacht, mehrere Bombenanschläge auf Polizisten verübt und Terroristen rekrutiert zu haben. Bei der Operation wurden zwei Polizisten und ein Armeeoffizier getötet. Von Santoso aber fehlt weiter jede Spur.

Präsident Joko Widodo hat es zur Chefsache erklärt, den meistgesuchten Mann des Landes zu fassen. Die Regierung befürchtet, dass sich in der unzugänglichen Bergregion Sulawesis neue Terrorzellen bilden könnten. Auf der Insel wurden bereits Trainingscamps von Al-Qaida gesichtet.

Der australische Generalstaatsanwalt George Brandis warnte unlängst, der IS könnte in Indonesien ein "entferntes Kalifat" errichten. Nach Informationen von Sicherheitskreisen hat der Islamische Staat über 1000 Sympathisanten. Die Sicherheitsbehörden registrierten zwischen 100 und 300 Syrienrückkehrer in Indonesien.

Gut zwei Stunden braucht der Airbus von Lombok in die Hauptstadt Jakarta. Es ist ein atemberaubender Flug über dichten Dschungel und Vulkane. Auf dem Flughafen Soekarno-Hatta herrscht Tropenhitze. Eine endlose Blechlawine zieht sich stadteinwärts. Rahmat steuert seinen alten Toyota durch den Stadtverkehr. Die Fahrt über mehrstöckige Autobahnen führt vorbei an Wellblechhütten. In seinem abgedunkelten Wagen hat sich Rahmat eine Spezialhupe einbauen lassen, die wie die Sirene eines Krankenwagens klingt und mit der er sich den Weg freihupt. Normalerweise dürfte man das nicht, doch Rahmat ist Mitglied einer Militärvereinigung, und das Militär ist noch immer der wichtigste Akteur in Indonesien. Eine Art Staat im Staat. "Ohne das Militär würde das Land auseinanderfallen", ist sich Rahmat sicher.

Rund 500 Ethnien und ebenso viele Dialekte und Sprachen gibt es in dem Reich von über 17.500 Inseln, sie alle haben unterschiedliche Traditionen und Kulturen. In Jakarta zeigt sich diese Vielfalt wie unter einem Brennglas. Junge Damen in Minirock und Schlangenledersandalen warten neben vollverschleierten Frauen an Bushaltestellen, Frauen in traditionellen Sarongs und Bambuskörben laufen neben Geschäftsleuten, die auf ihrem Smartphone tippen.

Zwischen Tradition und Moderne

Wenn Tradition und Moderne mit voller Wucht aufeinanderprallen, schlägt es zuweilen Funken. 2009 wurden bei Bombenanschlägen auf zwei Luxushotels in der indonesischen Hauptstadt neun Menschen getötet. Dahinter steckte die mit Al-Qaida verbündete Terrorgruppe Jemaah Islamiyah. Der jüngste Anschlag auf ein Starbucks-Café geht auf das Konto des IS. Der westliche Lebensstil ist den religiösen Eiferern ein Dorn im Auge. In den Vororten Jakartas, wo die Menschen in ärmlichen Bambusverschlägen hausen und ihre Wäsche in den dreckigen Nebenarmen des Ciliwung-Flusses waschen, fällt die Saat des Islamismus auf fruchtbaren Boden.

Im Dezember war bei einer Razzia Sprengstoff entdeckt wurden. Mehrere Terrorverdächtige wurden verhaftet. In der imposanten Istiqlal-Moschee, die 120.000 Menschen Platz bietet, sitzen Gläubige lässig auf dem Gebetsteppich, halten ein Nickerchen oder surfen auf ihren Tablet-Computern.

Im größten islamischen Land der Welt toben Richtungskämpfe zwischen moderaten und radikalen Kräften. Die Nahdlatul Ulama, die mit 50 Millionen Mitgliedern größte islamische Organisation Indonesiens, versucht mit dem Konzept des Islam Nusantara, einer nationalen, liberalen Spielart des Islam, dem rigiden Wahhabismus etwas entgegenzusetzen. Das Konzept ist jedoch umstritten, weil es als antiarabisch und sektiererisch gilt. Für die Mehrheit der Muslime gibt es nur den einen Islam. Die liberale englischsprachige Tageszeitung Jakarta Post, schrieb unlängst: "Ein liberaler Muslim? Bedeutet Islam nicht die Unterwerfung unter den Willen Gottes? Wenn das der Fall ist, klingt der Begriff liberaler Islam nicht wie ein Oxymoron?" Der Islam Nusantara sei ein verkopftes Konzept, das nicht massentauglich ist.

Die Erzkonservativen im Staate gewinnen zunehmend die Oberhand. Das Finale der Miss-World-Wahl musste 2013 auf die hinduistisch geprägte Urlaubsinsel Bali verlegt werden, weil islamistische Hardliner protestiert hatten. Im vergangenen Jahr wurden alkoholische Getränke aus den Supermarktregalen verbannt - offiziell aus Jugend- und Verbraucherschutzgründen.

Experten sehen darin eine schleichende Islamisierung und Abkehr des Landes von einer säkularen Demokratie. Präsident Jokowi und seine Partei befinden sich in einer Koalitionsregierung mit der Islamic National Awakening Party - der Druck religiöser Gruppen nimmt zu. Das lokal gebraute Bintang-Bier etwa wird nur noch in lizenzierten Restaurants oder Hotels ausgeschenkt - für umgerechnet drei Euro die halbe Literflasche, was für indonesische Verhältnisse viel Geld ist - der Durchschnittslohn beträgt umgerechnet 100 Euro im Monat.

Entsprechend blüht der Schwarzmarkt. In den dunklen Gassen Jakartas im Rotlichtviertel Hayam Wuruk werden Bintang-Flaschen unter der Theke gehandelt. Rahmat schert sich um derlei Verbote wenig, am Abend, in der Skybar des Nobelhotels Santika. Auf dem Tisch stehen mehrere Bintang-Flaschen, die Skyline ist hell erleuchtet. "Die indonesische Gesellschaft ist sehr tolerant", sagt Rahmat und zieht genüsslich an seiner Zigarette.

Aber wie viel Toleranz verträgt der Staat bei radikalisierten Gruppen? Der wachsende Islamismus wird zum Prüfstein für die drittgrößte Demokratie der Welt.

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