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Ins Neue

DISKURS
Steiniger - <strong>Ink still wet.</strong> In diesem Workshop werden Impulse für neue Werke für Orchester gegeben. Zudem können die Teilnehmenden ein eigenes Werk mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich einstudieren. - © Foto: Lukas Beck

Ink still wet: „Das Wesentliche ist die Zusammenarbeit“

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Sie sind jung, und sie komponieren. Wie können sie ihre Kunst weiterentwickeln? Das Projekt „Ink still wet“ ermöglicht jungen Komponistinnen und Komponisten kooperative Arbeit, gemeinsames Reflektieren und das Dirigieren des eigenen Werkes.

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Sie sind jung, und sie komponieren. Wie können sie ihre Kunst weiterentwickeln? Das Projekt „Ink still wet“ ermöglicht jungen Komponistinnen und Komponisten kooperative Arbeit, gemeinsames Reflektieren und das Dirigieren des eigenen Werkes.

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„Wäre hier eine Achtelnote statt zwei Sechzehntel denkbar?“ – „Wieso lassen Sie gerade hier die Holzbläser einsetzen?“ – „Wollen Sie an dieser Stelle mal eine Variation davon ausprobieren?“ Georg Friedrich Haas, Komponist und erfahrener Kompositionslehrer, sitzt in einem Saal im Schloss Grafenegg und blättert in einer Partitur. Einmal zeigt er auf jene Sequenz, dann auf eine andere. Neben ihm hat Shiqi Geng Platz genommen, einer von sechs jungen Komponisten und Komponistinnen, die heuer im Rahmen des Grafenegg Festivals am Workshop „Ink still wet“ teilnehmen. Bei diesem können sie mit Haas intensiv an einem Stück arbeiten, das sie in den letzten Monaten geschaffen haben, um es am 4. September in einem Abschlusskonzert mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich uraufzuführen.

83 Künstlerinnen und Künstler aus 33 Ländern hatten sich für den Workshop beworben, ein neuer Rekord in der zwölfjährigen Geschichte des Mentorenprogramms. Georg Friedrich Haas, der heuer auch als Composer in Residence in Grafenegg weilt und neben seiner Kompositionstätigkeit als Professor an der Columbia University in New York tätig ist, hat gemeinsam mit dem Beirat des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich Shiqi Geng, Keane Southard, José Luis Valdivia Arias, Simone Cardini und Lisa Streich ausgewählt. Auch die Österreicherin Tanja Elisa Glinsner, die bereits mehrere heimische Kompositionspreise einheimste, ist unter den Auserkorenen. Schon im März trafen sie sich für eine erste Intensivarbeitsphase mit Haas, Ende August und Anfang September werden die Kompositionen vervollständigt.

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Ich will helfen, das zu finden, was die Komponisten wollen. Dabei sage ich nicht, bleibt, wie ihr seid, sondern sucht, wie ihr seid.

Georg Friedrich Haas

Kooperatives Arbeiten stand und steht dabei klar im Vordergrund: „Mir geht es nicht darum, den Jungen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Vielmehr will ich zum Reflektieren über das, was in den Noten steht, anregen“, beschreibt Georg Friedrich Haas. Dies wird auch in den Sitzungen offensichtlich, wenn er viel mehr Fragen stellt, als dass er Vorschläge macht. Einmal regt er Valdivia Arias dazu an, kleine Details abzuwandeln und die Veränderung zu erkunden. Dann wieder summt er eine Variation vor, um deren Wirkung besser darzustellen. Für den jungen Komponisten eine klare Bereicherung: „Es tut gut, sich selbst und seine Ideen zu hinterfragen“, sagt Valdivia Arias, der Haas auch genau die Beweggründe für seine Komposition auseinandersetzt.

„Wie finden Sie überhaupt Ihre Töne?“, will Haas etwas später auch von Shiqi Geng wissen. Als dieser sich schwertut, das in Worte zu fassen, sieht sich Haas nur bestätigt: „Ich habe den Eindruck, dass Sie sehr genau in sich drinnen hören, was Sie möchten, aber nicht genau wissen, warum.“ Er macht eine Pause, die manche schon vermuten lassen könnte, er meine es negativ. Doch es folgt: „Bleiben Sie dabei. Je mehr Sie sich davon frei machen, sich nach dem Warum zu fragen, desto besser. Genau die Tatsache, dass Sie es nicht wissen, macht in Ihrem Fall die Qualität aus.“ Im Gespräch mit der FURCHE konkretisiert Haas später: „Gerade Shiqi Geng ist jemand, der einfach weiß, wie das Ergebnis funktioniert. Er macht Musik, die ganz vom Ohr kommt. Er denkt in Klang, nicht in Notation. Das ist besonders aufregend.“

Während ein junger Komponist und eine junge Komponistin einzeln mit Georg Friedrich Haas in einem Raum arbeiten, erhalten die anderen im Nebenraum Dirigiertraining. Denn nicht allein, dass ihre Werke vom Tonkünstler-Orchester Niederösterreich zur Uraufführung gebracht werden – Geng, Arias und Co stehen dabei auch noch selbst als Dirigent und Dirigentin am Pult. Und dies teils, ohne es jemals zuvor gemacht zu haben. Hier greift der Dirigent Baldur Brönnimann den Neulingen im Vorfeld unter die Arme. Einerseits geht er mit ihnen zuerst die Partitur durch, um ihnen zu zeigen, wie man heikle Stellen in den Noten besonders verständlich notieren könne, damit die Musiker diese noch leichter so interpretieren, wie Komponist und Komponistin es sich gewünscht haben. Andererseits geht es ans Eingemachte: So hebt Simone Cardini etwa erstmalig die Hand zum Dirigat, als Brönnimann ihn instruiert: „Zeigen Sie die Dynamikwechsel ruhig noch stärker an, das ist das Wichtigste.“ Nachdem er Cardini wieder aus der für ihn ungewohnten Lage befreit hat, führt Brönnimann aus: „Sich am Pult bewegen, das kann eigentlich jeder. Die wahren Schwierigkeiten liegen woanders. Die Schlagtechnik lernt man rasch, aber deren Anwendung lebenslang.“

Man spürt den jungen Komponisten und Komponistinnen an, dass sie bei aller Nervosität begierig sind, das zu erlernen: „Es ist für mich eine Herausforderung, aber ich werde viel üben“, sagt Valdivia Arias. „Gleichzeitig ist es eine tolle Chance, wenn ich den Musikern meine Musik auch noch selbst vermitteln darf.“ Denn natürlich hat er in seiner Funktion als Dirigent die Möglichkeit, den Mitgliedern des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich ganz genau zu erklären, was er sich an welcher Stelle gedacht hat und wie er sich die Interpretation vorstellt. Die Bedeutung dieses Dialogs betont auch Tanja Elisa Glinsner, die bereits auf einiges an Dirigiererfahrung zurückgreifen kann: „Ich genieße die Möglichkeit, mit den Musikerinnen und Musiker direkt über mein Stück zu kommunizieren. Gerade dank ebendieses Austausches, ob nun mit dem Orchester oder vorab mit Herrn Haas, kann alles in sich und ineinanderzufließen beginnen.“ Die Gegenseite hebt Coach Baldur Brönnimann hervor: „Durch das Dirigieren können die Nachwuchskomponistinnen und -komponisten auch noch leichter erkennen, wo in ihren Werken die Herausforderungen für die Musiker und die technischen Finessen liegen. Sie werden die praktische Seite der Instrumentalisten noch besser verstehen.“

Währenddessen ist Simone Cardini bei Georg Friedrich Haas. Das Stück des Italieners lässt den erfahrenen Komponisten sichtlich grübeln: „Es ist toll – aber wird es im Konzert wohl auch so rüberkommen, wie Sie es sich vorstellen? Seien Sie vorbereitet, dass das Publikum oder auch die Musiker vielleicht nicht jedes Detail so verstehen, wie Sie es meinen.“ Anschließend erklärt Haas im Gespräch: „Gerade in der zeitgenössischen Musik ist es nicht so leicht, alles zu notieren, wie man es sich imaginiert. Da kann es schon einmal sein, dass ein Stück bei der Aufführung anders klingt, als es der Komponist eigentlich wollte. Auf diese mögliche Enttäuschung möchte ich vorbereiten. Oft geht es nur um feine dynamische Schattierungen.“ Gerade weil „Notenschrift viel von der Musik, die wir im Kopf haben, kaputtmachen kann“, wolle er seine Schützlinge umso mehr „dazu bringen, klar herauszuarbeiten, was sie sich vorstellen. Ich will helfen, das zu finden, was die jungen Komponisten wollen. Dabei sage ich nicht, bleibt, wie ihr seid, sondern sucht, wie ihr seid.“

Die Aufregung vor dem abschließenden Konzert ist unverkennbar bei allen groß, doch Komponist und Mentor Haas betont: „Das Wesentliche ist nicht so sehr das Konzert, sondern die Zusammenarbeit. Es geht um das Wachsen als Komponist. Wir müssen jungen Komponisten und Komponistinnen Möglichkeiten geben, sich so zu entfalten, wie sie es imstande sind. Eine dieser Möglichkeiten ist Grafenegg – wir brauchen viele Grafenegge.“

Ink still wet Abschlusskonzert
4. September 2022, 15.30 Uhr
Grafenegg Auditorium
Eintritt frei. www.grafenegg.com

Steininger - © Foto: Ricordi Harald Hoffmann

Georg Friedrich Haas

Georg Friedrich Haas ist Komponist und erfahrener Kompositionslehrer.

Georg Friedrich Haas ist Komponist und erfahrener Kompositionslehrer.

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