Wenn ein besonnener Mann wie Kardinal Schönborn von einem "Krieg in der Kirche" spricht, muss einiges los sein. Auf den ersten Blick geht es nur um den Brief eines frustrierten Ex-Nuntius, der dem Papst Vertuschung vorwirft, einige Kardinäle outet und Franziskus zum Rücktritt auffordert.
Das ist an sich schon ein bemerkenswerter Vorgang innerhalb des vatikanisches Hofwesens, aber auch noch ein Teil davon. - In einem Krieg geht es um mehr: um Sturz oder Errichtung symbolischer Ordnungen, um Herrschen und Beherrschtwerden -und das auf Leben und Tod. Der Krieg, der in der Kirche gerade ausbricht, geht um ihre Identität. - Die Basis der neuzeitlichen Identitätspolitik der katholischen Kirche war der Anspruch, im Besitz unveränderlicher Wahrheiten über Kosmos, Körper und Gesellschaft zu sein, darin allen anderen Wahrheitsansprüchen, etwa von Staat, Wissenschaft und Kultur, uneinholbar überlegen. Irgendeine Selbstrelativierung durch andere war da nicht vorgesehen. Repräsentiert war das alles in einem elitär-zölibatären Klerus von unberührbaren "Heiligen Männern" mit Gehorsamsanspruch. - Der Missbrauchsskandal ist aber eine Selbstrelativierung kaum überbietbaren Ausmaßes. Er zeigt undementierbar: Im Innen des klerikalen Wahrheitsanspruchs lauert bisweilen das Gegenteil des Behaupteten. Da bleiben zwei Wege: Dies so lange zu leugnen und zu verstecken wie möglich: die Strategie bis vor Kurzem. Oder man geht den Weg der konsequenten Konfrontation mit der Fremdbeobachtung, den Weg also in die eigene Ratlosigkeit, Verwundbarkeit und Demut. - Das ist mehr als Scham, es ist die Einsicht, die eigene Identität nicht länger durch Abgrenzung, Erhabenheit und Überlegenheit gegenüber den anderen zu finden, sondern in der Demut vor den Mühen eines christlichen Lebens in postmodernen Zeiten. Und dann als Klerus wirkliche Konsequenzen zu ziehen.
Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz
