Innerliche Verneigung

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"Meisterwerke der Zeichenkunst aus der Sammlung Brandes" im Linzer Museum Nordico.

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"Meisterwerke der Zeichenkunst aus der Sammlung Brandes" im Linzer Museum Nordico.

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Gemälde haben oft einen etwas plakativen, spektakulären Charakter. Zeichnungen aber strahlen sehr viel mehr Intimität und Ruhe aus. Oft dienen sie auch als Studien und Entwürfe für besondere Aufträge, daher lassen sich an ihnen auch ganz bestimmte künstlerische Entwicklungsstufen erkennen. Als einzige Station in Österreich hängen derzeit im Linzer Stadtmuseum Nordico 130 Zeichnungen aus einer Sammlung von 444 Werken von Rembrandt bis Menzel: "Meisterwerke der Zeichenkunst aus der Sammlung Brandes".

Die Schau ist in ihrer thematischen und künstlerischen Vielfalt sowie Vielschichtigkeit ebenso wertvoll und beeindruckend wie die Person des Sammlers. Wilhelm Brandes, 1839 in Kopenhagen geboren, ließ sich als 37-jähriger Bankier in Konstanz nieder. Nachdem seine erste große Kunstsammlung durch eine Unachtsamkeit Fremder verbrannte, baute er in seinen noch verbleibenden 12 Lebensjahren eine neue auf. Dem alleinstehenden Kunstliebhaber, nicht kühlen Investor, wird nachgesagt, er habe ein besonderes Interesse an Porträts gehabt. Wie auch immer - bei den gezeichneten menschlichen Antlitzen ist es Judith mit dem "Haupt des Holofernes" von Salomon de Bray (1597 bis 1664), die ganz konträr zum alttestamentarischen Buch wirkt: keine religiös-triumphierende Schönheit wird gezeigt, sondern der Niederländer schuf den Typ einer ältlichen, fülligen Priesterin, die zwar prächtig gekleidet ist, aber traurig und resignierend vor sich hinblickt - so als hätte sie schweren Herzens einen göttlichen Auftrag erfüllt. Das Haupt des Holofermes hält sie wie bergend, aber nicht als Beute im Schoß. Beide wirken wie dem Schicksal ausgeliefert.

Auch der Maler und Zeichner Adolph Menzel (1815 bis 1905) war in seiner Kunst ständig auf der Suche nach Abbildung der Lebens. In der frappierenden Kreidezeichnung von 1886 - "Geneigter Kopf einer jungen Frau in Untersicht" - die auch die Titelseite des Ausstellungsprospektes schmückt, schlüpft er in das Modell förmlich hinein.

1899 erwarb Brandes das wohl berühmteste Blatt der Sammlung: Eine Zeichnung von Alfred Dürer, es handelt sich um einen Entwurf für einen Drachenleuchter aus Elchgeweih, der 1522 von Veit Stoß ausgeführt wurde und heute im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg zu betrachten ist. Der Kunstsammler hinterließ der Nachwelt also eine ganze Kollektion mit Werken von der italienischen und deutschen Renaissance über erlesene Holländer, italienischen Barock, französisches Rokoko und die deutsche Gründerzeit. So steht der Betrachter auch bewundernd vor Werken von Martin Schongauer, Lukas Cranach, Giambologna, Tiepolo, Carrell Dujardin, Moritz von Schwind, Karl Spitzweg, Max Klinger und anderen.

Das klingt nach und ist natürlich auch international bedeutende Kunst. Trotzdem steht der Beschauer nicht nur in Andacht vor den Zeichnungen, nein, diese sind so geartet, dass es ihm gelingt, zu jeder eine persönliche Beziehung aufzubauen. Er genießt die Ruhe und Beschaulichkeit, die von den gezeichneten niederländischen Landschaften ausgeht, er amüsiert sich über die Deftigkeit des dargestellten niederländischen Gasthauslebens, er erfreut sich an dem Stilleben und wird berührt durch die Darstellung biblischer Szenen, er bewundert die Genauigkeit der Entwürfe für kunstgewerbliche Gegenstände und Gemälde und setzt sich mit den Porträts auseinander, und er verneigt sich innerlich vor der Persönlichkeit Brandes, die für all das so einen besonderen Blick gehabt hat.

Bis 9. Juli

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