Innsbrucker Initiativen

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Seit 1963 setzen die Festwochen in der Tiroler Landeshauptstadt internationale Maßstäbe. Auch das diesjährige Programm, das am 8. August beginnt, kann sich sehen lassen.

Am Anfang stand die Initiative eines einzigen, tatkräftigen Mannes: Otto Ulf, ein Wiener Musiker, den die Kriegswirren nach Tirol verschlagen hatten. 1963 rief er anlässlich der 600-jährigen Zugehörigkeit Tirols zu Österreich die Ambraser Schlosskonzerte ins Leben; Musik jener Zeit - das, was gemeinhin "Alte Musik" genannt wird - sollte auf historischem Boden erklingen.

Die Konzerte wurden zur Keimzelle der heutigen Festwochen. Ihre Geschichte in den vergangenen 46 Jahren liest sich wie ein "Who is who" der Spitzeninterpreten Alter Musik. Zwanzig Jahre hindurch fixierte hier vor allem der Concentus musicus unter Nikolaus Harnoncourt den Maßstab für höchste Qualität; daneben traten zahlreiche andere, bis heute klangvolle Namen der "Szene" hier erstmals in Erscheinung.

Heute dienen die Ambraser Schlosskonzerte, angesiedelt im Juli vor Beginn der eigentlichen Festwochen, vornehmlich als Sprungbrett für junge, hoffnungsvolle Musiker. Ihr Schauplatz ist der Spanische Saal auf Schloss Ambras in Innsbruck, ein langgestreckter Raum mit einer prachtvollen Kassettendecke und hervorragender Akustik.

Der nächste Schritt dieses organischen Wachstums folgte 1972, als Otto Ulf die Internationale Sommerakademie für Alte Musik gründete. Sie leistete mit hochrangigen Dozenten und bis zu 120 Studenten einen wichtigen Beitrag zur Heranbildung einer neuen Generation von Musikern, denen der Umgang mit den jeweiligen Instrumenten der Zeit samt seiner revolutionären Folgen für die Art, sich musikalisch auszudrücken, inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Zum Bedauern vieler wurde die Sommerakademie 2005 eingestellt und 2007 durch ein neu gegründetes "Akademieprojekt Barockorchester" ersetzt.

Die Geburt der Festwochen

Die Sommerakademie bildete ihrerseits den Nährboden für die 1977 von Ulf gegründete "Festwoche der Alten Musik". 1980 öffnete sich dann erstmals der Vorhang zur szenischen Produktion einer Barockoper. 1991 wurde das Festival auf zwei Wochen erweitert; seither werden fast alljährlich zwei Opern präsentiert.

Die künstlerische Leitung übernahm 1995 der belgische Countertenor René Jacobs, heute tatkräftig unterstützt von der Geschäftsführerin Sarah Wilson. Jacobs hat sich seit nunmehr über zwanzig Jahren dem Dirigieren gewidmet; durch seine Opernproduktionen, die oftmals in Zusammenarbeit mit führenden Bühnen Europas entstanden, wurde er mehr und mehr zum zentralen Publikumsmagneten der Festwochen.

Gerühmt wird dabei vor allem der lebenssprühende Charme seiner Interpretationen und seine Gabe, jedes Mal eine Schar exzellenter Sänger um sich zu versammeln, denen er seine Kunst eines zielgerichteten Barockgesanges weiterzugeben vermag. Diskussionswürdig fand man zuweilen seinen Hang zur ausschmückenden Bearbeitung der Originalpartituren, die jedoch stets im Dienste dramatischer Verdeutlichung steht.

2001, also im 25. Jahr ihres Bestehens, legten die Festwochen ihren Beinamen "… der Alten Musik" ab. Das sollte nicht etwa einen drohenden Identitätsverlust, sondern insbesondere das längst vollzogene Übergreifen der Originalklangbewegung auf die Musik der Wiener Klassik und Frühromantik signalisieren. Bei weitem dominierend aber blieb und bleibt auf szenischem Gebiet die Barockoper in ihren vielfältigen Ausprägungen.

Besonderes Augenmerk widmete man dabei mit vier Inszenierungen dem Œuvre von Pietro Antonio Cesti; mit seiner unerschöpflichen melodischen Einfallskraft gilt er als das größte Genie der venezianischen Oper nach Claudio Monteverdi.

Erzherzog Ferdinand Karl, wie sein Vater Erzherzog Leopold V. ein "Musiknarr" und wie dieser mit einer Medici aus Florenz verheiratet, hatte Cesti 1652 nach Innsbruck geholt, der dort mehrere seiner prunkvollen Opern zur Aufführung brachte.

Ein weiteres Interessensgebiet von René Jacobs stellt die deutsche Barockoper - insbesondere von Georg Philipp Telemann - dar; daneben fehlt jedoch in der langen Liste der hier aufgeführten Werke zwischen Monteverdi, Cavalli, Purcell, Händel oder Alessandro Scarlatti kein erlauchter Name, wobei das "deutsche Regietheater" glücklicherweise noch keinen Eingang in der Szenerie gefunden hat.

Weit gefächert zwischen Musik des 14. und des 18. Jahrhunderts ist seit je das Konzertprogramm. Einen zusätzlichen Reiz bietet dabei die Vielfalt der historischen Spielstätten: Neben Schloss Ambras sind es der Riesensaal der Hofburg, Dom, Jesuiten- und Hofkirche sowie die Stiftskirche Wilten; in früheren Jahren auch die sogenannte Dogana, Torso des ältesten freistehenden Theaters (1629/30) nördlich der Alpen.

Das Programm 2008

Im Tiroler Landestheater umrahmen heuer zwei szenische Oratorien des Programm des Festivals. Den Beginn macht am 8. August Händels "Belshazzar" von 1745: in Wahrheit eine verkappte Oper, deren Dramatik in der geisterhaften Vision des Menetekels - der Flammenschrift an der Wand - sowie in der Eroberung Babylons durch die Perser kulminiert. Händel hat hier mit expressiven Accompagnati sowie den prägnant charakterisierenden Chören der Juden, Babylonier und Perser eine seiner stärksten Partituren hinterlassen. Christof Nel inszeniert, René Jacobs leitet die Akademie für Alte Musik Berlin und ein erlesenes Solistenensemble.

Beschlossen werden die Festwochen am 23. und 24. August mit einer absoluten Rarität: "Il martirio di Sant'Agnese" des römischen Organisten Bernardo Pasquini (1677). Alessandro di Marchi dirigiert, der Innsbruck-bewährte Vincent Boussard führt Regie.

Aus dem facettenreichen Konzertangebot stechen ein weiteres, diesmal konzertant musiziertes Oratorium, Antonio Caldaras "Maddalena ai piedi di Christo" unter René Jacobs im Innsbrucker Congress, sowie eine römische Marienvesper unter Konrad Junghänel im Stift Stams hervor.

Abgerundet wird das Festprogramm wie alljährlich durch das volkstümliche Renaissancefest auf Schloss Ambras, die frei zugänglichen Mittagskonzerte im Hofgarten sowie ein musikwissenschaftliches Symposium. Man sollte wieder einmal in Innsbruck sein …

Der Autor ist Musikkritiker.

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