Inspiration durch natürliche Innovation

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Prothesen sollen künftig mit mehr Intelligenz ausgestattet sein. Die Technik-Entwicklung gemäß biologischen Vorbildern könnte künftig aber auch "elektrische Pillen" und selbstheilende Materialsysteme hervorbringen. Bericht anlässlich des TU-Forums zum Thema "Bionik".

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Prothesen sollen künftig mit mehr Intelligenz ausgestattet sein. Die Technik-Entwicklung gemäß biologischen Vorbildern könnte künftig aber auch "elektrische Pillen" und selbstheilende Materialsysteme hervorbringen. Bericht anlässlich des TU-Forums zum Thema "Bionik".

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Jahrmillionen an biologischer Evolution haben so manch erstaunliche Leistung hervorgebracht - und diese Leistungen sind seit langem eine große Inspiration für die Wissenschaft und Technik. So studierte bereits das italienische Universalgenie Leonardo da Vinci den Vogelflug, um Fluggeräte für den Menschen zu entwickeln. Aber es sollte noch ein paar Jahrhunderte dauern, bis sich eiserne Vögel mit fantastisch großer Reichweite durch die Lüfte bewegten. Auch die Konstrukteure der modernen Autos haben sich zunehmend an tierischen Vorbildern orientiert: bei der Karosserie, wo heute oft die Formen des windschlüpfrigen Pinguins stilprägend sind, bei den Sitzen, die sich wie Käferpanzer um den Körper schmiegen, oder bei den Lamellen der Reifen, die ähnlich wie die genoppten Füße der Geckos für den nötigen Griff sorgen sollen. Aber auch bei der Abstandswarnung, wo das biologische Programm der Fledermäuse übernommen wurde: Denn die nachtaktiven Tiere sondieren ihre Umwelt mittels Ultraschall nach dem Echolot-Prinzip. Damit können sie auch bei Dunkelheit Hindernisse erkennen und Entfernungen abschätzen.

Fühlende Prothesen

Was schon immer in die Technologie-Entwicklung hineingespielt hat, läuft heute unter einem eigenen Label: "Bionik" zielt darauf ab, bei technischen Lösungen vom Einfallsreichtum der Natur zu lernen. Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Medizintechnik wurden am 9. Dezember bei einem Forum der Technischen Universität Wien diskutiert: Dazu zählen etwa Prothesen, die sich immer mehr dem menschlichen Körper angleichen sollen -auch aus wirtschaftlicher Sicht ein viel versprechender Einsatzbereich, dem aufgrund der alternden Bevölkerung ein starkes Wachstum vohergesagt wird. Dasselbe gilt für Orthesen, Hilfsmittel zur Unterstützung gelähmter Gliedmaßen.

Durch intelligente Leichtbauprothesen, bei denen Muskeln und Knochen, Knorpel und Gelenke nachgebildet sind, soll der Prothesenanwender immer weniger an eine Maschine erinnert werden. Und mit verstärkter Anwendung von Sensorik sollen Handprothesen künftig auch das Fühlen, etwa der Temperatur und Konsistenz eines Gegenstands, ermöglichen. "Die Bewegung soll auch besser steuerbar sein und intuitiver, also wirklichkeitsnäher erfolgen", sagt Christian Hofer, Prothesenforscher bei der österreichischen Tochterfirma des deutschen Medizintechnik-Konzerns Ottobock Healthcare. Damit verbunden ist die Entwicklung einer verbesserten Anbindung der Prothese an den Körper, auch durch Implantate.

2007 hat das Unternehmen die weltweit erste Bionik-Armprothese in Serienproduktion vorgestellt. Die Gedankengesteuerten High-Tech-Geräte wurden bislang vor allem bei Patienten nach unfallbedingten Amputationen eingesetzt. Die Technik der "bionischen Rekonstruktion" mittels Roboter-Prothesen kam aber auch schon bei Patienten mit schwersten Verletzungen des Arm-Nervengeflechts erfolgreich zur Anwendung, wie Ärzte der Med-Uni Wien heuer im renommierten Medizin-Journal Lancet berichteten. Eine Innovation am Prothesenmarkt war zuletzt auch die "Michelangelo-Hand", die aufgrund beweglicher Finger und eines separat positionierbaren Daumens verbesserte Greifbewegungen erlaubt. Das erleichtert die Aktivitäten des täglichen Lebens; gerade auch jene, bei denen beide Hände erforderlich sind. Die funktionelle Kluft zwischen künstlicher und natürlicher Hand wird damit verringert. "Der vollständige Ersatz einer Extremität ist derzeit aber eine Utopie", so Hofer.

Osteoporose im neuen Licht

Bis in die Mikro-und Nano-Ebene reichen die aktuellen Bemühungen, Biologie und Technik miteinander zu verknüpfen: Die Erforschung des Knochens beleuchtet molekulare Strukturen, was etwa für neue diagnostische Verfahren bei Osteoporose relevant zu werden verspricht. Die Diagnose dieser Krankheit beruht bislang vor allem auf der Knochendichte-Messung sowie der klinischen Untersuchung und Befragung. "Alters- und krankheitsbedingte Veränderungen in der Knochenproduktion haben ihren Ursprung auf der molekularen Ebene", berichtet Philipp Thurner vom Institut für Leichtbau und Struktur-Biomechanik der TU Wien. "Es stellt sich daher die Frage, welche Faktoren hier zu einer verbesserten Diagnostik beitragen können." Vor allem die nicht-kollagenen Proteine in den Zwischenschichten des Knochens scheinen dessen "Bruchzähigkeit" zu steigern, und der Ursprung dieser Steigerung scheint ein molekularer Selbstheilungseffekt dieser Proteine zu sein. Die Entwicklung ähnlicher Substanzen könnte künftig dazu beitragen, Knochenbrüche besser zusammenzufügen und Operationen wesentlich schonender, mit weniger Schrauben und Drähten, durchzuführen. "Vielleicht aber dienen die Einsichten in die kleinräumige Knochenstruktur eines Tages auch dazu, um Implantate zu ersetzen", sagt Thurner - oder gar selbstheilende Materialsysteme für die Industrie zu entwickeln.

Elektrische Schmerzlinderung

Aber auch neuartige therapeutische Ansätze folgen dem bionischen Prinzip. Eugenijus Kaniusas etwa forscht an einem Verfahren zur Schmerzlinderung, das auf der elektrischen Stimulation bestimmter Nervenendigungen in der Ohrmuschel beruht. Das Prinzip dahinter: Der Schmerz wird nicht direkt am erkrankten Organ bekämpft, sondern das vegetative Nervensystem wird angeregt, das Problem selbst zu richten. "Die elektrische Reizung setzt wünschenswerte biologische Prozesse in Gang. Wir klopfen damit an einer Tür des Körpers", erläutert der Professor vom Institut für Elektrische Schalt-und Messungstechnik der TU Wien. "Die Therapie ist nicht schmerzhaft; von manchen Patienten wird sie sogar als angenehm empfunden." Derzeit gibt es positive Erfahrungen mit einer einwöchigen Therapie in Intervallen von zwei bis drei Stunden.

Die Aktivierung des beruhigenden Nervensystems führt dabei zur Entzündungshemmung und einer verbesserten Durchblutung an den Gliedmaßen, von der zum Beispiel Diabetiker profitieren können. "Manche Patienten konnten auf diese Weise sogar vor der Beinamputation gerettet werden", berichtet Kaniusas. Die große Zukunftsvision ist die differenzierte Anwendung dieses Verfahrens im Sinne der Entwicklung elektrischer Pillen ("Electrozeuticals"). Wie Medikamente sollen diese bei bestimmten Indikationen zum Einsatz kommen -dabei aber fast frei von Nebenwirkungen sein. "Die Herausforderung liegt im besseren Verständnis des menschlichen Nervensystems, um gezielt an bestimmten Knöpfen drehen zu können", sagt Kaniusas. "Das 'bionische Cockpit' muss freilich noch erfunden werden."

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