Interkulturelles Spiel mit Multimediaeinsatz

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Kristian Smeds zeigt bei den Wiener Festwochen eine eigenwillige Bearbeitung von Anton Tschechows Stück "Kirschgarten“. Statt Theaterabend heißt es Freiluftkinoabend.

Theaterkonventionen auszuhebeln und überhaupt den Begriff von Theater zu erweitern, sind die charakteristischen Merkmale von Kristian Smeds’ künstlerischen Arbeiten. Zuletzt war der finnische Theatermacher mit seiner Multimedia-Show "Mental Finland“ bei Linz09 zu sehen, bei den diesjährigen Wiener Festwochen zeigt er eine eigenwillige Bearbeitung von Anton Tschechows "Kirschgarten“.

"Haus-, Hof- und Gartentheater“

Smeds passt seine Theaterstücke den Gegebenheiten an, er verbindet Sprachen, Menschen, Orte und verschiedene Medien miteinander. Daraus entsteht ein interkulturelles Spiel mit vollem Multimediaeinsatz. Seine "Kirschgarten“-Inszenierung aus dem Jahr 2009 ist aus dem gleichen Arbeitsprozess entstanden. Bei der gemeinsamen Textlektüre mit Kollegen aus Litauen in einer kleinen Sommerhütte in der Nähe von Vilnius entstand die Idee, Tschechows Komödie zu einem intimen "Haus-, Hof- und Gartentheater“ umzuarbeiten und das Geschehen in der Hütte sowohl live als auch via Videoprojektion abspielen zu lassen.

Gemeinsam mit seinem litauischen Schauspielerensemble hat Smeds nun die Komödie um den Zerfall des russischen Landadels in eine kleine Wiener Gartenlaube auf dem Areal des Flüchtlingsdorfs Macondo im 11. Bezirk transportiert. Die Zuschauer werden mit Bussen gebracht und verteilen sich dann auf ein abgezäuntes Wiesengelände mitten in Macondo. Um neun Uhr geht im benachbarten Flüchtlingsheim das Licht automatisch aus, genau dann beginnt nebenan fürs Festwochenpublikum der Unterhaltungsabend.

Die Gartenhütte inmitten der Grünfläche bietet nur Platz für ein Dutzend Theatergäste, gemeinsam mit den Schauspielern sitzen sie inmitten des mit Umzugskartons und Gartengerätschaft voll gestopften Holzschuppens. Der Rest muss draußen bleiben. Statt Theaterabend heißt es also Freiluftkinoabend. Das intime Spiel des fabelhaften Schauspielerensembles, dessen Stärke vor allem die mimische Ausdruckskraft ist, kann dann nur mehr via Videoprojektion verfolgt werden. Dadurch entsteht nach kurzer Zeit der Eindruck, als ob das Kinoprogramm ausgefallen sei und als Ersatz auf den Theaterfernsehkanal umgeschaltet wurde. Eigentlich ist es Smeds’ Intention durch den Einsatz der Kamera den Bühnenraum zu erweitern, in diesem Fall bildet er ihn aber einfach nur nochmals auf der Kinoleinwand ab. Erst zum Schluss wird das Geschehen ins Freie verlegt. Ein Fest der Kirschgartenbewohner mit artistischen Elementen und Zauberkunststücken bringt ein wenig Stimmung, und die durchfrorenen Theaterzuschauer tauen wieder etwas auf.

Konstruierte Verbindung

Die Aufführung in Macondo endet mit dem dritten Akt, Lopachin, der neue Besitzer des Gartens vertreibt die Bewohner inklusive Publikum aus dem Areal. Erst durch die Intervention eines echten Macondo-Bewohners, der an das Schicksal der Menschen von Macondo erinnert und als Einziger gegen Lopachins Besitzanspruch aufbegehrt, werden die Zauntüren wieder geöffnet und das Fest kann weitergehen. Der vierte Teil wird tags darauf im Schauspielhaus gezeigt und präsentiert vor allem Videoausschnitte zu den Vorarbeiten und den Aufführungen in Vilnius.

Was Macondo wirklich ist, welche politischen und wirtschaftlichen Interessen hier auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen werden, findet nur kurz Erwähnung. Die Verbindung zwischen dem Ort, den Schauspielern und dem Stück bleibt unklar und wirkt mehr konstruiert als durchdacht. Smeds’ Inszenierung, obwohl schauspielerisch wunderbar geglückt, lässt das Publikum ratlos und befangen zurück.

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