Internet: Datenkübel oder ein weltweites Gehirn?

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Das Internet spaltet Betrachter und Nutzer: Findet sich im globalen Netz nur eine Anhäufung von Daten - oder ergibt sich in Summe daraus eine Art Gehirn?

Das Internet hat eine tief greifende Veränderung gesellschaftlicher Gepflogenheiten in Gang gesetzt. Uneinigkeit besteht jedoch in der Frage, wie diese zu bewerten ist. Die einen sprechen euphorisch vom "globalen Gehirn“, einem Superorganismus der - ganz im Sinne der Schwarmintelligenz - mehr ist als die Summe seiner User. Andere bedauern das Heraufdräuen eines digitalen Pöbels, der das Web als Spielfeld von Belanglosigkeiten missbraucht. Für beide Ansichten bietet das World Wide Web Belege.

PageRank sucht die Mehrheit

So basieren die Kaufempfehlungen des Buchhändlers Amazon auf den Recherchen anderer User, die nach ähnlichen Themen gesucht haben. Obwohl es mittlerweile schon ausgefeiltere Systeme gibt, wird man zuweilen auf Werke aufmerksam gemacht, die einem sonst entgangen wären. Auch der PageRank-Suchalgorithmus arbeitet mit der Hypothese, dass Mehrheiten zu korrekten Einschätzungen tendieren. Die Gewichtung einer Webseite errechnet sich dabei aus der Anzahl anderer Seiten, die auf erstere verlinkt haben. Seiten, auf die häufig verwiesen wird, erhalten eine höhere Autorität zugewiesen, was im Ranking ebenfalls berücksichtigt wird. Einen ähnlichen Gedanken verwirklicht der "Trust-Button“ der Online-Auktionsbörse Ebay.

Erste Ansätze einer Nutzung der Massen zeigt auch der noch junge Trend des "Crowdsourcing“. Unternehmen lagern innerbetriebliche Aufgaben an die anonyme Masse des Internets aus. Eine beliebte Methode sind Ideenwettbewerbe: Interessierte können Vorschläge zur Lösung eines konkreten Problems oder für ein neues Produktdesign machen. Kommerzielle Unternehmen wie 3M oder Lego setzen ebenso darauf wie Forschungseinrichtungen, etwa die NASA oder das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR). Der leitende Gedanke dabei: Betriebsfremde, und somit unvoreingenommene Personen, können allein aufgrund ihrer Masse Ideen einbringen, die kein Expertenteam alleine entwickeln könnte. Die mittlerweile mehr als zwei Milliarden Internet-User stellen ein unschätzbares Potenzial dar.

Fans bestimmer über Transfers

Einen interessanten Ansatz hat der englische Fußballverein Ebbsfleet United gewählt. Gegen eine Gebühr kann man Vereinsmitglied und Besitzer werden. Das gibt das Recht, via Internet Vorschläge über Vereinsentscheidungen zu machen und bei solchen abzustimmen. Auch über Spielerkäufe. Ein Traum für jeden Fußballfan, der es schon immer besser wusste als der Mannschaftstrainer. Zwar dürfte diesfalls finanzielle Not der Vater des Gedankens gewesen sein. Dennoch ist es eine erfrischende Alternative zum Sportclub-Kaufrausch eitler Milliardäre. Mittlerweile sind mehr als 50.000 Fußballfans Miteigentümer des Vereins.

Mit der rohen Masse an Entscheidungsträgern stellt sich jedoch ein neues Problem. Wie soll man aus der Flut an Ideen und Vorschlägen auswählen? Manuell lässt sich diese nicht mehr sichten. Automatisierte Systeme müssen sich an formalen Kriterien orientieren. Dies ist ein Schwachpunkt jeder Form von Schwarmintelligenz: Mehrheitsentscheidungen tendieren zum robusten Mittelmaß. Nicht nur eklatanter Unsinn, sondern auch außergewöhnliche Genieblitze fallen nicht mehr auf, weil die Mehrheit Risiken meidet.

Bisher ist das Internet ein globales Gedächtnis. Die interaktiven Mechanismen des Web 2.0 erlauben jedem die Mitgestaltung am Web, das jetzt je nach Sicht keinem oder allen gehört. Der folgerichtige nächste Schritt ist die Veredelung dieser Strukturen zum "Semantischen Web“, das blanke Informationen um Bedeutungen erweitert. Die Rede vom intelligenten Internet wird so beträchtlich plausibler.

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