Berufsschulen: Interreligiöse Feinkost

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In der "Spar"-Berufsschule in Wien-Hietzing lernen Lehrlinge aller Konfessionen von- und miteinander. Über religiöse Differenz - und Halal-Fleisch - im Supermarkt.

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In der "Spar"-Berufsschule in Wien-Hietzing lernen Lehrlinge aller Konfessionen von- und miteinander. Über religiöse Differenz - und Halal-Fleisch - im Supermarkt.

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Publicity ist nicht gerade etwas, wovor sich große Unternehmen fürchten. Aber auf jene Form der Aufmerksamkeit, die der Lebensmittelkette Spar vergangenen November und Dezember zuteil wurde, hätte man wohl lieber verzichtet. Gerade eben hatte man in 20 Wiener Supermärkten den Verkauf und die Bewerbung zweier neuer, verpackter Produkte gestartet, die mit dem "Halal"-Zertifikat versehen waren und folglich den islamischen Speisevorschriften entsprachen, als im Internet eine Hasskampagne über den Konzern hereinbrach. Islamfeindliche und rassistische Postings waren ebenso darunter wie Anfeindungen von Tierschützern. Auch die Erklärung des Unternehmens, dass die Tiere vor dem Ausbluten (das auch bei allen anderen Schlachtungen üblich ist!) betäubt würden und nur ein rituelles Gebet gesprochen würde, konnte die Hetzer nicht kalmieren.

Am Ende stellte Spar den Verkauf ein - und geriet in einen noch gewaltigeren Shitstorm. Man sei vor Ausländerhassern in die Knie gegangen, hieß es in sozialen Netzwerken. Hat man also falsch reagiert? "Nach diesen massiven Anfeindungen und Bedrohungen war das eine notwendige Schutzmaßnahme - auch gegenüber unseren Kunden", rechtfertigt Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann den umstrittenen Schritt. In den hauseigenen "Ethno-Regalen" gäbe es aber noch zahlreiche andere Produkte mit Halal-Zertifikat.

Private "Kulturpflege"

Dass ausgerechnet der Lebensmittelriese Spar zum medialen Buhmann wurde, ist umso bemerkenswerter, als sich das Unternehmen seit Langem schon um ein Klima interreligiöser und kultureller Wertschätzung - sowie ein entsprechendes Image nach außen - bemüht. Tatsächlich hat man 2010 den "Österreichischen Integrationspreis" für ein Projekt erhalten, das in dieser Form einzigartig ist: den sogenannten "Kulturpflegeunterricht" an der Spar-Akademie, der konzerneigenen Berufsschule für Lehrlinge aus Wien.

Ob katholisch, muslimisch oder orthodox, ob aus Pakistan, Serbien oder Wien: Junge Menschen aller Religionen und Herkünfte sollen sich hier, in Wien-Hietzing, in ihrer weltanschaulichen Vielfalt kennen und schätzen lernen - und sich diese Offenheit nach dreijähriger Lehre zum Lebensmittelhändler oder zur Feinkostfachverkäuferin auch im Alltag bewahren. Zwei bis drei Halbtage pro Woche kommen sie nach Hietzing, um zur Supermarkt-Praxis die nötige Theorie zu lernen; eine der insgesamt zehn Stunden ist für "Kulturpflege" reserviert.

Der etwas sperrige Begriff ist nicht ganz neu. Es war 1958, als die Firma Meinl in ihrer bereits 1906 gegründeten Lehrlings-Ausbildungsstätte diesen Gegenstand als verbindliche Übung einführte. Im Jahr 2000 übernahm schließlich die Spar AG nicht nur die Meinl-Filialen, sondern auch die private Berufsschule. 270 Schülerinnen und Schüler, 24 Nationen und 14 Religionsbekenntnisse sind heute hier vertreten, erzählt Robert Renz, seit Jänner neuer Leiter der Akademie. Das Fach "Kulturpflege" sei dabei "essenziell", erklärt er: "Wir versuchen, die verschiedenen Religionen in den Unterricht zu tragen." Gemeinsame Besuche von Kirchen, Synagogen oder Moscheen gehörten dazu. Nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame suchen: Darum gehe es.

Derjenige, der die Lehrlinge dabei begleitet, ist der Augustinerpater Nikolaus Schachtner. Im ersten Lehrjahr klopft er mit ihnen Fragen der Persönlichkeitsbildung und Ethik ab: Wer bin ich? Was ist mir wichtig? Wie verhalte ich mich? Im zweiten Jahr steht die Vielfalt der Religionen am Lehrplan. Und zuletzt geht es um philosophische Lebensfragen sowie das zentrale Thema Religion und Essen. Ob der Halal-Fleisch-Streit bei den Lehrlingen ein Thema war? "Eigentlich nicht", sagt der Priester nach kurzem Nachdenken. "Kein einziger Schüler hat nachgefragt". Was natürlich nicht heiße, dass diese Sache nicht intern diskutiert worden wäre.

Und wie betet ihr?

Das Thema an diesem Donnerstagnachmittag ist nicht ganz so pikant. Es geht um Gestik und Körpersprache - im Alltag ebenso wie im Gebet und bei der Arbeit. "Wie drücke ich gegenüber jemand anderem meine Offenheit aus?", fragt P. Nikolaus die 3. Klasse im Lehrsaal A. "Und wie ist das gegenüber Gott?" Bald schon entspinnt sich eine rege Diskussion über Gebetshaltungen. "Wir halten die Hände vor uns und öffnen sie zu einer Schale", erklärt der 17-jährige Muslim Sedef. "Und zu Beginn berühren wir mit den Händen die Ohren.""Eigentlich ist das ganz detailliert geregelt", ergänzt der 18-jährige Zeeshan. "Beim Stehen halten die Männer ihre Hände in der Höhe des Bauchnabels und Frauen etwas höher. In der Sitzposition sind wir Schulter an Schulter und beugen uns dann nach vor, bis die Stirn am Boden ist - ohne dass der Ellbogen den Boden berührt.""Aber was bedeutet das?", fragt die Altkatholikin Denise. "Es ist ein Zeichen äußerster Hingabe", antwortet P. Nikolaus. "Vergleichbar vielleicht mit der Priesterweihe in der römisch-katholischen Kirche oder dem Karfreitag, wenn sich der Priester ganz auf den Boden legt."

Das Staunen im Raum ist groß. Nicht kleiner wird es, als man Weihwasser und rituelle islamische Waschungen vergleicht - oder entdeckt, dass in Moscheen und serbisch-orthodoxen Kirchen meist keine Sesseln stehen, während in katholischen Kirchen gern auf Holzbrettern gekniet wird. "Als Zeichen der Demut", wie der polnischstämmige Kevin erklärt.

Ein solcher Unterricht ist nicht nur spannend für alle Beteiligten - für P. Nikolaus ist er in Zeiten wie diesen auch "ein Zukunftsmodell für alle Schulen", wie er betont. "Die Antwort auf die Diskussion über islamische Kindergärten kann ja nicht sein, dass man nur noch Ethikunterricht macht oder konfessionelle Schulen schließt, sondern dass man Religion als Teil des Lebens reflektiert." Jugendliche, die ernst genommen würden und reflektiert über ihren Glauben sprechen könnten, hätten auch weniger Integrationsprobleme und seien nicht so anfällig dafür, radikalisiert zu werden, ist er überzeugt.

Bereits seit 1998 ist der 45-jährige Ordensmann Kulturpflegelehrer an der Spar-Akademie. Seit fünf Jahren ist er zudem pädagogischer Direktor der privaten Berufsschule - und damit Angestellter des Unternehmens. Ein Kollar und daneben eine "Spar"-Tanne am Revers?"Für mich geht das gut zusammen", sagt er lächelnd.

Auch alle anderen Kulturpflegelehrer vor ihm sind Priester gewesen. Böse Zungen könnten zwar behaupten, dass man sich durch dieses Konzept vor allem weitere Religionslehrer anderer Konfessionen erspare - aber für P. Nikolaus ist diese Form des religiösen Austauschs "ganz bewusst" gewählt.

Ein Muslim hinter der Wurst

Die Herausforderung für ihn selbst bestehe darin, sich religionswissenschaftlich ständig weiterzubilden. Erst heuer habe er erstmals auch eine jesidische Schülerin an der Schule, erzählt P. Nikolaus. "Hier gibt es keine schriftliche Überlieferung, das ist auch für mich sehr spannend."

Für die Lehrlinge wiederum geht es darum, das Gelernte in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Zum Beispiel dann, wenn man - wie der Muslim Zeeshan - in einer Wiener Eurospar-Filiale hinter der Wursttheke steht. "Wenn mich ein Kunde fragt, wie diese Salami schmeckt, kann ich ihm ja eigentlich nicht antworten", erzählt er. "Aber ich kann schon vorher ein paar Kollegen fragen und dann sagen: Die schmeckt eher g'schmackig oder pikant." Und was sagt er zur Halal-Debatte über seinen Arbeitgeber? "Spar könnte mit solchen Produkten bei Fleisch wesentlich mehr Umsatz machen", rechnet er vor. "Sie mussten also ihre Gründe haben, es zu lassen."

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