Bravouröse Aufführung in Graz: Prokofjews "Romeo und Julia" in der modernen Tanzsprache von Darrel Toulon.
Die berühmteste Love-Story der Literatur zu Klängen des wohl populärsten russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts: Dass Sergej Prokofjews Bühnenversion von Shakespeares "Romeo and Juliet" nicht eine durchschlagende Erfolgsgeschichte schreiben konnte, ist zu keinem geringen Teil auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, mit denen das Werk die Ausführenden konfrontiert. Obwohl 1935 im Auftrag des Bolschoi Theaters komponiert, fand die Uraufführung des als "untanzbar" klassifizierten Stücks erst 1938 in Brünn statt. In Graz hat sich nun Darrel Toulon an eine Neuinszenierung gewagt - und reüssierte bravourös.
Prokofjews Interpretation der tragischen Handlung vereint klassische Einfachheit und romantische Sichtweise. Toulons moderne Tanzsprache, die sich durch die japanische Kampfsporttechnik Nunchaku anregen ließ, vermittelte wirkungsvoll die emotionale Vielschichtigkeit der Helden - Prüfstein jeder Choreografie des Werkes. Ausgehend von der literarischen Vorlage sparte Toulon bei seiner Lesart des Stückes nicht an Kreativität. Die markantesten dramaturgischen Neuerungen: Reduktion der vier Akte des abendfüllenden Balletts auf drei; weiters die Einführung des Ritters, einer Art Schicksals- und Todesengel, sowie die Darstellung des Mercutio durch eine Frau, wodurch die bis in intimste Beziehungen hineinreichende gesellschaftliche Gewalt wirkungsvoll ihre Darstellung finden konnte.
Das Geschehen spielt in einem sparsam ausgestatteten, multifunktionalen Raum. Präzision und Tiefsinn kennzeichnen den Umgang mit den Details. Lediglich ein Baldachin, zugleich Balkon, erinnert an Verona. Die zeitlos modernen und phantasievollen Kostüme (Anne Marie Legenstein) zeigen die Kluft zwischen innerer und äußerer Welt, schrill mondänem Fest, namenloser uniformierter Gewalt und kindlicher Nacktheit. That which we call a rose / By any other word would smell as sweet ... Rosen auf langen Metallstängeln, zugleich Gefängnis und Liebesgarten, begleiten die Protagonisten vom ersten Bild über die Liebesnacht bis in den Tod. Bei der Hochzeit üppiger Besatz des durchsichtigen Brautkleides, säumen sie schließlich die Bahre als Grablichter.
Überaus gelungen auch die tänzerische Umsetzung, wobei die Perfektion und Ausdruckskraft der Solisten über teils mangelnde Präzision des corps de ballet hinwegsehen ließ. Allen voran begeisterten Michal Zabavík (Romeo) und Lívia H´yllova (Julia) durch unverstellte Emotionalität. Virtuos Young na Hyun (Mercutio) und Abel Cruz dos Santos (Tybalt). Auch Steffen Fuchs (Ritter), Beate Arndt (Amme) und Grit Bardowicks (Lady Capulet) einwandfrei.
Dem Grazer Philharmonischen Orchester gelang unter dem 26jährigen lettischen Dirigenten Andris Nelsons eine beeindruckende Realisation der vielgestaltig blitzenden Partitur, in der symphonisch ausschwingende lyrische Gesten, markante Rhythmen, gleißende Klangballungen und subtile instrumentatorische Effekte wechseln. Sowohl rhythmische Prägnanz als auch kammermusikalische Passagen, im Besonderen der Holzbläser, ließen aufhorchen. Auch wenn man sich mitunter größere Geschmeidigkeit und, im Blech, mehr Zurückhaltung gewünscht hätte, zweifellos eine der besten orchestralen Darbietungen der laufenden Saison.
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