Introitus zur Stiftsbibliothek

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Denk-Bilder aus den Büchern von Admont.

Wo liegt denn Admont, hört man bisweilen fragen, und selbst die Antwort: "mitten in den Bergen, mitten in Österreich, mit mächtigem Benediktinerstift" scheint den Fragesteller nicht wirklich zufriedenzustellen.

Sollte sich jemand nach dem größten Kosterbibliothekssaal der Welt und nach einer der bedeutendsten kirchlichen Kunstsammlungen (außerhalb der Vatikanischen Museen) erkundigen und wieder den Namen Admont genannt bekommen, dann wäre eine Fahrt dorthin angezeigt.

Gleich von welcher Seite die Besucherin/der Besucher in dieses inneralpine Becken hereingekommen ist (durchs Gesäuse oder durch die Tunnelkette der Pyhrnautobahn und am markanten Frauenberg vorbei), er/sie wird sich an den (neu)gotischen Doppeltürmen der Stiftskirche orientiert haben und als erstes in den hohen Raum des Münsters eingetreten sein; da sticht vielleicht in der Leiden-Christi-Kapelle hinten rechts (mit dem spätgotischen Ölbergrelief) das aktuelle Fürbittbuch ins Auge, aufgeschlagen und voll intensiver handschriftlicher Einträge (ich bitte um innere Ruhe und Ausgeglichenheit! lieber Gott im Himmel, hilf mir bitte, daß mein Sohn von den Drogen wegkommt und wieder ins Arbeitsleben zurückfindet, er wird im Jänner aus der Haft entlassen) oder man geht durchs Kirchenschiff nach vor, sieht dort auf dem Ambo die Stuttgarter Bibel der Buchmalerei (mit ihren Faksimiles an der tagesrichtigen Stelle) aufgeschlagen liegen und blättert zu den Psalmen hin, jenem Gebetspensum für die täglichen Chorgebete der Mönche (wobei früher lateinisch in Wechselrede 1 Woche für alle 150 Psalmen gebraucht wurde und heute deutsch 2 Wochen dafür benötigt werden und am Asteriskus (Sternchen*) eine Vielzahl von kurzen Denkpausen während der Rezitation vorgeschrieben sind.

Kirche und Bibliothek

Der Schritt von dem einen, Buch der Bücher' in der Kirche des Klosters zu den vollbestückten umlaufenden Bücherschränken der größten Bibliothek des Glaubens und Wissens oben im Klostergebäude scheint gedanklich klein, doch führt er hier im Stift Admont real aus der Kirche hinaus quer über die Höfe zwischen entfernten Gebäudeflügeln hinüber zum Südtrakt auf ein mit gläsernem Windfang geschütztes Tor zu, der Pforte für die weltlichen Besucher des Klosterladens, der multimedialen Stiftspräsentation, der natur- und kunsthistorischen wie zeitgenössischen Ausstellungen und eben auch des Durchgangs zum berühmten barocken (bis 2008 erstmals seit Errichtung totalrenovierten) Bibliotheksraum, dessen Lage sich außen am Gebäudekomplex nirgendwo abzeichnet (überraschend allemal, wenn man bedenkt, daß sich die Erbauer Abt Matthäus Offner und Baumeister Joseph Hueber die kaiserliche Hofbibliothek in Wien zum Vorbild für Admont genommen haben).

Schön ist der schwarzweiße Pinolit (ein spezieller Magnesit) vom Hohentauern, den man auf der Steinstiege im Treppenhaus betritt, und heiter stimmen uns die zartrosa Platten des Sölker Marmors am Gangboden, der hinten in sanftem Anstieg zur gläsernen Panoramastiege und zum südlichen Bibliothekseingang führt, doch vorerst sind wir von den großformatigen Ölbildern des Couloirs gefesselt: ausgewählten Ahnen der christlichen Gelehrsamkeit in Ganzkörperportraits, jeder speziell inspiriert oder in Ekstase, vom alten Astronomen Dionysius Areopagita über Bernhard von Clairvaux im diskreten Milchstrahl der madonna lactans, vorbei an den Scholastikern Bonaventura (DEUS DEDIT SAPIENTIAM) und Thomas von Aquin (SUMMA SUMMARUM) mit ihren offenen Büchern bis hin zum letzten Portrait vorm Bibliothekseingang, zu Thomas von Villanueva (DATE ELEMOSINAM), wie er behandschuht den Kindern Almosen gibt: diese Männer des Worts und der Schrift geleiten uns zur eigentlichen Saalflucht des Geistes hin, die man jetzt mit Seitwärtsdrehung unvermittelt (mit barockem Überraschungseffekt) betritt.

Das Paradies als Bibliothek

Er habe sich das Paradies immer als eine Bibliothek vorgestellt, soll der große argentinische Dichter geäußert haben, und Jorge Luis Borges schaut uns dabei auf dem Foto aus ungleich müden und zugleich wachen Augen an.

Was ziehen wir Staunenden, die sich schon beim ersten und bei jedem neuerlichen Eintritt in Levitation über den scheinbar getreppten Marmorboden der Bibliothek erhoben fühlen, wozu vor allem der Blick zu den flach hintereinander liegenden Kuppeln und Kuppel-trompe-l'œils beiträgt, während ganz hinten über dem Nordausgang der Raumflucht wie ein leerer Fernsehschirm aktuellen Querformats ein dunkelbronzenes Leerfeld erscheint, das sich erst bei näherem Hinsehen als reliefierte Darstellung des im Tempel lehrenden Jesus entpuppt), also was ziehen wir Staunenden, denen die Jahrhundertchance eines Haut-Kontakts mit den Büchern eingeräumt ist, aus den Regalschränken denn heraus, die wie aufgeladene KraftBatterien dastehen?

Zur Auswahl der Buchbeispiele, wie sie nun vorliegt, nur soviel: in den frisch renovierten, nach wie vor ungeheizten, Kapitelsälen des Glaubens und der Wissenschaften" wurden aus den 6 Seitenkuppeln sowie aus der Zentralkuppel (in welcher bei den Stammelschen Groß-Plastiken der 4 Letzten Dinge die Bibeln und Schriften der Kirchenväter versammelt sind) mit ihren 78 durchnummerierten Buchregal-Kompartimenten des Parterres sowie aus den 20 zusätzlichen Regalen auf den beiden halb umlaufenden Galerien oben, also aus allen 98 Regalschränken (mit einem Bestand von geschätzten 70.000 Bänden allein im Saal, von den Depots zu schweigen) wurden nach interessiertem Augenschein, augenblicklicher Erreichbarkeit, frei flottierendem Interesse und innerem Zwang diese und jene Bände herausgezogen, wobei anzumerken ist, daß sich bei einer platzsparenden Aufstellung der Titel nach Buchgröße die alphabetische Reihung nicht strikt durchführen läßt und also von vornherein ein gewisses produktives Chaos in den Beständen herrscht, denn auch der Autoren- und Signaturenkatalog steht nicht hier oben, sondern parterre in den neuen Räumen, unter der Obhut des über die Maßen kundigen und hilfsbereiten Armarius Johann Tomaschek: "über 20 Mannjahre würde eine heutigen Anforderungen genügende Neukatalogisierung der Bestände in Anspruch nehmen", könnte man ihn sagen hören, 100e Bände also wurden im Lauf von Wochen angetippt, während sich der mitgestaltende Zeichner als konzentrierter Dokumentarist auffälliger wie versteckter Details oben auf der Leiter oder Galerie mit seinen Farbstiften angelegentlich den Einblicken in den Gesamtraum gewidmet hat; schließlich war ein gutes Schock Bücher aller Größen näher betrachtet, von denen 30 jetzt portraitiert sind.

Zeichnerisch dokumentiert

Von den (beiläufigen) Fundstücken und kuriosen Buchnachbarn sei vorab nur ein Beispiel mit besonders schönem Einband herausgegriffen, nämlich der am häufigsten (60x) in dieser Bibliothek vertretene Titel (da er wohl als Geschenk bei Neueintritten überreicht und dann der Bibliothek gestiftet wurde): Thomas a Kempis Imitatio Christi, und zwar als siebensprachiges Exemplar (wobei auf einer Doppelseite in schmalen Kolumnen der Text der anonymen Erbauungsschrift in Latein, Italienisch, Spanisch, Französisch, Deutsch, Englisch und Griechisch auf einen Blick dargeboten ist); allerdings wird das klassische Brevier der Devotio moderna (ein Bestseller des 15. Jhs) in dieser Ausgabe (Solisbach 1837, um 4 Gulden ohne Einband gekauft) noch dem äußerst fruchtbaren Autor Johannes Gerson (1363-1429) zugeschrieben, von dem auch eine handkolorierte Incunabel (Liber de meditatione cordis) mit Signatur 81 auf der Schnittseite (nicht am Buchrücken) im Admonter Bestand existiert, die vom Hüter der Schätze auf Anfrage unten in den Studienräumen auch gezeigt wird, während oben im großen Saal die Masse der gedruckten Bücher der Neuzeit unserer Lektüre harrt.

Ausstellung in Admont

Am 15. März beginnt in Admont die Museumssaison. Nach vierjähriger Restaurierung wird die weltgrößte Klosterbibliothek wiedereröffnet. Dazu haben der Autor Bodo Hell und der Künstler Norbert Trummer das Buch "Admont Abscondita" herausgegeben - diese Seite ist ein Vorabdruck.

Ausstellung:

Fokus Bibliothek

Eröffnung: 15. März, 14.00 Uhr

Bis 9. 11. täglich 10-17 Uhr

Info: www.stiftadmont.at

Buch:

Admont Abscondita.

Denk-Bilder aus der barocken

Klosterbibliothek.

Von Bodo Hell und Norbert Trummer.

Bibliothek der Provinz, Weitra 2008.

140 S., geb., € 20,-

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