Irrationale Gefolgschaft der Großen Drei

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Der deutsche Ökonom und Wirtschaftsethiker Karl-Heinz Brodbeck kritisiert die ambivalenten Rollen der Ratingagenturen und ihre Verfilzung mit der Politik und den Finanzmärkten.

Er werde sich kein Blatt vor den Mund nehmen, kündigt der Querdenker Brodbeck (r.) für seinen Vortrag "Ratings und die Folgen“ am 26. April beim Wiener "Finance & Ethics Kongress“ an. Gegen die "Großen Drei“ der Rating-Agenturen bringt er schwere Geschütze in Stellung: Ihren Ergebnissen begegnet er mit Skepsis, ihre Methoden widerlegt er wissenschaftlich.

Für das Bewerten von Ländern gebe es sinnvollere Alternativen, so Brodbecks Credo. Der inhaltliche Impuls hierfür findet sich auch in seinem Buch "Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie“. Darin übt der streitbare Wirtschaftsprofessor fundamental Kritik am beharrlich vorgetragenen Postulat der Wirtschaftswissenschaft, mittels theoriegestützter Prognosen komplexe Wirtschaftsprozesse vorhersagen zu können. Brodbeck untersucht die Grundlagen der Ökonomie mit Blick auf ihre philosophische Fragwürdigkeit.

In der Realität werden Länder mitunter am Gängelband der drei großen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch vorgeführt. Diesen bemerkenswerten Umstand führt Brodbeck darauf zurück, dass die "dominierenden Monopolunternehmen zu einem Instrument der Finanzmärkte wurden und ihre ursprüngliche Aufgabe der kritischen Beurteilung nicht erfüllen.“

Anleger sind nur mehr die Statisten

Im undurchsichtigen Geflecht enger Beziehungen zu den Großbanken und deren Verknüpfungen mit den außenpolitischen Interessen der US-Politik stiegen Ratingagenturen von Marktteilnehmern zu Marktbeeinflussern auf. "Die Verfilzung von Politik und Wall Street ist hier unübersehbar“, diagnostiziert Brodbeck den daraus entstehenden Schaden für große Pensionskassen und institutionelle Anleger. "Die werden systematisch benachteiligt, um nicht zu sagen abgezockt. Privatanleger treten in diesem Machtspiel nur mehr als Statisten auf.“ Darüber hinaus müsse man die drei großen Ratingagenturen durchaus auch als Instrumente in einem weltweiten Währungs- und Abwertungskrieg betrachten, der mit der Geld-Druckerpresse geführt wird. "Gegen diesen Wettlauf der Geldentwertung muss die demokratische Öffentlichkeit ein Gegengewicht schaffen und den verhängnisvollen Kurs der Deregulierung der Märkte fundamental umkehren.“ Dazu bedürfe es gültiger, unabhängiger Informationen, die nicht von Banken oder politischen Interessen diktiert werden, fordert Brodbeck. "Die Zeit dafür ist reif. Transparente Informationen können mithelfen, der Wiedergewinnung einer demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte den Weg zu ebnen.“

Trotz mancher Fehlprognosen und der Ablehnung von behaupteter Unfehlbarkeit halten diese drei Unternehmen mit ihren Länder-Ratings die Regierungen und Finanzmärkte auf Trab. Fast so, als würden infallible Verdikte verhängt. Beispielsweise der Verlust der begehrten Triple-A-Klassifizierung, wie er jüngst Österreich widerfuhr. Brodbeck hält solchen Bewertungen die prinzipielle Unberechenbarkeit der Finanzmärkte entgegen. "Ich habe selbst lange Zeit im alten Paradigma der Ökonomie geforscht, viel gerechnet und Modelle entworfen - bis mir klar wurde, dass die ökonomische Theorie auf der völlig unhaltbaren Voraussetzung beruht, die Wirtschaft sei eine Art Maschine. Aus der Tatsache, dass in der Wirtschaft mit Geld gerechnet wird, zieht man den (Fehl-)Schluss, dass Wirtschaft berechenbar ist. Beide Aspekte, die Unberechenbarkeit der Wirtschaft und die politische Instrumentalisierung ihrer ‚Wissenschaft‘, haben mich bereits Mitte der 1990er-Jahre zu der Überzeugung geführt, dass der Versuch, Märkte völlig freizugeben, scheitern muss. Nach 2008 hat sich das leider als richtig heraus gestellt.“

Neoliberale Freiheit und zum Dogma erhobene Ratings scheinen einander zu widersprechen. Allerdings sind für viele Sektoren des Finanzwesens Ratings vorgeschrieben. Brodbeck: "Damit hat man die Bedeutung der Agenturen überhöht, zum anderen aber die Versuchung zur Manipulation eröffnet. Und davon wurde und wird reichlich Gebrauch gemacht.“

Blick auf die Konkurrenz statt auf den Markt

Auf die Frage, warum manche Ratingergebnisse geradezu Veitstänze der Investoren auslösen, die daraufhin wie Schwärme - einem einzigen Organismus gleich - alle den selben Richtungswechsel vollziehen, verweist Brodbeck auf das durch rigide Vorschriften bestimmte Reaktionsverhalten institutioneller Anleger. "Dieses wird durch den elektronischen Handel verstärkt, der Ratings mit Kauf- oder Verkaufsgeboten mechanisch verknüpft, Schwankungsbreiten erhöht und in dieser unheilvollen Verkettung die Märkte dominiert. Man blickt dabei nicht auf externe Daten und überlegt, man blickt auf die Wettbewerber. So entsteht Herdenverhalten und das erzeugt oftmals Blasen und Panik.“

Entscheidungen über Anlagen funktionieren also nicht nach der von Chicago-Ökonomen erfundenen "Effizienzmarkthypothese“. Allzu Menschliches wie irrationale Entscheidungen, Lust und Gier würden durch das modernes Robot-Trading automatisiert und verstärkt. Dadurch entstehe eine teils verhängnisvolle Wechselwirkung von Computerprogrammen. "Es ist mehr als ein Massenphänomen, es ist eine bedrohlich neue elektronische Scheinwelt“, gibt Brodbeck zu bedenken. Aufgeklärten Gesellschaften und Politikern sollte man die Besonnenheit zumuten, nicht auf Zuruf von Rating-Unternehmen nervös zu werden oder gar die Contenance zu verlieren. Dies geschieht aber, wenn Downgradings Länder-Bonitäten empfindlich herabstufen und Börsenkurse daraufhin einbrechen.

Brodbecks Analyse zielt auf die Analysten selbst: "Sofern ihre Anlageentscheidungen nicht ohnehin schon automatisiert sind, sprechen sie nur rasch wechselnde Meinungen aus. Die Märkte bestimmt nicht das, was ‚ist‘, sondern das, was die meisten Marktakteure glauben. Und diese Glaubensüberzeugungen schwanken im Stundentakt. Bei High Frequency Trading bereits im Millisekundentakt. Wir haben durch die Deregulierung der Finanzmärkte in den letzten drei Jahrzehnten die Macht an ein irrationales Verhalten in einer Scheinwelt der wechselnden Informationen abgegeben. Die Politik hängt heute vielfach an den Strängen der großen Banken. Zwei europäische Staatschefs und der EZB-Präsident kommen von einer US-Großbank.“

Umfassende Betrachtung geboten

Es sei an der Zeit, so Brodbeck, aus den Fehlern zu lernen. Mehr Nüchternheit gegenüber diesen Rating-Agenturen sei dringend angebracht. Ein möglicher konstruktiver Ansatz in der Bewertung von Ländern liege darin, soziale, politische und ökologische Gesichtspunkte in das Rating einzubeziehen. Dies sieht ein neues, in Österreich entwickeltes Untersuchungsverfahren namens FER 3D Länder-Screening vor. Brodbeck: "Dadurch entstehen mehr Transparenz und ein ganzheitlicher Blick. Umweltprobleme oder soziale Unruhen werden in der herkömmlichen ökonomischen Theorie als bloße ‚Daten‘ ausgeklammert.“ Dem geldzentrierten Blick auf Länder wird eine ganzheitliche Zusammenschau als Alternative gegenüberstellt. "So könnte ein noch kleines, aber vielleicht rasch wachsendes Gegengewicht zu den manipulativen Ratings der Agenturen geschaffen werden.“

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