Islam in die europäische Verfassung

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Der Irak-Krieg bringt den Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Ceric´, in eine schwierige Situation. Die bosnischen Muslime hegen große Sym pathien gegenüber ihren Glaubensbrüdern im Irak, fühlen sich aber auch den USA verpflichtet. Um eine friedliche Koexistenz mit dem Islam in Europa zu erreichen, pocht Ceric´ auf einen Verfassungsvertrag.

Die Furche: Fördert der Krieg gegen den Irak antiwestliche Stimmungen unter den Bosniaken?

Mustafa Ceri´c: Bosnien-Herzegowina (BiH) kann sich einen Protest gegen Amerika nicht leisten. Ohne die USA wäre der Bosnien-Krieg nicht beendet worden und wir hätten keinen Vertrag von Dayton. Die USA spielen beim UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag eine wichtige Rolle. Wir verdanken den USA viel und das macht es jetzt so schwierig für uns. Denn wir haben auch emotionale Bindungen zu den Muslimen im Nahen Osten.

Die Furche: Wie bewerten die bosnischen Muslime den Terror von El Kaida und anderen Gruppen?

Ceri´c: Über einige Individuen, die den Rest der Welt in eine antiislamische Kampagne drängen, sind wir sehr unglücklich. Der 11. September ist die größte Gefahr für den Islam in seiner Geschichte. Aber es gibt in BiH keine organisierten antieuropäischen oder antiwestlichen Gefühle. Es mag Einzelne geben, die frustriert sind, weil Europa viel zu langsam reagiert hat, um den Genozid in BiH zu verhindern. Aber wir, die offizielle Vertretung der Bosniaken, können viele Vorteile aufzählen, die wir Muslime in Europa genießen. Die wichtigsten sind Demokratie und Menschenrechte. Wir zählen weltweit zu den freiesten Muslimen.

Die Furche: Wie stehen die Muslime in Bosnien zu Saddam Hussein?

Ceri´c: Wenn man Saddams Regime betrachtet, wie er mit Blut zur Macht gekommen ist, den Irak zu einem Staat der Angst gemacht hat. Wenn man bedenkt, dass der Irak eines der reichsten Länder der Region ist, dass es aber keine Verteilung des Ölreichtums gibt. Wenn man zudem noch Botschaften aus dem Irak hört, wonach der 11. September nur ein "Picknick" gewesen sei - dann muss man als rationaler und verantwortungsbewusster Mensch dieses Regime ablehnen. Andererseits: Wie kann man eine derartige Militäraktion in einer Region rechtfertigen, die so fragil ist.

Die Furche: Es gibt die Meinung, dass der Islam und die liberalen Demokratien des Westens nicht vereinbar sind. Sind Bosniens Muslime ein Gegenbeispiel zu dieser These?

Ceri´c: Es gibt nur einen Islam, aber verschiedene Kulturen. Eine davon ist die der europäischen Muslime. Wir leben in einer christlichen Zivilisation. Nicht Kultur, sondern Zivilisation! Wir unterscheiden uns von den Christen kulturell, nicht zivilisatorisch. Wir teilen viele Werte miteinander. Wir alle gehören zur jüdisch-christlich-islamischen Tradition. Denken Sie daran, wie sehr das muslimische Spanien die Renaissance in Europa geprägt hat: den Rationalismus und Humanismus. Weise Männer aus dem Osten kamen nach Westen und wurden hier rationale Männer. Leider sehe ich heute weder weise Männer im Osten noch rationale Männer im Westen.

Die Furche: Wie die Erfahrung des Massakers von Srebrenica das Verhältnis der bosnischen Muslime zu Europa verändert?

Ceri´c: Ich weiß, was den bosnischen Muslimen im Ersten und Zweiten Weltkrieg angetan wurde. Diesmal haben wir die Hoffnung, dass es Gerechtigkeit geben wird. MilosÇevic´ ist schon vor Gericht. Natürlich, KaradzÇic´ und Mladic´, sind noch nicht dort. Aber wir hoffen, dass Europa zu seinen eigenen Prinzipien wie Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte steht. Andererseits sind wir verunsichert. Was wird mit uns passieren, wenn die Konfrontation zwischen Christentum und Islam weitergeht? Manchmal sage ich zu meinen muslimischen Brüdern: Wir leben in einer Umgebung von 300 Millionen Nicht-Muslimen. Die Palästinenser leben in einer Umgebung von 250 Millionen Muslimen. So, und jetzt vergleicht. Wir müssen Europa eine Chance geben. Denn wir sind der Maßstab, weil wir eine kleine Gruppe sind. 300 Millionen Europäer haben uns zu beweisen, dass sie tolerant sind und dass wir hier überleben können. Andererseits dürfen die Muslime, die hierher kommen, Europa nicht als "Haus des Krieges" sehen. Man kann nicht die Vorteile eines Lebens in Europa genießen und gleichzeitig dieses Europa verfluchen. Europa hat seine eigenen Regeln. Man kann sie mögen oder nicht. Aber, wenn man hierher kommt, muss man nach ihnen leben.

Die Furche: Wie stellen sie sich das künftige Zusammenleben zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in Europa vor?

Ceri´c: Die derzeitige Fragmentierung der Muslime in kleine Gruppen, die von allen nur möglichen Ideologien beeinflusst werden können, ist untragbar. Gleichzeitig muss ich sagen, dass manche europäischen Regierungen es gerne sehen, wie sich die Muslime gegenseitig ausspielen. Sie fürchten sich davor, würden sich die Muslime organisieren. Nichts würde passieren, es wäre gut für beide Seiten. Die Lösung für Europa ist die Institutionalisierung des Islam im Sinne einer Repräsentation des Islam durch eine Verfassung. So wie wir es hier in Bosnien haben, wie es unter Kaiser Franz Josef hier eingeführt worden ist. Die Vorteile sind klar: Man weiß, wer für den Islam verantwortlich ist. Die drei Kernbegriffe für europäische Muslime lauten: Institutionalisierung, Repräsentation und Verantwortung.

Die Furche: Wie soll eine solche Verfassung aussehen?

Ceri´c: Ich habe vorgeschlagen, dass sich alle Imame aus Europa treffen. Ich werde ihnen sagen: Europa ist das Haus des sozialen Vertrages. Europa ist zur Zeit dabei, eine neue Verfassung zu schreiben. Wie sollen wir darin vorkommen? Wie sollen unsere Rechte und unsere Verantwortung für die Gesellschaft in Europa aussehen? 80 bis 100 Imame werden meinen Verfassungsvorschlag diskutieren. Wenn ich ihre Zustimmung bekomme, kann man nicht mehr sagen, dass seien ja nur ein paar Außenseiter. Aber wir brauchen Hilfe von Europas Regierungen. Europa soll aufhören zu vergleichen und zu sagen: Wir haben in anderen muslimischen Ländern überhaupt keine Rechte. Das ist nicht fair.

Die Furche: Haben Sie für diese Pläne die Unterstützung der Arabischen Welt?

Ceri´c: Es geht nicht darum, dass sie zustimmen, sondern dass sie verstehen. Wir werden versuchen, ihnen zu erklären, was Europa ist. Und sie müssen darauf vertrauen können, dass wir unser Schicksal selbst meistern können. Sie könnten sagen: Ihr wollt euer Schicksal in die Hände Europas legen? Habt ihr denn vergessen, was euch in Srebrenica passiert ist? Werdet ihr nicht wieder zu uns um Hilfe kommen müssen? Es ist ein Prozess des Vertrauens. Ich bin Europäer und ich will am europäischen Leben teilhaben, als Muslim, gleichberechtigt mit allen anderen Europäern. Gleichzeitig haben die europäischen Regierungen das Recht zu fragen: Können wir sicher sein, dass ihr dieses Vertrauen nicht missbrauchen werdet? Daher müssen wir in einen Dialog treten.

Das Gespräch führte Gertraud Illmeier.

Bosnischer Großmufti: einzigartig in der muslimischen Welt

Bei den Muslimen in Bosnien findet man eine Struktur, die in der muslimischen Welt einzigartig ist: Das Amt des Raisu-L-Ulama, des Großmuftis. Er ist das Oberhaupt der Muslime in Bosnien-Herzegowina, oberste Instanz in religiösen Fragen und der Organisation der Gemeinschaft sowie bei der Vertretung nach außen. Eingeführt wurde das Amt 1882 unter der Habsburger-Herrschaft. Im Vorjahr hat man das 120-jährige Jubiläum dieser Institution gefeiert.

Seit 1993 ist Mustafa Ceric´ der Raisu-L-Ulama Bosniens. Der 1952 Geborene will eine Art Vertrag zwischen den in Europa lebenden Muslimen und den europäischen Regierungen in die Europäische Verfassung schreiben. Auf der Grundlage von Gleichberechtigung soll damit friedliche Koexistenz ermöglich werden. Im Sinne dieses Anliegens hat Ceric´ eine Konferenz europäischer Imame initiiert, die im Juni in Graz stattfinden wird. Ceric´ war als Vertreter des bis Ende 2000 amtierenden bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic´ des öfteren führendes Mitglied von Delegationen der bosnischen Regierung bei Reisen in islamische Länder. Seine Nähe zur muslimisch-nationalistischen Demokratischen Aktion, der Partei von Izetbegovic´, hat dem Großmufti auch Kritik eingebracht.

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