Clemens Setz - © Foto: Manfred Sause

„Indigo“ von Clemens J. Setz: Isolierte Kinder

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In Clemens Setz' neuem Roman „Indigo“ kippen Beziehungen ins Pathologische, verursachen die Menschen einander Übelkeit.

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In Clemens Setz' neuem Roman „Indigo“ kippen Beziehungen ins Pathologische, verursachen die Menschen einander Übelkeit.

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Indigo ist eine indische Kulturpflanze, die seit Jahrtausenden einen natürlichen blauen Farbstoff liefert. In Clemens Setz' neuem Roman, dessen Handlungszeit geringfügig in der Zukunft liegt, bezeichnet Indigo jedoch eine Krankheit, die das Problem zwischenmenschlicher Beziehungen ins Pathologische kippen lässt: Hier verursachen die Menschen einander wirklich Übelkeit. Betroffen sind vor allem Kinder, die Krankheit zwingt sie in die Isolation und die Eltern zu größtmöglicher Distanz. Denn wer diesen Kindern zu lange zu nahe kommt, muss mit Schwindel, Kopfschmerz und anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen rechnen.

Als Phänomen, das die Gesellschaft schleichend aber nachhaltig verändert, unterliegt Indigo einer gewissen Tabuisierung. Auch wenn sich die Krankheit mit der Pubertät oft auszuwachsen scheint, bleiben die "ausgebrannten Dingos" psychische Wracks, kommunikationsgestört und aggressionsbereit, allenfalls medikamentös gut eingestellt - "eigentlich das Bewundernswerteste, was es gibt".

Ruppige Gedankenausflüge

Dass sich aus den besonderen Auswirkungen der Krankheit gesellschaftlich auch manch perverser Gewinn ziehen lässt, wird im Roman nur angedeutet, was an der Figur des Rechercheurs liegt, einem wenig alltagstauglichen Mathematiklehrer namens Setz. Der darf trotz eingespielter Porträtanteile wie dem gemeinsamen Totemtier Pinguin natürlich mit dem Autor gleichen Namens nicht verwechselt werden, auch wenn diese Identitätsrätselspiele mittlerweile ein wenig lähmend sind.

Das Ganze wird noch verschwurbelter durch die fiktive Nähe der beiden männlichen Hauptfiguren. Denn zur Bewältigung seiner Erlebnisse als Junglehrer in einer Schule für Indigo-Kinder rät ihm seine Freundin aufzuschreiben, wie das Leben eines Schülers nach der Matura weitergehen könnte. Daraus wird Roberts Geschichte, die also aus der Feder beider Setze stammt. Was soft skills betrifft sind beide männlichen Figuren eher unterdotiert, umso mehr empathische Kompetenz wird ihren Partnerinnen zugeteilt. Und beide Herren neigen zu wuchernden, etwas ruppigen Gedankenausflügen, vor allem Robert wird von deftigen Männerfantasien umgetrieben, wobei die Identitätsgrenzen mitunter unscharf bleiben.

"Magda, die sehr hübsch, aber nicht langweilig war", ist ein Satz der Erzählstimme der Robert-Handlung, also von Setz, dem Lehrer, die Setz, der Autor, problemlos passieren lässt. Und manche der Gedankenspiele haben schon einen recht langen machistischen Bart, wie der Zigarettenkauf-Abgang von Männern, die sich von häuslichen Settings so leicht überfordert fühlen.

Indigo ist unter diesem Aspekt eine durchaus praktische Sache, Väterkarenz nicht zumutbar. Im Roman pendeln freilich auch die Mütterrollen reichlich prekär zwischen Überfürsorge und Selbstverwirklichungswahn.

Ausufernde Verspieltheiten

Das Urteil über den Roman ist dem Roman mit dem üblichen Augenklimpern eingeschrieben: "Es ist natürlich eine Mogelpackung, zusammengeklebte Teile, die nicht wirklich zusammengehören. Ein Durcheinander, aber es ist bereits angenommen", wird Setz, dem Lehrer, mitgeteilt.

Abschnittsweise und drucktechnisch von einander abgesetzt reihen sich diese "Teile" aneinander: Roberts Geschichte, die Erinnerungen des Lehrers, seine in verschiedenfarbigen Mappen säuberlich geordneten Rechercheunterlagen. Unter anderem reist er nach Belgien, vielleicht dem Sitz einer Indigo-Missbrauchs-Verschwörung. Gesicherte Fakten bleiben rar - auch weil "Indigo" in seinen besten Teilen ein Roman über die Fatalität inhaltsleeren Herumredens ist.

Trotz der Textsortenvielfalt wirkt das Buch überraschend monochrom: Alle Frauen und alle Männer im Roman scheinen irgendwie mit einer Stimme zu sprechen. Reich und dicht wird es immer dort, wo Clemens Setz aus Alltagsbeobachtungen kleine, feine Miniaturen komponiert, eine Straffung der ausufernden Verspieltheiten hätte dem Buch hingegen gut getan.

Indigo

Roman von Clemens Setz

Suhrkamp 2012 480 S., geb., € 23,60

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