Israel II: Den Gott des Friedens davongejagt

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Es ist der 26. Juli 2001. Die Via Dolorosa in der Jerusalemer Altstadt ist menschenleer, die meisten Läden sind geschlossen. Da und dort hockt einer in seinem engen Lokal und arbeitet etwas vor sich hin, andere haben sich zusammen getan und spielen traditionelle Spiele. Alle drückt die tote Zeit. Ein freudiger Armenier, der uns erblickt hat, erklärt uns, er wolle seinen Platz hier auflösen und nach Tel Aviv gehen. Kein Geschäft - kein Leben; und das gerade heute, da ihm seine Gattin nach acht Jahren eine Tochter geboren habe. So formt er rasch ein Paar Ohrhänger und schenkt sie uns; dazu habe er noch eine Kette, die aber koste Geld. Wir kaufen und verabschieden uns wie von einem Freund. Der Armenier hat sein Tagesgeschäft gemacht, keiner wird mehr kommen.

Die Unzahl der Pilger, die sich sonst durch die Gassen wälzt, die Überzahl von Touristen, die Jerusalem besucht - alle sind ausgeblieben. Es scheint, als habe man Jerusalem vergessen. Dabei wären gerade in diesen Tagen die Pilger so wichtig, wie man uns in der Benediktinischen Dormitio-Abtei sagte. Denn die Christen bilden keine der Streitparteien, sie hätten die Aufgabe, eine Art Puffer zu sein, solidarisch zu sein mit den Christen in Jerusalem, solidarisch zu sein mit dem Staat Israel, solidarisch mit allen, die nichts wollen als Frieden und traurig und ratlos vor dem üblen Treiben der Radikalisierer stehen.

Führer statt Gott

In diesen Zeiten blüht eine traurige Prophetie, auf die wir uns verlassen konnten: Jeden Tag, wenn wir von unserem Hotel in der Jaffa Street abgingen, fragten wir, ob dieser oder jener Ort oder Weg zu machen sei. So auch am Sonntag, dem 9. Aw (29. Juli 2001), an dem der Tempelzerstörung gedacht wird. Man riet uns, Klagemauer und Tempelbezirk zu meiden. Wir fuhren mit dem Taxi hinab ins Kidrontal, das östlich von den genannten Orten liegt, um auf den Ölberg zu gehen. Auf halber Höhe lähmten uns vier Explosionen, die, wie wir kurz darauf erfuhren, von Tränengasgranaten stammten. Eine Mutter schrie nach ihren beiden Kindern, die eilends ins Haus verschwanden. Am Himmel kreiste ein Hubschrauber und markierte den Ort des Geschehens: den Tempelberg. Dort hatten Ultraorthodoxe den Grundstein für den dritten Tempel deponieren wollen, wurden aber von der Polizei daran gehindert. Und sofort rotteten sich radikale Muslime zusammen und schossen Steine über die Klagemauer. Die Polizei löste das Geschehen auf.

Im erhitzten Eifer, der auf bestimmte Orte pocht und dabei vergisst, dass der eine Gott in Judentum, Christentum und Islam nie an Plätze, Steine und Zeiten gebunden war - in diesem Eifer jagt eine solche religiöse Einstellung den Gott des Friedens davon. Dieser Eifer macht offenbar, was fundamentalistische Einstellung in allen Religionen seit jeher ist: Sie bringt den Schrecken, nicht den Frieden, den Tod, nicht das Leben, den Führer, nicht Gott. Und so verkünden die Führer von Terroreinheiten und von religiös-fanatischen Zirkeln Sätze und Vorhaben, die zu glauben sind; so rüsten sie Mörder und Selbstmörder mit abstrusen Versprechen zu; so lassen sie ihre Predigten zu flammenden Aufrufen für die Auslöschung der Gegner werden - und sind doch Marionetten internationaler Konzerne.

Ausweglosigkeit?

Mit diesem 9. Aw hat die Gewalt, die bis heute in all ihrer Ausweglosigkeit anhält, auch Jerusalem erfasst. Zwei Tage später sind wir mit der Israelischen Fluglinie wieder nach Wien gereist. Zurück geblieben sind Menschen, die uns erzählten, wie sie nur mehr von der Hand in den Mund leben können; zurück geblieben ist das Gewoge der Jaffa Street mit ihrer dichten Polizeipräsenz, der Jehuda-Markt, die verlassenen Altstadtplätze, der Armenier, Bekannte und Freunde, die sich darüber gefreut haben, dass wir wieder da gewesen sind, trotz allem - und auch eine Art von Heimweh, das uns den Psalm 122 anders beten lässt: "Erbittet für Jerusalem Frieden! Wer dich liebt, sei in dir geborgen!"

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