Ist das Kunst oder hat das ein Affe gemacht?

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Hochintellektuell präsentiert sich die erste Ausstellung zu zeitgenössischer Kunst im Leopold Museum mit dem Titel "Poetiken des Materials". Abschrecken lassen soll man sich davon aber nicht: Wer hartnäckig am Schauen bleibt, wird auch belohnt.

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Hochintellektuell präsentiert sich die erste Ausstellung zu zeitgenössischer Kunst im Leopold Museum mit dem Titel "Poetiken des Materials". Abschrecken lassen soll man sich davon aber nicht: Wer hartnäckig am Schauen bleibt, wird auch belohnt.

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Bausteine waren das Material, eine vom Plafond baumelnde Banane war die Motivation, eine Skulptur das Ergebnis. Der Künstler? Ein Affe. Diese Versuchsanordnung aus den 1950er-Jahren nahm die Künstlerin Sonia Leimer zum Anlass für ihre "Eroberung des Nutzlosen", die gemeinsam mit fünf anderen Positionen in "Poetiken des Materials" im Leopold Museum zu sehen ist. Was ist eine Skulptur?, fragt denn auch Michael Hammerschmids benachbarte Installation. Ebenfalls daneben stellt Christian Kosmas Mayer dem Besucher einen Zaun in den Weg.

Beachtliche kuratorische Leistung

Hand in Hand gehen die Kunstwerke in der ersten zeitgenössischen Kunstausstellung im Leopold Museum, Frage reiht sich an Frage. Gemeinsam ist den sechs ausstellenden Künstlerinnen und Künstlern ihr Thema: das Material.

Die Frage nach dem Material ist eine der ersten Entscheidungen überhaupt, die ein Künstler, eine Künstlerin treffen muss. In Zeiten von Digitalisierung und der damit verbundenen Dematerialisierung ist das nicht anders -im Gegenteil, findet die Kuratorin der Schau, Stephanie Damianitsch, und spricht vom "Neuen Materialismus". Die kuratorische Leistung ist beachtlich, gehen die sechs doch sehr unterschiedlich an das Thema heran.

Die Palette der Materialien reicht weit: Die vom Affen inspirierte Künstlerin Leimer hat für ihre Skulpturen Edelstahl gewählt, "weil es das Licht sehr stark bricht und dasselbe Material in einer anderen Farbigkeit erscheinen lässt." Sie ergänzt die Installation mit kunstfremden Materialien, Bildern aus Magnetfarbe und Weltraumfolie und einem Stück Asphalt im Rahmen.

Alltagsgegenstände entfremdet, auf Duchamps Spuren wandelnd, Benjamin Hirte: Seine Bassins in Buchstabenform, ein A und ein E bilden je nach Sichtweise ein "Ah, eh!" Oder "Äh?" - und wer sich im Raum genau umschaut, findet auch ein an die Wand gerolltes O aus Metall, "Oh!".

Sprache als Material verwenden auch Misha Stroj und Michael Hammerschmid. Wort-und Satzteile aus ihrem Mailverkehr über die grundsätzliche, theoretische Auseinandersetzung von Poetik und Material finden sich auf Glasplatten, zerpflückt und gerahmt auf Einkaufszetteln: "Die Frage, was ein Gedicht ist, ist verstörend. (...) Sie bringt mich zur Frage, was eine Skulptur ist". Und: "Ständig rüttle er an sich der mensch, der schreibt, dass die worte aus ihm fallen und übrig bleibt ein gedicht."

Ähnlich, aber auch wieder ganz anders materialisiert Mathias Pöschl sein literarisches Interesse: er hat ein Bühnenbild entworfen, das er "verlassen ins Museum" stellt.

Mayers Zaun, der den Eingang von einem Raum in den nächsten scheinbar versperrt, ist ein sehr aufgeladenes Material. Herausgeschnitten hat er ihn samt den Ästen, die, so ist die Natur, die Grenze einfach ignoriert und den Zaun durchwachsen haben. Um dem Objekt einen einheitlichen Anstrich zu geben, hat Mayer ihn blau lackiert, "die Trendfarbe 2016".

Derart sperrig und dennoch spannend, präsentiert sich nicht nur Mayers Zaun, sondern jedes einzelne der Kunstwerke. Sogar die wenig zugänglich scheinende Installation von Anne Schneider, die ihre Freiheit in der Verwendung von vermeintlich unbesetzten Materialien sieht und zartrosa formlose Gips-Stücke am Spieß präsentiert.

Den Blick schärfen

Keine Frage: die Ausstellung präsentiert sich superintellektuell und viele Besucherinnen und Besucher sammeln vor allem die bereitgestellten Werkbeschreibungen ein. Geschuldet ist das auch den Wortgebilden in Katalog und Ankündigungstexten. Nur wer hartnäckig am Schauen bleibt, dem offenbart sich das Vergnügen.

Und doch liegt dahinter ein kluger Gedanke: haben sich nicht auch Schieles Zeitgenossen mit seiner Kunst überfordert gefühlt? Ist es nicht Angewohnheit von zeitgenössischer Kunst, dass sie vor den Kopf stößt, empört, Sehgewohnheiten zerstört? Und hat nicht manch einer insgeheim gedacht: hat das ein Affe gemacht?

Moderne Kunst schärft den Blick, auch auf die Sammlungsbestände, sagt Direktor Hans-Peter Wipplinger.

Poetiken des Materials bis 26.2., Leopold Museum Mi bis Mo 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr www.leopoldmuseum.org

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