Ist die Geburt ein peinliches Thema?

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Wer in theologischen Wörterbüchern nach dem Stichwort "Geburt“ sucht, findet nahezu nichts. In der Theologischen Realenzyklopädie kann ich 59 Seiten zum Thema "Tod“ lesen, aber keine Zeile über die Geburt. In der Ausgabe 1986 des Lexikons Die Religion in Geschichte und Gegenwart finde ich diesen Satz: "Die Geburt ist ... vielleicht am meisten bei den sog. primitiven Völkern von allerlei Vorstellungen und Riten umgeben.“ Ist Weihnachten demnach primitiv? Auch das Lexikon für Theologie und Kirche ist weit davon entfernt, eine ernst zu nehmende Theologie des Geborenseins zu entwickeln. Im Neuen Handbuch theologischer Grundbegriffe (2005) fehlt das Stichwort. Und sogar in der 1. Auflage des Wörterbuchs der Feministischen Theologie (1991) haben wir Herausgeberinnen die Geburt vergessen. Nach der Jahrtausendwende haben wir unseren Fehler allerdings korrigiert: in der zweiten Auflage (2002) gibt es einen Artikel unter der Überschrift "Geburt/Natalität“. Und in diesem Artikel steht, ein Neudenken unserer und Jesu Christi realer Anfänglichkeit berge ungeahnte Möglichkeiten, die heute erst in Ansätzen erkennbar seien. Gemeint ist damit zum Beispiel die Möglichkeit, die ganze christliche Theologie von der Weihnachtsgeschichte her neu zu verstehen.

Theologen raten mir, andere Artikel zu Rate zu ziehen, wenn ich etwas über mein und des Christus wirkliches Herkommen erfahren will: "Inkarnation“, "Menschwerdung“ oder "Taufe“ zum Beispiel. Muss ich aber unter "Mensch-Endung“ oder "Beerdigung“ nachschlagen, wenn ich den Tod bedenken will? Was ist da eigentlich los? Ist die Tatsache, dass wir alle als blutige, abhängige, schreiende Winzlinge aus dem Leib eines anderen Menschen gekommen sind, der Theologie peinlich? Wie gehen andere Religionen mit unser aller Herkünftigkeit um?

* Die Autorin ist Schriftstellerin und evang. Theologin in der Schweiz |

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