Ist Österreich noch ein Musikland?

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Konzerthaus-Intendant Bernhard Kerres über das kommende Musikfest der Wiener Festwochen, die finanzielle Situation seines Hauses, seine Pläne und Missverständnisse bei der Ausbildung.

Das Musikfest der Wiener Festwochen wird abwechselnd von der Gesellschaft der Musikfreunde und der Wiener Konzerthausgesellschaft gestaltet. Dieses Jahr ist das Konzerthaus an der Reihe. Zugleich ist es das erste Musikfest, das Bernhard Kerres als Konzerthausintendant programmiert hat. Viermal hat er die Wiener Philharmoniker, zum Teil mit Musik des letzten Jahrhunderts, zu Gast. Dirigiert werden sie von Pierre Boulez, Seiji Ozawa, Daniele Gatti und Nikolaus Harnoncourt, der zur Eröffnung am 9. Mai anlässlich des Haydn-Jahres ein reines Haydn-Programm gestaltet.

Als Schwerpunkt nennt Kerres die Aufführung der Schubert-Zyklen "Die Schöne Müllerin", "Winterreise" und "Schwanengesang" mit Matthias Goerne. Giora Feidman und Katja Beer bringen Schubert und jiddische Lieder, Franui und Sven-Eric Bechtolf ergänzen mit einem Liederabend nach Schubert für Musicbanda und einen verschwundenen Sänger. Weitere Highlights des mit viel Kammermusik bestückten Programms sind das erste Brahms-Klavierkonzert mit Gabriele Montero, die jüngst ihr umjubeltes Konzerthausdebüt feierte, und der Klavierabend von Mitsuko Uchida.

Im Zentrum der kommenden Saison steht die Aufführung sämtlicher Schostakowitsch-Symphonien mit dem Mariinski Orchester unter Valery Gergiev. Entstanden ist dieses Projekt bei einem Mittagessen, bei dem der Intendant und der russische Dirigent übereinstimmend meinten, sie hätten aus dem seinerzeitigen Mozart- ein Schostakowitsch-Jahr gemacht. Präsentiert wird diese Serie an zwei Wochenenden. "Eine ungeheure logistische Herausforderung. Drumherum haben wir einen Schostakowitsch-Schwerpunkt mit seiner Kammermusik und Konzerten gebaut." Der Geigerin Viktoria Mullova, Alfred Brendel und dem Komponisten Jörg Widmann ist eine Personale gewidmet.

Der durch den Rückzug des Alban Berg Quartetts frei gewordene Zyklus wird vorerst nicht neu besetzt. Kerres kann sich aber vorstellen, "dass wir einem weiteren Quartett früher oder später einen eigenen Zyklus geben". Insgesamt bietet das Konzerthaus in der kommenden Spielzeit an die 400 Veranstaltungen an. Darunter 39 Abonnementzyklen mit 301 Veranstaltungen für die bisher rund 27.000 Abonnenten. Mit einer halben Million Besucher pro Jahr ist das Konzerthaus nach der Staatsoper und der Wiener Stadthalle der bei weitem größte Wiener Veranstalter. Auch dem Risiko geht man nicht aus dem Weg: In den Zyklen finden sich 85 Werke zeitgenössischer Komponisten, davon 11 Ur- und 18 österreichische Erstaufführungen. Dabei zwingt Kerres die spezifische finanzielle Situation des Wiener Konzerthauses zu "einem Drahtseilakt ohne jegliches Netz".

Engagement für zeitgenössische Musik

Nicht das laufende Geschäft ist das Problem. "Wir verkaufen die Konzerte gut, wir haben die Sponsorshipeinnahmen sehr stark erhöht, vor allem durch die Zugewinnung von zwei Großsponsoren, Verbund und Volksbank. Trotz Wirtschaftskrise sind weitere Sponsoren gekommen." Nach wie vor ungelöst sind "die Mehrkosten aus der Generalsanierung, das sind 13,8 Millionen Euro. Die sind teilweise durch Eigen-, teilweise durch Fremdmittel finanziert, hier laufen Zinsen auf. Seit meinem Amtsantritt arbeite ich an einer Drittellösung mit Bund und Stadt Wien. Ich komme beiden auch gerne entgegen, die Gespräche sind sehr freundlich, aber bisher gibt es kein Ergebnis."

Allein an Zinsen sind jährlich zwischen 200.000 und 300.000 Euro zu bedienen. Damit muss Kerres sein zu Beginn seiner Tätigkeit angekündigtes Lieblingsprojekt eines Festivals für die Wiederaufführung zeitgenössischer Musik - "ich halte das für wichtig und notwendig" - erst einmal verschieben. 14,5 Millionen Euro stehen ihm für die Saison zur Verfügung, nicht mehr als 13 Prozent betragen die öffentlichen Subventionen von Bund und Land. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil noch bei 18 Prozent. Trotzdem glaubt der Konzerthauschef nicht, dass den öffentlichen Stellen die Bedeutung des Konzerthauses nicht bewusst ist. Ob das bei allen Funktionsträgern gleichermaßen der Fall ist, könne er nicht sagen. Ein regelmäßiger Gast ist jedenfalls Bundespräsident Heinz Fischer. "Er kommt auch oft privat, mit Vergnügen zu zeitgenössischer Musik, und bringt immer wieder Gäste mit."

Ein besonderes Anliegen ist Kerres die Förderung des aktiven Musizierens der Jugend. In der zu Ende gehenden Saison werden 5000 Kinder im Konzerthaus gewesen sein, die hier gesungen und gespielt haben. "Wir haben eine Gruppe unheimlich engagierter Coaches, die in die Schulen hinausgehen, mit den Kindern arbeiten, vor allem singen und sie dann zu uns ins Haus bringen, wo sie das Erlernte aufführen. Die Erlebnisse sind ganz fantastisch. Wir hatten eine Volksschulklasse, die nach der Aufführung zu ihrer Lehrerin gegangen ist und gesagt hat, wir gehen jetzt ins Altersheim singen, denn wir sind im Konzerthaus aufgetreten, damit sind wir große Künstler. Das ist ein ganz wichtiger Schneeballeffekt in der Gesellschaft. Wir haben auch die 15- bis 18-Jährigen - wo es immer heißt, das geht nicht - mit einem selbst geschriebenen, choreografierten und gesungenen Stück zum Thema Wasser angesprochen."

Kerres geht es nicht nur um ein Publikum für morgen, sondern vorrangig um ein gesellschaftspolitisches Engagement. "Ich glaube, dass das aktive Musizieren in der Entwicklung des Menschen ganz wichtig ist und gewisse Werte vermittelt, die man intellektuell nicht vermitteln kann. Man weiß aus internationalen Beispielen, wie sehr das ein Land verändern kann." Damit kommt er auf einen weiteren Schwerpunkt der kommenden Konzerthaussaison zu sprechen: das Simon Bolivar Jugendorchester.

Keine Krise der klassischen Musik

Dass klassische Musik, in die er Jazz und Weltmusik miteinbezieht, in Zukunft auf weniger Interesse stoßen könnte, glaubt Kerres nicht. Er sieht es als Lebensphasenthema: "Wir haben eine Generation, die zwischen 20 und 40 ist, die baut ihr Berufs- und ihr Familienleben auf. Weil alles internationaler geworden ist, sind die Ansprüche gewachsen. Da bleibt oft keine Zeit, in Konzerte zu gehen. Diese Publikumsgruppe kauft später und individuell. Sobald sie gesettelt ist, kommt sie genauso und beginnt, Abonnements zu kaufen. Das Interesse ist bei allen da und wächst international extrem, weil auch die Bandbreite der E-Musik größer geworden ist."

Kritik übt der Konzerthauschef an der heimischen Ausbildung. Diese gehe zu sehr Richtung Theorie. Es genüge nicht, dass junge Talente sieben oder acht Monate in der Hochschule unterrichtet werden. "Ein junger Musiker braucht zwölf Monate Unterricht, und das bei seinem Lehrer, der ihn führt und anleitet." Das gegenwärtige Ausbildungssystem in Österreich wird nicht helfen, "spitzenmäßig junge Musiker auszubilden. Noch leben wir vom Ruf Wiens als Musikstadt. Aber wenn ich mir anschaue, was zum Beispiel von der University of Indiana herauskommt oder aus Venezuela - da gibt es nicht nur Talente, die haben wir auch, sondern eine Breite. Nur mehr wir bezeichnen uns als Musikland Österreich. Ich würde vielleicht noch von einem Musikland Oberösterreich sprechen, dort gibt es noch genügend Musikschulen."

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