Italien ist auf einem mühsamen Weg

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Zitate aus der Rede des italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano zur Wahl 2013 anlässlich des Weihnachtsempfanges für Amtsträger in Rom

Viel Kritischeres muss zur Entwicklung des politischen Systems gesagt werden. Vor einem Jahr hatte ich die Erwartung, dass in einem Klima größerer politischer Gelassenheit ein Schub reformerischer Geschäftigkeit entstünde, der auch die Erneuerung der Parteien, ihrer Arbeitsweise und ihres Verhältnisses zu den Bürgern einschließt. Meine Erwartungen waren, wie ich heute sagen muss, zu hochgesteckt. Sie wurden konfrontiert mit dem ganzen Gewicht des Widerstandes, mit tiefverwurzelten Hindernissen und langsamen Reifungsprozessen.

Das sage ich mit Bitterkeit und Sorge, weil damit trübe Antipolitik und die institutionalisierte Gleichgültigkeit genährt werden. Sogar für die überreifen Veränderungen in dem die Institutionen betreffenden zweiten Teil der Verfassung ist die ablaufende Legislaturperiode leider wieder verlorene Zeit gewesen. Selbst begrenzte Anpassungen, die als Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner erschienen, sind gescheitert. Etwa zur finanziellen Ausstattung der Parlamentarier sind zweifelhafte Beschlüsse gefasst worden. Diese Reformen dürfen zwar nicht ganz heruntergespielt werden, aber sie wurden überschattet von der aufsehenerregenden Explosion des würdelosen Missbrauchs öffentlicher Gelder durch viele Abgeordnete der Regionalparlamente.

Große Kräfte der Beharrung

Der Weg der - nicht nur moralischen - Erneuerung, den die Parteien gehen müssen, ist noch weit. Es fehlte zwar nicht an Versuchen, die Politik für die Beteiligung der Bürger zu öffnen. Doch es ist unverzeihlich, dass der entscheidende Test nicht bestanden wurde: Die von vielen zu Recht geforderte Reform des Wahlgesetzes von 2005 ist gescheitert, obwohl sogar das Verfassungsgericht Zweifel an dessen Legitimität geäußert hatte. Das Misstrauen zwischen den politischen Kräften, die Vagheit immer wieder wechselnder Positionen und ein übertriebener Hang zur Taktik entfalteten große Beharrungskraft. Niemand kommt umhin, sich dafür gegenüber den Bürgern zu rechtfertigen. Die Politik läuft Gefahr, für ihre Taubheit einen hohen Preis zu bezahlen.

Die Wähler erkennen die Probleme

Im Wahlkampf dürfen den Wählern nicht die ungelösten politischen und institutionellen Probleme verborgen bleiben, die das letzte Jahr klarer denn je zutage gefördert hat. Diese Probleme erwiesen sich als derart verknotet und verknäult, dass auch die Anstrengungen einer - zudem mit vielen Notfällen befassten - Regierung wie der von Monti nur Anfangserfolge zeitigten oder wegen des vorzeitigen Endes der Wahlperiode ganz ins Leere laufen.

Auf jeden Fall erwartet Regierung und Parlament, Regionen und Kommunen, die Italiener insgesamt, eine anhaltende Anstrengung. Die nächsten fünf Jahre sind ein angemessener Zeitrahmen, um Veränderungen und Reformen vorzunehmen, die unser Land nötig hat, um sich in Europa und in der Welt von morgen zu positionieren.

Wirtschaftlich befinden wir uns auf dem mühsamen Weg durch eine Furt, um Italien aus dem Sumpf erdrückender öffentlicher Schulden zu führen, um schließlich die Entwicklung des Landes auf solidere und ausgeglichenere Fundamente zu stellen. So gewinnen wir an Zusammenhalt und an Dynamik. Für das kurzsichtige und unverantwortliche Verhalten, das sich in der Vergangenheit viel zu lange hingezogen hat, büßen wir - auch viele, die keine Schuld daran tragen. Wir müssen und können die Probleme grundsätzlich anpacken. Dafür brauchen wir eine Periode strenger Konsequenz sowie Fleiß und Einigkeit.

Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. 12. 2012; übersetzt und gestrafft von Tobias Piller

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