"... ja, dann bin ich eine Feministin"

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Ihre Bücher erreichen Millionenauflagen allein in Europa. Und Ihr Commissario Brunetti wurde weltweit zum Markenzeichen für spannende Recherche. Im folgenden ein Gespräch mit der in Venedig lebenden Amerikanerin Donna Leon über ihre Arbeit und ihre Pläne.

die furche: Sie stammen aus New Jersey, sind in der Nähe von New York geboren, haben dann aber Ihrem Land für immer den Rücken gekehrt. Haben Sie schlechte Erfahrungen in den USA gemacht?

Donna Leon: Ich hatte in Amerika eine glückliche Kindheit, verständnisvolle Eltern, einen netten Bruder und einen putzigen Hund. Heute weiß ich, dass man entweder glücklich oder depressiv geboren wird. Ich bin glücklich geboren.

die furche: Als Sie Richtung Europa aufbrachen, sind Sie zunächst in Italien, Ihrer späteren Wahlheimat gelandet. Was hat Sie an Europa - vor allem an Italien - so angesprochen, dass Sie letztlich geblieben sind?

Leon: Ich war überrascht von den Europäern. Sie tragen angenehme Kleidung, essen tolle Speisen und stellen in ihren Häusern schöne Möbel und überhaupt schöne Dinge auf. Das Gegenteil dazu sind die Amerikaner, die sorgen sich um ihre Figur und fast ausschließlich darum viel Geld zu haben.

die furche: Nach diesem ersten Italientrip wechselten Sie als Werbetexterin nach England. Aber auch dort hielt es Sie offenbar nicht lang. Ist Ihnen das Sesshaft-Werden in jungen Jahren sehr schwer gefallen?

Leon: Ich verließ England bereits in den Siebziger Jahren und begab mich in den Iran um vier Jahre lang iranischen Piloten die englische Sprache beizubringen. Als sportlichen Ausgleich für diese anstrengende Tätigkeit begann ich Tennis zu spielen. Das brachte mir 1979 sogar einen Pokal als erstem und einzigem weiblichen Tennischampion des Iran ein.

Dann brach die Revolution im Iran aus. Nach der Absetzung des Schah wurde ich von den Ayatollas des Landes verwiesen und ging nach China, als Englischlehrerin ...

die furche: Wohl auch nur vorübergehend?

Leon: Die nächste Station meines Lebens war Saudi-Arabien mit einer finanziell sehr interessanten Tätigkeit; allerdings konnte ich den Sitten und Gebräuchen in diesem islamischen Land nichts abgewinnen. Im Jahre 1981 reiste ich erneut nach Europa und fand in Venedig den Ort meiner Sehnsucht.

die furche: Nun wohnen Sie seit 1981 im venezianischen Stadtviertel Cannareggio, Sie besitzen kein Auto und in Ihrer Wohnung steht auch kein Fernseher ...

Leon: Wie es sich für einen echten Venezianer gehört, brauche ich für mein Leben in dieser Stadt kein Auto. Dem Fernsehen kann ich nichts abgewinnen, daher besitze ich auch kein entsprechendes Gerät. Sollte mich tatsächlich einmal eine Sendung interessieren, habe ich genug Gelegenheit diese woanders wahrzunehmen.

die furche: Wurde Ihr späterer Kult-Kommissar von Ihnen erst in Italien entdeckt oder haben Sie sich schon früher mit dem Gedanken getragen Kriminalromane zu schreiben?

Leon: Kommissar Brunetti erblickte das Licht der Öffentlichkeit hier in Venedig in Cannareggio am Beginn der Neunziger Jahre. Im Jahr 1993 erschien mein erster Roman "Venezianisches Finale", in dem Kommissar Guido Brunetti einen Fall im venezianischen Teatro La Fenice zu lösen hat.

die furche: Aus jeder Zeile Ihres Buches ist erkennbar, dass die Amerikanerin Donna Leon Venedig liebt. Sie haben einen scharfen Blick für die venezianische Eigenart, den Unterschied zwischen geborenen und zugereisten Venezianern und auch für Dinge, die sich hinter den Fassaden abspielen. Sie scheuen sich auch nicht, Sozialkritisches in Ihre Kriminalromane einfließen zu lassen. Haben Sie einen Teil oder ein wenig Ihrer Persönlichkeit in die Fälle des Kriminalkommissars Brunetti eingebracht? Ist die Gattin des Kommissars, Paola Brunetti, ein Spiegelbild Ihrer selbst? Mit anderen Worten: Stammt der Feminismus Paolas von Ihnen?

Leon: Ob ich eine Feministin bin? Wenn es darum geht, dass Männer und Frauen gleich sind und auch gleich behandelt werden und die gleichen Interessen wahrnehmen können, dann bin ich eine Feministin.

die furche: Fühlen Sie sich hier in Venedig in Cannareggio, wo Ihre Freunde leben und wo Sie jeder kennt, als Amerikanerin oder bereits als Italienerin?

Leon: Ich bin heute noch US-Staatsbürgerin und denke auch in Italien wie eine Amerikanerin. Vielleicht ist dies auch der Grund, dass ich in meine "italienischen" Kriminalromane so viel gesellschaftliche und politische Kritik hinein verarbeite. Ich habe auch untersagt, dass meine Romane in italienischer Sprache veröffentlicht werden. Wenn Italiener sie lesen wollen, können sie es ja in der englischen Originalfassung oder auf Deutsch tun.

die furche: Nach Ihrem achten Brunetti-Fall "In Sachen Signora Brunetti" in dem die Gattin des Kommissars die Männerwelt und vor allem die Exekutive Venedigs durcheinander gebracht hat, wenden Sie sich im neuesten Fall "Feine Freunde" wiederum der bereits gewohnten Welt von Korruption, High Society und Seilschaften innerhalb der venezianischen Gesellschaft zu (siehe furche 24/2001). Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus. Werden wir noch mehrere "Kommissar Brunetti-Fälle" mitlösen dürfen?

Leon: Der neunte Roman "Feine Freunde" ist so wie seine acht Vorgänger zuerst in englischer Sprache erschienen. Nun ist er seit wenigen Wochen auch in deutscher Sprache in den Buchhandlungen erhältlich. Für die kommenden Jahre habe ich je ein neues Buch geplant. Band zehn, elf und zwölf sind bereits fertiggestellt, der 13. Kriminalfall des Commissario Brunetti existiert derzeit nur in meinem Kopf.

die furche: Agatha Christie hat man nachgesagt, dass sie ihre Krimis von Anfang an bis zum Ende durchkomponiert habe. Tun Sie das auch? Existieren der oder die Täter bereits auf den ersten Seiten eines neuen Falles?

Leon: Meine Romane werden nicht auf dem Reißbrett von Anfang bis Ende entworfen, sondern die Handlung entwickelt sich im Laufe des Falles. Das heißt, ich lasse meinen Commissario ermitteln und habe beispielsweise auf Seite 200 noch immer nicht den Mörder parat. Die Lösung ergibt sich wie im wirklichen Leben auch erst durch die Recherche der Polizeiorgane, das heißt durch Commissario Brunetti.

die furche: Wenn Sie alle Ihre bis jetzt erschienenen Brunetti-Fälle Revue passieren lassen, gibt es da einen Lieblingsfall, den Sie besonders der Thematik wegen Ihren Lesern ans Herz legen wollen?

Leon: Das für mich wichtigste und erschütterndste Thema habe ich in "Vendetta" zu Papier gebracht, dem vierten Fall des Commissario Brunetti: Mein Anliegen war es, gegen den Mädchen- und Menschenhandel Stellung zu beziehen.

die furche: Gibt es neben den bekannten Kriminalfällen auch noch andere Projekte in Ihrem literarischen Wirken?

Leon: Als ich vor einiger Zeit im Nato-Stützpunkt Aviano einen riesigen Supermarkt besuchte, fielen mir Hundeführer mit sogenannten Bomben- und Drogenhunden auf, die zum Schutz der Besucher patrouillierten. Da ich den österreichischen Kommissar Rex sehr schätze, werde ich wahrscheinlich in ähnlicher Form einen dieser Bomben-Hunde in einem Roman verarbeiten. Vielleicht auch auf Fortsetzungsbasis und konzipiert für Kinder.

die furche: Abschließend noch eine letzte Frage: Mrs. Leon, wie stehen Sie zu den Erfolgen Ihrer Krimis?

Leon: Wer mich kennt, weiß, dass ich nichts weniger ernst nehme als meinen Erfolg.

Das Gespräch führte

Peter Soukup

Zur Person: Eine Amerikanerin in Venedig

Donna Leon wurde am 28. September 1942 in New Jersey geboren. Sie hat deutsche, irische und spanische Vorfahren. Ihr Vater war Buchhalter. Mit 23 Jahren verließ sie Amerika und war in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern als Lehrerin tätig. Gegenwärtig lehrt sie englische und amerikanische Literatur in Vicenza an einer Außenstelle der Universität Maryland.

Ihr erster Kriminalroman mit dem Titelhelden Commissario Guido Brunetti erschien 1992, im Original "Death at La Fenice" (Venezianisches Finale). 1993 folgte "Death in a Strange County" (Endstation Venedig), 1994 "The Anonymous Venetian" (Venezianische Scharade), 1995 "A Venetian Reckoning" (Vendetta), 1996 "Acqua Alta" (Acqua Alta), 1997 "Death of Faith" (Sanft entschlafen), 1998 "A Noble Radiance" (Nobilta), 1999 "Fatal Remedies" (In Sachen Signora Brunetti), 2000 "Friends in High Places" (Feine Freunde).

Der ständige Wohnsitz der Autorin liegt seit 1981 in Venedig.

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