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Überraschung im lauen Wiener Wahlkampf: Die "neuen urbanen Schichten" sind das beliebteste Wildpret des heurigen Herbstes.

Nun also die Bobos, die "Bourgeois Bohemiens", wie sie bereits vor einiger Zeit von dem us-Autor David Brooks bezeichnet wurden. Vielleicht täuscht es, aber bei der kommenden Wiener Wahl steht zum ersten Mal seit langem wieder Bürgerliches zur Disposition. Ende Oktober geht es nicht um Gesinnungsabfragen in Sachen fpö, sondern eher um Geschmack und Distinktion. Oder wie sonst sind "Wir wählen Lebensqualität" (spö), "Wien kann's besser" (övp), "Wiener Mut" (Grüne) aufzufassen?

Keine Frage: Die neuen bürgerlichen Schichten Wiens, die sich während der letzten fünf, zehn Jahre wie ein bunter Schleier vorwiegend über die innerstädtischen Bezirke Neubau, Mariahilf, Wieden, Josefstadt und Alsergrund gelegt haben, geben diesmal ziemlich flächendeckend den "plakatierten" Ton an. Auch wenn Komposition und Orchester wie gewohnt von der Wiener spö stammen, hat sich diesmal, im Unterscheid zu Wahlgängen in den 1990er Jahren, die Klangfarbe doch deutlich in Richtung sanftes Streichquartett verändert.

Die Stadt als Wohnung

Der zu Ende gehende Wiener Wahlkampf scheint sich nahezu in eine Sonderausgabe des aktuellen ikea-Herbstkataloges verwandelt zu haben: Im freundschaftlichen Du blättert man sich durch das Interieur des Städtischen. "Letztes Kindergartenjahr gratis" (övp), "Wiener Mut für Wiener Betriebe" (Grüne), "Wien als Wissensstadt" (spö). Die Stadt ist zu einer Wohnung geworden, deren Einrichtung - kurz vor den bösen Winterstürmen - neu zusammengestellt wird. Freilich, so wie es aussieht, nur im kleinen, ehemaligen Dienstbotenzimmer, sprich in den Bezirken.

Aber auch wenn der Hauptmieter spö diesmal wieder keinen Untermieter suchen muss - maximal, dass die Wohngemeinschaft mit den "free lancern" des Politischen, den Grünen, ihre Fortsetzung findet -, bleibt die neue Unübersichtlichkeit im bürgerlichen Wien interessant. Warum sonst würden Grüne, övpund spö um die Gunst derer rittern, deren Lebensstil diesen gewissen Chic, diese gewisse Leichtigkeit verspricht, den zumindest die beiden letzteren offensichtlich nicht so haben.

Wiens Bürgerliche: Längst geht es dabei nicht mehr um den Hofrat mitsamt Gemahlin, auch klassisch-bürgerliche Bezirke wie Hietzing oder Döbling spielen in diesem neuen Wiener Mentalitätenstück keine Rolle. Von den irgendwann einmal berühmten Döblinger Regimentern ganz zu schweigen. Die Synonyme der neuen bürgerlichen Schichten lauten anders: Da geht es topografisch eher um Quartiere (wie etwa Museumsquartier und Freihausviertel), Plätze (etwa den Siebensternplatz), politisch um eingrenzbare Projekte und überblickbare Einmischungen, intellektuell vor allem um Fragen eines neuen urbanen Lebensstils, die freilich ihre Beantwortung nicht darin finden, dass man nicht mehr Tarock, sondern lieber Boule entlang des Donaukanals spielt. Viel eher scheint es darum zu gehen, ein neues, zeitgemäßes Verständnis von privater Lebensführung und öffentlichem Raum zu erlangen.

Übertreibt man, wenn behauptet wird, dass sich zurzeit das avantgardistisch Bürgerliche im Zustand einer Verpuppung be findet, damit beschäftigt, die Erfordernisse der Gegenwart - Stichwort: Privatisierung des öffentlichen Raums, Globalisierung der eigenen Lebensführung, Fragen der Geschlechtlichkeit, der Familie - für sich selbst neu einzuordnen?

So kapriziös die Wiener Ausgabe der globalen Bobos auch manchmal wirken mag, die urbanen Zappelphilippe, die sich weniger an einer Sache abarbeiten, als sich bei mehreren gleichzeitigen Projekten "kreativ verausgeben", haben dennoch verlässlich mehr als Chic, Charme und Mode zu bieten. Etwa für großstädtische Kommunen, denen gerne beglaubigt wird, verlässliche Mitstreiter eines urbanen Lebens zu sein.

Mehr als Chick und Charme

Auch wenn, steuerlich betrachtet, eine gut gehende Autohandelsfirma derzeit sicherlich noch interessanter sein dürfte als ein weiteres Kreativ-Design-Büro, eine zusätzliche Architekten ag oder ein neues Künstleratelier: Wer sonst als diese diffusen neuen urbanen Mitbewohner zeigt solches Interesse für das Verbinden kleinteiliger Stadt-Interieurs mit internationalen Trends? Wer sonst erinnert die Bürgerschaft so lustvoll wie nachdrücklich daran, dass städtisches Leben eben doch mehr ist als die Summe von Abstellplätzen, Shopping Mall, Parkgestaltung und funktionierender Infrastruktur? Und: Wer sonst fordert von Kommune und Politik Ideen und Initiativen ab, die das gesetzeskonforme Ausstellen eines Baubescheides doch um einiges übertreffen?

Folgt man den jüngsten Thesen des Historikers Paul Nolte ("Generation Reform"), dann ist vielleicht das Milieu der Bobos genau auch jenes, welchem man am ehesten tragfähige wie naturgemäß unkonventionelle Lösungsvorschläge für die drängenden Fragen des Gemeinwohls zutrauen könnte. Wohlgemerkt: Auch jenseits des Wohlfühl-Faktors. Warum? Weil, halten wir es kurz, viele Vertreter dieser schillernden community vor den Anforderungen der Zweiten Moderne - sei es am Arbeitsmarkt, sei es in den Familien - allein aufgrund ihrer generationellen "besten Jahre" nicht mehr ihre Köpfe einziehen können. Oder auch wollen.

Neue Träume des Urbanen

Dazu kommt, was durchwegs von allgemeiner Nützlichkeit ist: Bobos bekommen keine roten Ohren, wenn sie sich bürgerlich nennen. Warum auch, wenn die Gefahr, dadurch automatisch als Sympathisant der Wiener övp gesehen zu werden, nicht mehr existiert.

Zugegeben: Dass diesmal drei der insgesamt sechs Parteien für den Wiener Gemeinderat die "neuen urbanen Schichten" als Zielgruppe für sich entdeckt haben, verwundert dennoch. Nicht zuletzt angesichts der Palette an weiteren möglichen kommunalen Themen. Also, alles dennoch Scharade? Taktisches Kalkül? Sicherlich auch. Aber eben nicht nur.

Die Atemschläge einer Stadt können, gleich denen eines Walfischs, ziemlich lange dauern. Wien holt derzeit wieder Luft. Und bis zur Fontäne halten sich mindestens drei Parteien ihre Ferngläser ganz dicht an ihre Augen. Warum? Vielleicht, weil gerade sie wissen, dass es wieder an der Zeit wäre, dass die Stadt, auch jenseits urbaner Wellness-Zonen, von sich selbst zu träumen beginnt.

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