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Österreich feiert neunzig Jahre Republik. So viele Jahre sind es gar nicht, aber sie wurden letztlich gut genutzt. Bis zum hundertjährigen Jubiläum der Republik könnten wir es zu echtem Nationalbewusstsein gebracht haben.

Noch ist der große Streit um die korrekte Geschichtsschreibung unseres Staates nicht ganz ausgestanden. Bis zum hundertjährigen Jubiläum der Republik im Jahr 2018 könnte es geschafft werden. Die zarte Hoffnung gründet auf den wenigen, dafür sehr wohl gesetzten Worten, welche diese Woche zum neunzigsten Geburtstag der demokratischen Republik Österreich gespochen wurden. Deren Grunddilemma ist nämlich noch weiter abzuhandeln: Es waren nicht eine Idee, eine Vision oder eine Revolution, die so stark waren, dass daraus der Staat Österreich wurde. Es war umgekehrt – und es wirkt bis heute nach: Es gab ein Restgebiet der Monarchie, das nach den Spielregeln der Sieger des Ersten Weltkrieges zwangsläufig einen Territorialstaat ergab. Das macht ja den Unterschied anderer Staatsgründungen zu jener Österreichs aus: Bei uns suchte sich nicht eine Identität einen Staat, sondern ein Staat war von seiner Geburtsstunde an auf der Suche nach einer Identität. Die enormen Brüche sowie die gewaltigen Hoffnungen und Enttäuschungen, die mit dem 12. November 1918 einhergingen, brachte Bundespräsident Heinz Fischer beim Festakt auf den Punkt: „Der 12. November 1918 war kein Tag der Harmonie. Es war ein sehr kontroversieller Tag am Ende eines schrecklichen Krieges. Viele waren voller Hoffnung, und für andere brach eine Welt zusammen.“

Die Katastrophen eines Jahrhunderts

Die neunzigjährige Geschichte der Ersten und der Zweiten Republik ist zugleich eine der Irrungen, der Wirren, der Katastrophen und monströsen Verbrechen des vorigen Jahrhunderts, insbesondere jener des Ständestaates und der NS-Zeit. Ganz vorsichtig nähern sich die beiden politischen Lager des Landes, Sozialdemokraten und Christdemokraten, einer gemeinsamen Darstellung der Geschichte an. Beginnt die Linke anzuerkennen, dass es im konservativen Lager ehrliche Bemühungen um Österreich gab, verstehen die Mitte-Rechts-Kräfte mit der Zeit, dass die politische Ausschaltung der Linken ein Fehler war.

Die Unversöhnlichkeit der beiden Lager wurde, oft genug wird darauf verwiesen, in den KZs der NS-Diktatur überwunden. Wirklich aufgehoben wird diese bis heute wirkende Feindseligkeit natürlich nur durch die quantitative Schrumpfung der Lager, wie sie zuletzt bei der Nationalratswahl 2008 festzustellen war: Mehr als die Hälfte der Wählerschaft versagt ihnen bereits die Gefolgschaft.

Die stets fällige Lektion für das Dritte Lager hat die Direktorin der Nationalbibliothek, Johanna Rachinger, beim Festakt in der Hofburg klar ausgesprochen: „Eine grundsätzliche Distanzierung von den Verbrechen des Nationalsozialismus muss heute für alle politischen Parteien in Österreich eine gemeinsame ideologische Basis bilden, und jeder auch kleinste Versuch, diesen Konsens zu verlassen, muss als politischer Skandal gebrandmarkt werden.“

Der Vergangenheitsbewältigung verdanken wir dann doch einen Fortschritt. Die Geschichte, insbesondere der NS-Zeit und der Jahre zuvor und danach, wird differenzierter betrachtet. Die Zuschreibung von Rollen erfolgt mit mehr Bedacht, führt zu klaren Feststellungen. Jetzt ist der nächste Schritt fällig.

Einheitliche Geschichtsschreibung

Wer die Geschichte schreibt, der kann sich damit ins Recht setzen und an die Macht gelangen. Jeglicher Krieg wird stets von Rechthaberei über die Geschichte orchestriert. Der Weg zu einer gemeinsamen, vielleicht sogar einheitlichen Geschichtsschreibung Österreichs bis zum einhundertjährigen Jubiläum der Republik führt nur über gemeinsame Autorenschaft der Historiker. Das ist schwierig genug. Denn in der Theorie ist es eine Frage wissenschaftlicher Redlichkeit, in der Praxis hingegen eine der politischen Macht. Zu fordern ist, dass sich das Erste durchsetzt, das Zweite hingegen zurückgedrängt wird. Das geplante Haus der Geschichte braucht ein Fundament, welches nur diese Geschichtsschreibung bilden kann. Österreichs kulturelle Identität bietet Anknüpfungspunkte genug, seine Rolle in Europa einen Wegweiser für die Zukunft. Die vielen Jahrzehnte der Reife sollten Früchte tragen.

claus.reitan @furche.at

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