Japanisches Sittenbild

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Steven Spielberg sicherte sich die Filmrechte an Arthur Goldens Bestseller "Die Geisha".

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Steven Spielberg sicherte sich die Filmrechte an Arthur Goldens Bestseller "Die Geisha".

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Eine zierliche alte Japanerin im Kimono an einer Straßenkreuzung in New York. Sie ist sich bewußt, wie exotisch sie wirkt unter all den hastenden Menschen, von denen jeder ein ihr unbekanntes Schicksal hat. Gewiß ist nur eins, denkt sie: Die Vergänglichkeit. Das ist das Schlußbild eines zauberhaften Romans, der als Ferienlektüre empfohlen sei: "Die Geisha" von Arthur Golden. Steven Spielberg hat sich bereits die Filmrechte gesichert.

Es gibt heute in Japan noch rund 10.000 Geishas, in den zwanziger Jahren waren es 80.000. Barhostessen verdrängen die traditionelle Unterhaltungsdame immer mehr. Was aber ist eine Geisha? Die landläufige Meinung im Westen geht in Richtung Nobelhure. Das ist insofern falsch, als die Geisha eine lange und gründliche Ausbildung durchläuft. Sie muß singen und tanzen können, Instrumente beherrschen und in der Lage sein, eine geistreiche Konversation zu führen. Geishas belebten die Unterhaltungsviertel der japanischen Städte seit etwa 1700. Bekannt ist ihre enge Verbindung mit Politikern. In den Teehäusern, wo einflußreiche Japaner Entspannung suchen, sind die Geishas ihre bevorzugten Gesprächspartnerinnen, deren Verschwiegenheit sie vertrauen können.

Der Beruf einer Geisha kann lebenslang ausgeübt werden, während sich die japanischen Frauen auch heute noch nach der Heirat aus dem Erwerbsleben zurückziehen. Wenn eine in die Jahre gekommene Geisha durch ihre Persönlichkeit beeindruckt, ist sie noch immer eine geschätzte und hochbezahlte berufstätige Frau. Will sie Veränderung, kann sie ein Restaurant eröffnen, die Ehe mit einer Geisha ist nichts Anrüchiges.

Europäer, die mit praller Brieftasche nach Kyoto kommen und eines der traditionell gekleideten, anmutig trippelnden Mädchen mit ihren weiß geschminkten Gesichtern für einen Abend im Restaurant "mieten" wollen, tun also gut daran, sie nicht mit den Damen des ältesten Gewerbes zu verwechseln. Traditionell hat die Geisha keine sexuellen Beziehungen mit ihren Kunden. Sie wird aber trachten, einen "danna", einen Patron, zu finden, der sie finanziell unterstützt, ihr die für den Beruf notwendigen kostbaren Kimonos bezahlt und so weiter. Diesem wird sie dann auch mehr erlauben.

Der Amerikaner Arthur Golden, der mit dem Roman "Memoirs of a Geisha" einen Welterfolg erzielte, ist Fachmann für japanische Geschichte. Er lebte jahrelang in Japan. Was er über Geishas weiß, hat er in eine spannende Handlung gekleidet. Er läßt eine Geisha erzählen. Die Ich-Erzählerin, geboren 1920 als Kind eines armen Fischers, wird mit acht Jahren an ein Geisha-Haus in Kyoto buchstäblich verkauft. Das geschah übrigens wirklich häufig.

Damals gab es noch keine strenge Schulpflicht für Mädchen. Sie begannen ihr Training also viel früher als heutige Geishas, die sich erst mit fünfzehn auf ihren Beruf vorbereiten. Wie eine Sklavin muß die Kleine den Besitzerinnen des Geisha-Hauses dienen und wird wegen ihrer ungewöhnlichen blaugrauen Augen von der Eifersucht einer erfahrenen Geisha verfolgt, die in dem Mädchen die künftige Rivalin erkennt. Das Kind versucht zu fliehen, wird wieder eingefangen, erreicht aber doch nach Jahren das Ziel jeder Geisha, nämlich einen reichen Patron zu finden.

Ausführlich und mit Humor wird die strenge Organisation des Berufsstandes geschildert und auch die Deflorationszeremonie, der sich vor dem Zweiten Weltkrieg jede Geisha-Schülerin unterziehen mußte. Das kann man sich am besten wie eine Auktion vorstellen. Es sprach sich in Kyoto schnell herum, wenn eine junge Geisha dafür freigegeben wurde. Daraufhin machten die reichen Männer ihre Angebote und dem Meistbietenden wurde das Recht der ersten Nacht zugeschlagen.

Feinfühlig, spannend und glaubwürdig breitet der Autor eine Welt vor dem Leser aus, die von strengen Regeln, dem Charakteristikum der japanischen Gesellschaft überhaupt, diktiert wird. In die Oase des Vergnügens - für die Geishas aber harte Arbeit - bricht der Zweite Weltkrieg ein. Die Abende, an denen einflußreiche Männer in Restaurants um die Gesellschaft von Geishas bitten, werden rarer, die Damen müssen in Munitionsfabriken arbeiten, das bunte Unterhaltungsviertel von Kyoto verwaist. Als nach den Bombenteppichen auf Tokio und den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki zaghaft wieder Leben in die Teehäuser einkehrt, sind die Kunden vor allem Amerikaner, die nichts von der Kultur der Geishas wissen, sich nicht mit ihnen verständigen können und nur Mädchen suchen. Die Erzählerin baut mit ihrem Patron Handelsbeziehungen nach Amerika auf. So gelangt sie schließlich nach New York, wo sie ein Teehaus eröffnet, in dem sie heimwehkranken Japanern auf Stunden ein Zuhause bietet und Amerikanern Exotik vermittelt.

Das Buch öffnet eine fremde, fast schon versunkene Welt, wie sie uns seit 300 Jahren auch aus den berühmten japanischen Farbholzschnitten entgegentritt.

Die Geisha. Roman von Arthur Golden. Aus dem Englischen von Gisela Steger Bertelsmann Verlag, München 1998. 572 Seiten, öS 342,- / e 24,85

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