Jean Genet, Theater für ein angstfreies Publikum

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Jean Genet (1910-1986) war der klassische Skandal-Autor. Aber wie es Autoren so häufig ergeht, die zu ihrer Zeit angefeindet, wenn nicht gar geächtet wurden, kam es auch im Fall Genet spätestens nach seinem Tod zur Rehabilitation. François Mauriac, einflussreicher Schriftsteller der Nachkriegszeit, wollte "mit so einer anrüchigen Figur möglichst nichts zu tun haben", schreibt Andreas J. Meyer, Verleger der deutschen Werkausgabe. Das ließ sich damals gleich doppelt begründen. Sein Leben war schon Skandal genug. Er war kriminell, homosexuell, desertierte aus der Armee und schlug sich als Prostituierter durch. Und dann tauchen all diese kaputten Gestalten, die sein Leben tangierten, auch noch in seinen Werken auf. Moral ist nicht die Kategorie, die man an seine Dramen anlegen sollte. Wie denn auch, Genet schreibt ja von einer Welt, in der Moral nun einmal nicht viel zählt. Man muss Genet nicht lieben - immerhin tut er selbst nichts dazu, dass man ihm allzu nahe kommt -, aber als Schriftsteller, der das Einverständnis über die Art, wie wir über den Menschen zu denken haben, verwirft, ist er kaum zu schlagen. Nur Louis-Ferdinand Céline, ein anderer großer Verfemter und Zeitgenosse Genets, kommt an ihn heran. Dagegen wirkt das Sartresche Streben, den Underdogs zu ihrem Recht zu verhelfen, nahezu verklemmt. Für Genet hat er sich stark gemacht, fand die Formel "Komödiant und Märtyrer" für ihn.

Vertreibung der Gemütlichkeit

Genets frühes Stück "Für ,Die Schöne'", wahrscheinlich 1942 entstanden, ist in einer Gefängniszelle angesiedelt, wo sich ein Mörder, ein Dieb und ein Einbrecher aufhalten. Das Drama "Die Neger", 1959 uraufgeführt, ist ein radikaler Angriff auf die weiße Herrenrasse. Verkommene Schwarze, verluderte Weiße, nichts Erfreuliches unter der Sonne. Genet hat es "für ein weißes Publikum geschrieben. Aber wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass es vor einem schwarzen Publikum gespielt wird, müsste zu jeder Vorstellung ein Weißer eingeladen werden ... Der Veranstalter des Theaters wird ihn feierlich begrüßen, ihn in ein zeremonielles Gewand kleiden und ihn zu seinem Platz geleiten, am besten in der ersten Orchester-Reihe Mitte ... Dieser symbolische Weiße sollte während des gesamten Abends von einem Scheinwerfer angestrahlt sein." Das ist die Vertreibung der Gemütlichkeit mit anderen als den Brechtschen Mitteln zur Beförderung der Vernunft.

Vernunft? Genet, der sich gern als Wilder aufführte und eine Ästhetik des Schreckens entwickelt hatte, war ein kalkuliert vorgehender Schreiber. Das sieht man daran, dass es mehrere Fassungen von einem Stück gibt, dass er an der Sprache feilte und mit ausgeprägtem Formbewusstsein eine Vielzahl von Handlungsfäden und Gedankenwelten miteinander konfrontierte. Für Übersetzer sind diese sprachwütenden Dramen eine gewaltige Herausforderung. Mit dieser Ausgabe findet man guten Zugang zum Wüstling und Genie Genet. Literatur zum Fürchten und Staunen.

Jean Genet: Werke in Einzelbänden. Band VIII: Dramen

Merlin Verlag 2014. 676 Seiten, gebunden, € 41,10

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