"Jede Bewegung: unerträglich laut"

Werbung
Werbung
Werbung

Als erster durfte philip gröning die Kartäuser-Mönche der Grande Chartreuse bei Grenoble filmen: "Die große Stille", die dieser Tage in Österreich ins Kino kommt, ist eine unschätzbare Annäherung an den strengsten Orden der Kirche. - Streng? Für Gröning ist das karge Mönchsideal der Kartäuser dem europäischen Künstlerideal eng verwandt.

Die Furche: Wie bewahrt man sich einen so langen Atem, von einer Idee, die schon 20 Jahre zurückliegt?

Philip Gröning: Man kann es nicht. Etwa um 1990 herum war für mich klar, dass dieser Film nichts wird, wir werden die Genehmigung nicht kriegen. Danach habe ich den Prior noch zwei-, dreimal besucht, aber nicht mehr über den Film gesprochen. 1999 haben sie mich dann angerufen, es würde jetzt gehen. Da habe ich zwei Monate nachgedacht: Es ist eine alte Idee, kann ich die nun in mein Leben integrieren? Ausschlaggebend, es zu machen, war das Wissen, dass Film die einzige Kunstform ist, die stark mit der Macht der Zeit arbeitet. Und die kann ich als Regisseur wirklich nutzen.

Die Furche: Warum die Kartäuser und nicht etwa Trappisten?

Gröning: Kartäuser sind sehr viel archaischer. Trappisten machen ja fast alles gemeinsam. Ich selbst bin auch ein vollkommener Einzelgänger: Die Kartäuser sind ja eine Gemeinschaft von Einsiedlern: Das fand ich faszinierend.

Die Furche: Sagt der Film auch etwas über Sie selbst aus?

Gröning: Ich wollte überprüfen, woher das Gefühl kommt, bestimmte Tiefen von Einsichten nur allein erreichen zu können. Schon als ich das Projekt vor 20 Jahren entwickelte, empfand ich tiefe Verwandtschaft zwischen dem Mönchsideal und dem europäischen Künstlerideal. Und: Ich bin in den 60er Jahren katholisch aufgewachsen, da hat es mich interessiert, mich damit auseinander zu setzen, wo ich herkomme. Ich hätte den Film nie über buddhistische Mönche gemacht.

Die Furche: Konnten die Kartäuser nachvollziehen, dass Film für Sie etwas "Mönchisches" ist - einsam zu leben und daraus etwas zu machen?

Gröning: Das ist, glaube ich, einer der Gründe, warum sie mich haben drehen lassen. Die kriegen ja jedes Jahr 50, 100 Anfragen, die sie einfach immer nur mit Nein beantworten. Es hat sie beeindruckt, dass ich das Mönchtum als Grundlage meiner Künstlerrolle sehe.

Die Furche: Sie waren auch Ihr eigener Kameramann. Warum?

Gröning: Der Film entstand, indem ich mich dieser Erfahrung aussetzte, und diese Erfahrung hat mich verändert. Da musste ich schon selber die Kamera in der Hand haben, mit der ich das Bild mache. Denn diese Veränderung muss über die Bilder ausgedrückt werden. Dazu kommt, dass Kartäuser ja immer allein in ihrer Zelle leben. Wenn du da zu zweit hineingehst, ist das eine massive Störung, einer allein ist das Maximum. Ich habe überlegt, es mit einem Ko-Regisseur zu machen, das wäre aber völlig falsch gewesen: Die extreme Erfahrung, die Einsamkeit, die Verzweiflung, wenn du allein in deiner Zelle bist, ist völlig abgepuffert, wenn man zu zweit ist: Da hast du immer einen Vorwand, zu deinem Kameramann zu gehen und etwa zu besprechen, warum sich die Akkus der Kamera so schnell entladen ... So ist zwar die Einsamkeit nicht da, aber hast du auch nichts verstanden.

Die Furche: Dennoch war Ihre Anwesenheit ein massiver Eingriff in den Klosteralltag. Wie konnten Sie trotzdem das Leben der Mönche einfangen?

Gröning: Ich wollte einen Film machen, der dem Zuschauer zu erleben ermöglicht, wie dieses Leben wäre. Das hat geklappt. Es gibt natürlich einiges, das nicht geklappt hat - etwa die große Heiterkeit, wie die Mönche sie ausstrahlen: Die wurde durch die Kameraanwesenheit ein wenig weggepustet. Ich habe aber versucht, sie in den Momenten, wo die Mönche direkt in die Kamera lächeln, einzufangen.

Die Furche: Auch in der Szene, wo die Mönche miteinander reden, spürt man diese große Heiterkeit und Gelassenheit. Sie arbeiten stark mit Gesichtern: Vor Ihnen durfte ja niemand in Grande Chartreuse drehen, nur ein Film entstand, in dem die Gesichter der Mönche aber nicht gezeigt wurden. Gerade das Wiedergeben des Gesichtes ist ja eine besonderes Preisgabe der Identität.

Gröning: Diese Porträts habe ich aus Notwehr gedreht. Ich bin ins Kloster mit einer sehr großen schweren Kamera gekommen. Und es ist sehr, sehr still dort. Sehr still. Ich hatte das Gefühl: Jede Bewegung ist unerträglich laut. Ich hatte etwa eine Hose mit, die beim Laufen zu viel Geräusch machte, ich konnte sie deshalb nicht anziehen. Die Mönche selber hatten gar keine Scheu vor der Kamera. Aber ich habe mich so unwohl gefühlt, ich musste aus dieser Position - "Bitte mach keinen Lärm!" "Steh nicht blöd in der Gegend herum!" - herauskommen. Da dachte ich: Was ist die maximale Sichtbarkeit, maximale Konfrontation? So habe ich Zettel geschrieben: Ich möchte Porträts von euch machen. Das war ein sehr interessanter Moment, weil die Mönche dann mich gefragt haben, was sie jetzt eigentlich vor der Kamera tun sollten. Dann habe ich meinerseits geschwiegen und nichts gesagt. Dies waren ganz intensive Momente des Transfers.

Die Furche: Wie hat der Film Sie persönlich verändert?

Gröning: Ich habe mich von vielen Dingen getrennt, das Smalltalk-Leben finde ich seither so uninteressant, dass ich bei meinen Freunden schon fast als asozial gelte. Es hat auch den Qualitätsanspruch, was ein gültiger Film ist, sehr verändert.

Die Furche: Und Ihre Religiosität?

Gröning: Die Angstfreiheit, die ich bei den Mönchen erlebte, hat mich dazu gebracht, zu realisieren, dass das Leben sinnvoll ist, dass das Leben nicht schief gehen kann und immer einen geschlossenen Sinn ergibt. Ich hatte während des Drehens einen beinahe tödlichen Unfall, bei dem mir merkwürdigerweise aber nichts zugestoßen ist. Im Zusammenhang mit dem Leben der Mönche hat mir das die Gewissheit gegeben, dass man nicht zum falschen Moment stirbt. Meine katholische Erziehung war voll mit Sünde, Buße, Schuld. Es war für mich vollkommen überraschend, dass die Kartäuser-Spiritualität wirklich auf Entronnensein, Befreitsein, auf Gelingen ausgerichtet ist, nicht auf Schuld!

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Superlative, die normalerweise keinen Filmerfolg garantieren, weist Philip Grönings exzeptioneller Dokumentarfilm über die Grande Chartreuse, das Mutterkloster des Kartäuserordens bei Grenoble, zuhauf auf: 1984 hatte Gröning die Idee, das Leben der schweigenden Einsiedler in den französischen Alpen zu verfilmen. Die einzigen Aufnahmen aus dem Kloster gab es bis dato aus den 60er Jahren - zwei Journalisten war das Filmen unter der Bedingung, keine Gesichter der Mönche abzubilden, erlaubt worden.

Es sei "zu früh", beschieden die Kartäuser Grönings Ansinnen, in "10, 15 Jahren vielleicht" hatte es geheißen. 1999, als er längst nicht mehr ans Projekt glaubte, kam der Anruf aus dem Kloster: Ob Gröning "noch Interesse" hätte? Der 1959 geborene Dokumentarfilmer aus Düsseldorf hatte - und machte sich mit einer hochmodernen HDCAM und einer Super-8-Kamera vier Monate im Frühling/Sommer 2002 ans Filmen, dann drei Wochen Anfang 2003 sowie im Dezember desselben Jahres. Zweieinhalb Jahre brauchte er dann für den Schnitt, "ein paar hundert Fassungen" habe er hergestellt, bis er zufrieden war, erzählt Gröning.

Der Aufwand - auch in audiophoner Hinsicht (auf vier, oft auch acht Tonspuren wurden die Klänge und Geräusche, die den stillen Film tragen, aufgenommen) - hat sich gelohnt: In einem großen Jahrensbogen mit subtiler Beobachtung des einsamen Mönchslebens aus Gebet, Arbeit, Schweigen und ganz wenig gesprochener Kommunikation (vier Stunden pro Woche, beim Sonntagsspaziergang ...) erzählte der Film mitnichten vomGrauen solchen Lebens, sondern von großer Freiheit und Gelassenheit, welche die Eremiten, die heute wie ehedem einsam gemeinsam leben, leitet. Gröning hat sehr viel verstanden von der Spiritualität dieser Mönche, sonst wäre ihm kaum jener authentische Zugang gelungen, der seinen Streifen zum spirituellen Leinwandereignis ersten Ranges macht. Man muss nicht reden, um zu kommunizieren, auch im Film nicht. Man muss aber eine starke Persönlichkeit sein, um seinen Lebensweg als Kartäuser zu gehen. Davon - und von nichts anderem erzählt "Die große Stille", fast drei Stunden, aber keineswegs zu lang: Ein Zeugnis aus dem Abendland, wo es am beeindruckendsten ist. Otto Friedrich

DIE GROSSE STILLE. D 2005. Ein Film von Philip Gröning Verleih: Filmladen. 162 Min.

Bei der Wiener Langen Nacht der Kirchen am 9. Juni wird "Die große Stille" gezeigt

* in der Franziskanerkirche, Wien I., um 17 und 21.30 Uhr

* im Gartenbaukino, Wien I., um 17, 20, 24 Uhr

INFORMATIONEN: www.langenachtderkirchen.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung