Jeder Dritte von Rassismus betroffen

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Mahatma Gandhi hat stets unterstrichen: Wie eine Gesellschaft mit ihren Minderheiten umgeht, ist ein Gradmesser für die Entwicklungsstufe der jeweiligen Demokratie. Jahrzehnte hindurch galten bei uns Menschenrechtsverletzungen als etwas, das in fernen Ländern passiert. Europa sieht sich gerne als Wiege und Garant der Menschenrechte. Doch wie sieht die europäische Wirklichkeit aus?

Nun hat sich die EU-Grundrechteagentur der Behandlung von Minderheiten und Migranten in einer groß angelegten Erhebung angenommen. Danach ist in der EU im vergangenen Jahr jeder dritte befragte Minderheitenangehörige Opfer von Diskriminierung geworden. Aufgrund ihrer Hautfarbe wird Menschen der Zutritt in Restaurants verweigert; sie erhalten einen Job allein aufgrund ihrer Herkunft nicht; der Makler erklärt bei ihrem Anblick, die Wohnung wäre vergeben - die Liste der Beispiele ist lang. Zwölf Prozent der Zuwanderer erlebten gar rassistische Übergriffe, von Gewaltandrohung bis zu physischer Gewalt.

Dabei ist die Dunkelziffer extrem hoch, denn nur ein Fünftel der Betroffenen melden einen rassistischen Vorfall entsprechenden Stellen. Das bedeutet, dass die offizielle Polizeistatistik nur die Spitze des Eisberges zeigt. Organisationen wie ZARA tun zwar ihr Möglichstes, um Vorfälle zu dokumentieren. Aber unter Rassismusopfern herrscht Resignation. Die meisten zeigen wenig Vertrauen in die Behörden. So bleiben Tausende rassistische Vorfälle unentdeckt und ungeahndet.

Wie kann es sein, dass in unserer demokratischen Gesellschaft Diskriminierung und rassistische Übergriffe für viele Menschen zum Alltag gehören? Was bedeutet das für unseren Rechtsstaat? Warum wagen nur die allerwenigsten Rassismusopfer den Gang zur Polizei oder vor Gericht? Wie erreichen wir, dass wir uns des Problems stärker bewusst werden?

Viel Einsatz ist nötig, um diese Fragen zu beantworten. Erstens braucht es ein entschiedeneres öffentliches Eintreten der Politik für Gleichbehandlung, damit Rassismusopfer den Behörden mehr Vertrauen entgegenbringen. Es braucht zweitens eine stärkere Unterstützung von Organisationen, an die sich Betroffene direkt wenden können. Weiters müssen (potenzielle) Rassismusopfer viel besser über ihre Rechte informiert werden, damit sie diese letztlich einfordern können. Denn die beste Gesetzgebung ist zahnlos, wenn die Betroffenen keinen Gebrauch davon machen. Schließlich müssen die im Gesetz vorgesehenen Sanktionen verstärkt angewendet werden. Nur wenn wir diese Anstrengungen unternehmen, können wir den für unseren demokratischen Rechtsstaat beschämend hohen Alltagsrassismus abbauen.

* Der Autor ist Direktor der Agentur für Grundrechte der Europäischen Union in Wien; www.fra.europa.eu

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