Jeder verstand etwas anderes darunter .../"Wenn die Studenten erlauben ..."

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Warum wurde Johann Philipp Reichsfreiherr von Wessenberg-Ampringen in die verantwortungsvollste Position seiner Zeit gesetzt? Weshalb hat die Geschichtsschreibung in Österreich für die Leistungen dieses für das Haus Habsburg am längsten dienenden Diplomaten keinen würdigen Platz gefunden?

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Warum wurde Johann Philipp Reichsfreiherr von Wessenberg-Ampringen in die verantwortungsvollste Position seiner Zeit gesetzt? Weshalb hat die Geschichtsschreibung in Österreich für die Leistungen dieses für das Haus Habsburg am längsten dienenden Diplomaten keinen würdigen Platz gefunden?

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Erzherzog Johann, von der Frankfurter Paulskirche und der Bundesversammlung anerkannter Reichsverweser, berief in dem Augenblick, in welchem 1848 die Volksbewegung in Deutschland ausbrach, Johann Philipp Baron Wessenberg zum österreichischen Bundespräsidialgesandten mit den Worten: "Es würde mich unendlich freuen, wenn Sie ,ja' sagen wollten, denn ich weiß, daß Sie das Terrain und die Leute kennen, das Eine und die Anderen zu behandeln wissen, kräftig und patriotisch gesinnt, daher in allen Beziehungen für die Lage passend sind."

Wer war nun dieser kleine, unscheinbare, schon hochbetagte und gebrechliche Johann von Wessenberg?

In einem kleinen Schlößchen namens Feldkirch, im Badischen nahe dem Rhein, erfuhr der aus einem uradeligen Geschlecht von der Burgunderpforte her stammende sechzehnjährige Jüngling das Jahr 1789. Die Ereignisse in Frankreich erregten höchstes Interesse und wurden von der Familie Wessenberg als heilsame Reaktion gegen die immer tiefer ins Mark gedrungene Verderbtheit aller Zustände freudig begrüßt. Die Meinung war, daß jeder halbwegs Gebildete zu den Freunden dieses Aufschwungs zählen mußte, besonders anläßlich des Zusammentrittes der französischen Nationalversammlung. Golo Mann schrieb einmal: "Die Revolution von 1789 hat eigentlich niemand vorausgesehen, sie kam von selber, machte sich selber. Die Revolution von 1848 wurde gemacht, sie kam, weil sie vorausgesehen wurde."

Johann Philipp traf bei seinen ersten Dienstleistungen als Beobachter bei der Armee den jungen Erzherzog Johann, mit welchem ihn ein Leben lang bis zum Sterbebette ein herzliches Verhältnis verband. Es ist erstaunlich, wie wenig von den fruchtbaren Dialogen (Briefen und Dokumenten) zwischen diesen beiden in die Betrachtung von Historikern gelangt ist. Wie der Habsburger-Erzherzog so heiratete übrigens auch der Nachfahre von breisgauischen Statthaltern des Hauses Habsburg keine Adelige, sondern die Tochter einer bekannten bürgerlichen Geschäftsfamilie in Frankfurt.

Weit öfters wird die Beurteilung von Wessenbergs umfassender diplomatischer Tätigkeit (als Gesandter in Berlin, Frankfurt, München, London, Den Haag, in der Italienfrage und nicht zuletzt 1814 als 2. Kongreßbevollmächtigter in Wien) vom Stil des Klemens Wenzel Fürst von Metternich eingefärbt. Tatsächlich waren die zwei wirklichen Spitzen europäischer Diplomatie miteinander verwandt, und trotzdem hatten ihre Persönlichkeitsprofile ganz verschiedene Ecken und Kanten.

Sicherlich stand Johann Philipp nicht den Märzrevolutionären nahe, welche vor allem ein Ideen-Reich vertraten, aber er hatte auch schon zu dieser Zeit längst begriffen, daß sich Geschichte nicht nur als eine Abfolge von Taten, sondern ebenso als Geflecht von Ideen darstellen muß. Nichtsdestotrotz mußten Veränderungen her; wörtlich sagte er: "Die alten Bande zwischen Bauern und Grundherr können nimmermehr in der früheren Form angeknüpft werden. Der Bauer muß entlastet, reiner Eigentümer werden; die Zeit der Robot und anderer feudalistischen Lehen hat ihr Ende erreicht."

Unnützes System Johann Philipp sprach in seinen Briefen an Erzherzog Johann Ansichten aus, von denen man nur lebhaft bedauern kann, daß es zu jener Zeit niemanden in Österreich gab, der sie im Schoß der Regierung zur Geltung zu bringen vermochte. Als das Wiener Regierungssystem stürzte, war es beiden völlig klar, wie unhaltbar und wenig nutzbringend dasselbe gewesen war; allerdings erhebt Wessenberg Klage über das unwürdige Schicksal des schimpflich davongejagten Fürsten Metternich. Sein Urteil ist nicht auf das Volk ausgerichtet, sondern vor allem auf Metternichs Umgebung, die Monarchen und Minister.

In der Natur Johann Philipps lag jedoch nicht die Klage, sondern das ins Auge zu fassen, was nun getan werden sollte. Und dazu drängte er. "Die tüchtigsten Männer wären die, welche in die Bedürfnisse der Staatsverwaltung sowie der Bevölkerung am tiefsten eingeweiht seien. In den Salons konnte man diese nicht finden, die Atmosphäre der Boudoirs war für die Geschäfte immer verderblich. Jedoch an Talenten wird es nicht fehlen, sie werden jetzt zahlreich auftauchen, da sie nicht mehr zum Schweigen verdammt sind."

Johann Philipp hatte es nach Ablehnung des Postens eines Bundespräsidialgesandten in Frankfurt nicht mehr fertig gebracht, sich dem Ruf zum Amte eines Ministers der auswärtigen Angelegenheiten zu verwehren. Er wußte, daß er sich in eine "mörderische Schlacht begebe, ohne zu wissen, wie er dereinst aus ihr hervorgehen werde".

Johann Philipp erreichte Mitte Mai 1848 Wien, welches vom Kaiser Ferdinand mit Hof und Familie verlassen worden war. Die vereinsamte Kaiserstadt aber war der Schauplatz unaufhörlicher Volksbewegungen, "die schrecklichsten, die ich jemals erlebte", schrieb er am 27. Mai an Erzherzog Johann. Der Brief schließt mit den Worten: "Wenn die Studenten es erlauben, die Stadt mit einem Wagen zu verlassen, so reise ich nach Innsbruck ab." Als er mit Mühen und in einer elendiglichen Gesundheitsverfassung dort ankam, bat er sofort den Kaiser um seine Enthebung als Minister. Leider bekam er noch mehr aufgeladen, nämlich die Präsidentschaft der Regierung.

Wie eng das Verhältnis der beiden Johanns war, das bezeugt die gemeinsame Reise des Erzherzogs und des Ministerpräsidenten nach Frankfurt zum Antritt des Erzherzogs als Reichsverweser. Jedoch schrieb der Stellvertreter Johann Philipps in Wien sehr bald nach Frankfurt: "Wir beschwören Sie, Baron Wessenberg, bald wieder unter uns zu erscheinen und Ihre Weisheit und Erfahrung in politischen Dingen wenigstens solange walten zu lassen, bis eine andere Vorsorge getroffen sein wird. Denn ich habe mich überzeugt, wie wenig die übrigen Herren Minister mit diplomatischen Verhältnissen vertraut sind und wie sehr es Noth tut, daß eine kräftigere Stimme als die meine sie auf den rechten Weg leite." (Wien, 5. August 1848) Ohnmacht Im Oktober 1848 war Johann Philipp der einzige verantwortliche Minister, und nur Fürst Schwarzenberg, der damals noch im Hauptquartier Radetzkys in Mailand weilte, veranlaßte ihn, trotz seiner Isoliertheit auf seinem Posten als Ministerpräsident zu verweilen. Feldmarschall Windischgrätz kümmerte sich in Wien mit seinen militärischen Maßregeln allerdings genausowenig um die Reichsversammlung wie um die Anweisungen des sich mittlerweile in Olmütz befindenden Kaisers. In dieser Ohnmachtstellung war es auch vergeblich, auf die unverzügliche Einsetzung eines "volksthümlichen Ministeriums" zu drängen, wie es von dem von Johann Philipp in die Verantwortung des Finanzministers geholten Philipp von Krauß am 22. Oktober gefordert wurde. Die Dramatik dieser Ereignisse - so mißbilligte Johann Philipp etwa die Hinrichtung des von Frankfurt nach Wien entsandten Revolutionärs Robert Blum - spiegelt sich in einem Schreiben Johann Philipps an Erzherzog Johann vom 1. November 1848 wider: "Die Sachen haben sich hier so gestaltet, daß mein Verbleiben in den Geschäften ein unnützes Martyrium sein würde. Man hat mich für eine gewisse Zeit als eine Notwendigkeit betrachtet und wähnt jetzt wieder andere Ideen geltend machen zu können ..."

Ein gewisser Gottfried Heindl schrieb in einem Büchlein mit dem Titel "Und die Größe ist gefährlich, oder wahrhaftige Geschichten zur Geschichte eines schwierigen Volkes" (Neff, Wien, 1969) über die Gründerjahre 1848: "Resignation und Zynismus reichten damals bis in die höchsten Kreise.

Kurz vor seinem Tod im Jahre 1858 wurde der ehemalige Außenminister Johann Philipp Freiherr von Wessenberg, der seit 1797 im österreichischen Staatsdienst gestanden war, gefragt, ob er seine Lebenserinnerungen schreiben werde. âIch denke nicht daran', antwortete Wessenberg, âich habe mein Vaterland viel zu lieb, als dass ich seine Geschichte schreiben würde.'"

Reformgeist So nett dieses angebliche Zitat vielleicht klingen mag, es ist falsch. Wenige andere Diplomaten hatten mehr Fleiß und Mühe aufgewendet, um alles rund um die Entwicklung und den Fortgang der Geschichte Österreichs, des Hauses Habsburg und der verschiedensten europäischen Verhältnisse und Persönlichkeiten aufzuschreiben und zu analysieren. Leider fehlen die Publizierungen dieses umfassenden Îuvres. Im Jahre 1809 etwa reifte in Johann Philipp ein eigentümlicher Plan, den er dem Kaiser zur Entscheidung vorlegte: "Da ich stets mehr Geschmack an ununterbrochener Arbeit, als an irgendwelcher Ostentation nach Außen hin gefunden habe, so bin ich auf den Gedanken geraten, es würde ungemein nützlich sein, eine Sammlung alles dessen zu veranstalten, was seit Beginn der französischen Revolution zu den Reformen in der Verwaltung aller europäischen Staaten beigetragen habe. Nicht bloß zum Studium der Zeitgeschichte könnte dieses gesammelte Material dienen, sondern eine gerechte Würdigung der Krankheit des Zeitalters, des politischen Reformationsgeistes herbeiführen. Denn kein Staat mehr, und auch der nicht, welcher sich seit Jahrhunderten bei seiner Verfassung glücklich gefühlt habe, könne sich gewissen Reformen länger entziehen."

Niemand reagierte damals auf diese Initiative Johann Philipps, auch nicht im Jahre 1848. Vielleicht aber wäre es endlich an der Zeit, diese ernstlich aufzugreifen, um einem Europa auf "tönernen Füßen" (eine Bezeichnung für die exekutive Ordnung der Paulskirche in Frankfurt) entgegenzuwirken.

Der Autor ist der Ur-Ur-Ur-Urenkel von Johann Philipp von Wessenberg und Wissenschaftsjournalist.

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