Jedes Bild ist ein Spiegel

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Ich zeichne, um mich selbst zu unterhalten. Ich bin also ein gewöhnlicher Egoist." Auf einer derart soliden Grundlage aufbauend, hat Paul Flora achtzig Jahre lang die Welt zeichnerisch unterhalten, im Alter von sechs Jahren hat er damit begonnen, vergangenen Freitag hat er den Bleistift endgültig beiseite gelegt. Gerade weil er mit seiner äußeren und inneren Geschichte sein erstes Publikum war und ihm seine Zeichnungen damit als Lebenswanderkarten durch das Wirrwarr des Weltlaufes zu dienen hatten, konnten seine Arbeiten auch für andere Menschen zu erfrischenden Markierungsmalen werden.

Geboren wurde Flora am 29. Juni 1922 in Glurns in Südtirol, einer winzigen Stadt mit 700 Einwohnern. 1927 übersiedelte die Familie nach Innsbruck, der Zwischenstopp in der Fremdenpension seines Großvaters in Schöfens ob Matrei am Brenner versorgte ihn genauso mit altösterreichischen Relikten wie das Familienstammhaus in Mals. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich der junge Flora, als er einmal den Entschluss gefasst hatte, dabei zu bleiben, was er am besten konnte - nämlich zeichnen -, Alfred Kubin als großes Vorbild auserkor. Obwohl seine Verehrung für Kubin nie aufhörte, entwickelte Flora schon bald seine eigene Welt; zu groß war der Drang der Begabung, zu jener "typischen" Position innerhalb der Geschichte der Zeichnung in der Kunst des 20. Jahrhunderts aufzubrechen, und zu unterschiedlich auch sein Naturell.

Als scharfer Beobachter konnte Flora mit unvergleichlich mehr Gelassenheit an seine Arbeit herangehen, die große Disziplin trug ihren Teil dazu bei. Nicht zu übersehen die Doppelbegabung, die den Umgang mit dem Wort auf ähnlich hohem Niveau beherrschte wie den Zeichenstift. So vermerkte Erich Kästner in einem von Floras frühen Büchern, "Menschen und andere Tiere" aus dem Jahr 1957, dass der Zeichner und der Schriftsteller Zwillinge seien. Natürlich zeigt aber gerade Floras Zeichnung, wo seine große Meisterschaft zu finden ist. Ein Wirrwarr aus dünnen Parallellinien kann sich dann genauso zu einer beinahe fotografisch anmutenden Stadtlandschaft verdichten wie mit Schwindel erregender Sicherheit scheinbar leicht hingesetzte einzelne Striche das Blatt zum rhythmischen Vibrieren bringen. Wo es nötig ist, können sich diese beiden gegensätzlichen Strategien samt allen Zwischenstufen auf ein und demselben Blatt zu den elegantesten Schwerpunktsetzungen zusammenfinden.

Gerade weil der Linienerfinder bei jeder neuen Aufgabe sogleich das Geschichtenerzählen übernimmt, gelingen dann auch die Titel wie selbstverständlich. Dann reicht die Palette von der einfachen Schilderung einer Stimmung bis zu bissigen Kommentaren zu Politik und Gesellschaft. "Jedes Bild ist ein Spiegel", definierte Flora, "jeder sieht darin, was er sehen will, er bekommt so viele Antworten, wie er Fragen stellt. Schaut ein Affe hinein, wird ein Affe herausschauen." Also auf zum vorsichtigen Nachsehen.

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