Jedes Meisterwerk ist großes Kino

Werbung
Werbung
Werbung

Am 18. Juli jährte sich der Todestag des italienischen Malers Michelangelo Merisi – bekannt unter dem Namen Caravaggio – zum 400. Mal. Seine Biografie bleibt ein Faszinosum und eine Legende. Seine direkte und höchst reflektierte Bildsprache ist bis heute unverwechselbar.

„ ‚Name!‘

‚Michelangelo Merisi‘

‚Geboren!‘

‚1571.‘

‚Und wo?!‘

‚In Caravaggio.‘

‚Sie sind Künstler?‘

‚Das wissen Sie!‘

‚Und Mörder!‘

‚Ich habe lediglich vorgezogen, nicht der Ermordete zu sein.‘

‚Sie verwandeln Bauernweiber in Madonnen und Plebejer in Apostel.‘

‚Ich male die Menschen so, wie sie aussehen. Die Mühseligen und die Beladenen. Die Menschen, deren Jesu sich angenommen hätte.‘ “

So etwa könnte ein Verhör mit dem italienischen Barockmaler geklungen haben, der auf Grund einer Rauferei mit Totschlag die letzten Lebensjahre auf der Flucht war. Es ist in dieser Form allerdings Fiktion, geschrieben im Jahr 2006 von Gerhard Falkner. Der Schriftsteller ist nur einer von unzähligen Kunstschaffenden, die sich an Caravaggio abgearbeitet haben. Über 3500 Publikationen sind bereits über ihn veröffentlicht worden. Auch die Jubiläumsausstellungen zu seinem 400. Todestag in Rom, Florenz und Rimini werden gestürmt. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Michelangelo Merisi, der nach seinem Heimatort Caravaggio benannt wurde, Jahrhunderte vergessen war.

Caravaggios Biografie bleibt bis heute ein Faszinosum. Seine Malerei wurde auf unvergleichliche Weise mit seiner mythenumwobenen Vita verknüpft. Kein Wunder: Sie spielt alle Stücke, die das Leben so spielen kann. Leidenschaft, Ruhm, Genialität, Gewalt, Tragik – all das ist mit Caravaggios Lebensweg aufs engste verknüpft.

Letztendlich wird Caravaggios Biografie immer eine Legende bleiben, auch wenn seine sterblichen Überreste rechtzeitig zum Jubiläum angeblich in der Toskana gefunden wurden. Was aber jenseits aller Spekulationen rund um sein Leben vor allem fesselt, das ist seine innovative und sinnliche Hell-Dunkelmalerei mit den dramatischen Lichtinszenierungen. Caravaggio gelingt es, biblische Themen so zu malen, dass sie damals wie heute unter die Haut gehen. Er aktualisiert religiöse Erzählungen über die „Dornenkrönung“, „Die Berufung des Heiligen Matthäus“ oder „Die Bekehrung Pauli“, indem er das heilige Geschehen und alltägliches Leben untrennbar miteinander verknüpft.

Sinnlichkeit in jedem Detail

Egal welches Thema er sich vornahm, Caravaggio machte aus jeder Szene großes Kino. Noch ohne sich auf den Inhalt einzulassen, faszinieren seine Ölbilder auf Grund der Sinnlichkeit jedes noch so kleinen Details, wie das Gemälde „Emmausmahl“ (1601) zeigt. Bei dem in erdigen Tönen gehaltenen Bild handelt es sich um eines jener Werke, in denen Caravaggio sein unglaubliches malerisches Können beispielhaft vorführte. Erstaunen, Überraschung, Ungläubigkeit. Ellbogen und Hände, die scheinbar aus dem Bild ragen. Ein Mann, der im Begriff ist aufzuspringen. Ein Früchtekorb, der so nahe an der Tischkante steht, dass er jeden Moment zu fallen droht. Dramatik pur also. Dabei handelt es sich auf den ersten Blick um eine wenig dramatische Szene. Drei Männer sitzen beim Abendmahl versammelt – auf dem Tisch ein Geflügelbraten, Wein, Brot – und üppige Früchte. Das Glas, die Keramikschale, die teppichartige Tischdecke, die Stoffkrägen – alles ist in seiner Materialität täuschend echt erfasst. Am liebsten würde man ins Bild hineingreifen, um sich eine Traube aus dem Obstkorb zu schnappen. Thematisch visualisiert Caravaggio hier eine Bibelstelle aus dem Lukasevangelium. Nämlich jene Schilderung, in der erzählt wird, wie zwei Jünger am Abend des Ostersonntag mit einem Unbekannten nach Emmaus pilgern. Erst beim gemeinsamen Mahl und durch die Art und Weise, wie Christus das Brot bricht und segnet, erkennen ihn seine Jünger. Caravaggio erzählt nicht die ganze Geschichte, sondern er malt den Moment der Erkenntnis in all seiner Unmittelbarkeit. Natürlich ist dieses Bild theologisch vielfach gedeutet worden. Als existentielle Erfahrung des Mysteriums der Auferstehung etwa. Oder als Bild des Eucharistischen Segens. Aber es fesselt auch ohne großes Bibelwissen bis heute. Weil es auf subtile und gefühlsbetonte Weise Erstaunen angesichts eines Erkenntnisprozesses ausdrückt.

Er provoziert und begeistert

Die Drastik und Direktheit seiner Kunst, hat Caravaggio nicht nur Freunde eingetragen. So wurde sein großformatiges Altargemälde „Der Tod Mariens“ aus der Karmeliter-Kirche in Rom bereits kurz nach Fertigstellung 1606 wieder entfernt. Umstritten war das Gemälde aufgrund der ungewöhnlichen Darstellung der toten Maria. Denn diese ist keineswegs idealisiert gezeichnet. Caravaggio zeigt Maria in einfacher Kleidung, bloßfüßig und bleich. Der Kopf ist zurückgesunken und nicht wie üblich dem Himmel entgegenblickend – auch sind die Arme nicht fromm gekreuzt. Der linke Arm hängt sogar schlaff zur Seite. Caravaggio visualisiert den körperlichen Tod überdeutlich – anstatt Maria im Übergang zwischen irdischem und himmlischem Leben zu malen.

Caravaggio malt alles anders als gewohnt. Er provoziert und begeistert. Auch 400 Jahre nach dem Tod des Malers, am 18. Juli 1610. Weil er seine spezielle Sichtweise auf Kunst, Leben und Glauben mit Farben und Linien – mit Licht und Schatten – ausdrücken kann. In einer direkten und zugleich höchst reflektierten Bildsprache, die bis heute unverwechselbar ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung