Jedes Menschen Spiegelbild

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Der dänische Kultregisseur Nicolas Winding Refn legt sich in seinem neuen Film "The Neon Demon" mit der Modeindustrie und dem Schönheitswahn an. | Das Gespräch führte Alexandra Zawia

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Der dänische Kultregisseur Nicolas Winding Refn legt sich in seinem neuen Film "The Neon Demon" mit der Modeindustrie und dem Schönheitswahn an. | Das Gespräch führte Alexandra Zawia

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Nicolas Winding Refn ist nicht gerade jemand, den man sehr bescheiden nennen würde. Im Interview zu "The Neon Demon" zeigte sich der dänische Regisseur von Filmen zumindest nach außen gewohnt selbstsicher und provokationslustig.

Die Furche: Sie hatten angekündigt, mit "The Neon Demon" ihren ersten Horrorfilm zu machen. Ist Ihnen das gelungen?

Nicolas Winding Refn: Ja. Ich wollte etwas Horrendes finden, über das ich erzählen könnte. Die Modeindustrie, der Schönheitswahn, das schien mir schrecklich genug.

Die Furche: Die Hauptfigur Jesse, eine bildhübsche 16-Jährige, die nach L.A. kommt, um Model zu werden, wird sich dort der Verbindung von Macht und Schönheit bewusst.

Refn: Jesse ist zuerst ein Mysterium, das alle fasziniert. Sie ist perfekt. Allmählich wird sie zum Spiegelbild für jeden. Wer sie ansieht, erkennt seine eigene Hässlichkeit.

Die Furche: Wie kamen Sie auf diese Figur?

Refn: Ich selbst war nie der Männer-Typ, habe ich immer gern mit Puppen gespielt, habe mich gerne schön angezogen. Irgendwann hatte ich die Idee, als 16-jähriges Mädchen wiedergeboren zu werden. Das gab mir den Spielboden für diesen Film.

Die Furche: Wie passt dieser Film zu Ihren Filmen "Drive" und "Only God Forgives"?

Refn: Mit "Drive" habe ich einen aktuellen Trend des männlichen Fetisch gespiegelt. Mit "Only God Forgives" ging es mir um Mannwerdung und Entmannung, also - ganz buchstäblich - auch darum, in den Schoß der Mutter zurückzukriechen. "The Neon Demon" ermöglicht es mir nun, als wunderschöne, junge Frau zurückzukehren.

Die Furche: Empfinden Sie als Mann die diktierte Notwendigkeit, schön zu sein?

Refn: Ich bin nicht schön geboren, also bewege ich mich nicht in dieser Kategorie. Die Welt der Schönheit ist global auf Frauen ausgerichtet. Frauen sind von Schönheit regelrecht besessen. Die Modeindustrie ist aber auch von Frauen kontrolliert. Männer sind dort nur tätig, weil Frauen sie lassen. Ich lasse mich sehr gerne von Frauen dominieren, aber ich bin sehr sadistisch, wenn ich arbeite. Ich mag diese Dualität. Ich bin aus der Zukunft. Und ich mache Filme für die Zukunft.

Die Furche: Was bedeutet das?

Refn: Die Zukunft wird von Singularität bestimmt werden. Jeder wird zu allem Zugang haben. Es wird nur noch deine Vision geben und je individueller, je singulärer man damit ist, umso präsenter wird man damit sein. Es wird nicht länger um gut oder schlecht gehen, sondern immer stärker um die Erfahrung. Darum, den Geist mit Gefühlen und mit Fragen zu penetrieren, Ideen zu pflanzen, um die Evolution von Kultur.

Die Furche: Fühlen Sie da Grenzen?

Refn: In der Kunst gibt es keine Grenzen. Grenzen setzt man sich nur selbst. Die Furche: Expliziter Sex kommt in Ihren Filmen so gut wie nie vor.

Refn: Ich finde Sex in einem Film zu zeigen nicht so interessant, weil wir ja alle hoffentlich selbst Sex haben. Gewalt hat unleugbare Faszination auf die Menschen, dann nicht jeder übt Gewalt aus. Gewalt ist also viel stärker fetischisiert und ins Unterbewusste verlagert als Sex, deswegen ist es eine größere Herausforderung, in diesen Bereich zu gehen, hier kann man noch provozieren.

Die Furche: In Ihren Filmen macht man Referenzen auf Lynch oder Kubrick aus.

Refn: Jeder stiehlt doch von jedem. Kubrick hat von Max Ophüls gestohlen, Lynch von Salvador Dalí und von Buñuel, und wir alle stehlen von Fritz Lang. Daran ist nichts Falsches, das ist die Evolution der Kreativität. Man meint immer, dass Genie gleichbedeutend ist mit Erfindung. Nun meint Erfindung aber nicht automatisch etwas Interessantes oder gar Unterhaltsames. Wir sind alle Unterhalter, also ich zumindest.

Rezension

Schön tödlich

Die Filme des Dänen Nicolas Winding Refn gehören zu den explosivsten, radikalsten und einnehmendsten Vertretern junger europäischer Filmkunst, die aber nie den Konnex zum amerikanischen Kino scheut; sein viel geliebter "Drive"(2011) war aus dem selben Grund so beliebt, wie sein viel gehasster "Only God Forgives" gehasst wurde: Ein Kino, dass auf Schritt und Tritt nicht nur fordernd ist, sondern auch verstörend, nicht bloß opulent, sondern auch verschwenderisch. Refn ist ein viel pedantischerer Ästhet als sein Landsmann Lars von Trier, aber er ist nicht weniger radikal. Das zeigt auch seine neue Arbeit "The Neon Demon", ein bestechend schöner Blick in die Abgründe des Mode(l)-Business in Los Angeles, verfilmt in blitzblank polierter Klavierlackoptik, bestückt mit schönen Frauen en masse und bereichert von Elle Fanning, der jüngeren Schwester von Dakota Fanning, die hier zeigen kann, welches Juwel sie für eine Kamera sein kann, in all ihrer unschuldigen Schönheit.- Der Film folgt dem blutjungen Model Jesse (Fanning), das von der Provinz nach Los Angeles kommt, in der Hoffnung, die große Karriere machen zu können. Doch bald schon bemerkt Jesse, dass es nicht alle Menschen, die ihr schön tun, auch gut mit ihr meinen.

Refn entspinnt um diesen 08/15-Plot einen schillernden Bilderrausch und Soundteppich voller Sinnlichkeit und zelebriert die Schönheit als oberstes Gut einer daran scheiternden und zerbrechenden Frauengeneration. Den Protagonistinnen in diesem Film wie auch im echten Leben ist eines gemein: Ihre Schönheit ist vergänglich, die Gier danach aber schier unstillbar. "The Neon Demon" stellt diese Falle als diabolisches Untergangsszenario dar; selbst das Tödliche sieht hier noch verdammt glamourös aus. (Matthias Greuling)

The Neon Demon

F/DK/USA 2016. Regie: Nicolas Winding Refn. Mit Keanu Reeves, Elle Fanning. Thimfilm. 117 Min.

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