Jenseits der Mythen: Karl V.

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Am 24. Februar 1500, vor genau 500 Jahren, wurde jener habsburgische Monarch geboren, in dessen Reich die Sonne nie unterging.

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Am 24. Februar 1500, vor genau 500 Jahren, wurde jener habsburgische Monarch geboren, in dessen Reich die Sonne nie unterging.

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Wir, Karl V. von Gottes Gnaden Römischer Kaiser, immer Augustus, König von Spanien, Jerusalem, der Balearen, der kanarischen und indianischen Inseln sowie des Festlandes jenseits des Ozeans, Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund, Brabant, Steier, Kärnten, Krain, Luxemburg, Limburg, Athen und Neopatria, Graf von Habsburg, Flandern, Tirol, Pfalzgraf von Burgund Hennegau, Rouissillon, Landgraf im Elsaß, Fürst in Schwaben, Herr in Asien und Afrika": Der Mann mit dieser Titelfülle wurde heute vor 500 Jahren geboren.

Derzeit läuft eine internationale Ausstellung, die an seinem Geburtsort in Gent begann. Sie wird ab heute in Bonn gezeigt, vom 16. Juni bis 10. September im Kunsthistorischen Museum in Wien, an- und abschließend im Prado in Madrid. Gemälde von Tizian, Dürer, Cranach, die im Auftrag des Kaisers entstanden, Skulpturen, Bildteppiche, Prunkharnische und Juwelen, Globen, Uhren, wissenschaftliche Instrumente und viele Dokumente geben Einblick in eine Epoche, die weiterwirkt bis heute. Denn damals begannen revolutionäre Entwicklungen in Astronomie, Schiffahrtstechnik, Bergbau, Handel, Botanik, Medizin, die das Weltbild noch immer prägen.

In dieser Zeit des Umbruchs, in der den Europäern zum erstenmal klar wurde, daß die Welt eindeutig rund und von vielen nicht-europäischen Menschen bewohnt ist, steht Karl V., ein Mann mit nie dagewesener Macht, einerseits geprägt von mittelalterlichen Vorstellungen eines Kaisertums von Gottes Gnaden, andererseits herausgefordert von dem, was heute Globalisierung heißt. Die Nationalgeschichtsschreibung des 19. und auch noch des 20. Jahrhunderts hat aus ihm einen Burgunder oder einen Spanier, einen Deutschen oder einen Österreicher gemacht. Das ist unhaltbar. Er war ein europäischer Herrscher, der seit einem halben Jahrtausend nicht nur Historiker zu immer neuen Bewertungen herausfordert, sondern auch die Phantasie von Schriftstellern, Musikern, Malern angeregt hat.

Über 120.000 Stück politischer Korrespondenz sind aus seiner Regierungszeit erhalten. Kein Mensch hat alle diese Dokumente gelesen; sie sind nicht einmal alle herausgegeben. Es ist das Verdienst eines österreichischen Historikers, daß rechtzeitig zum 500. Geburtstag die erste umfassende Biographie Karls V. seit 60 Jahren vorliegt. Alfred Kohler macht gleich zu Beginn seiner auf 25 Jahren wissenschaftlicher Arbeit fußenden Studie klar, daß Karl, Sohn der spanischen Königstochter Juana (der "Wahnsinnigen") und Philipps des Schönen von Burgund (Sohn Kaiser Maximilians I.), als Mensch kaum faßbar ist. Er hat kein Tagebuch geführt, und selbst die Briefe an seine geliebte Frau Isabella, eine Portugiesin, sind seltsam gestelzt.

Was er gedacht, geglaubt, gefühlt hat, bleibt ein Geheimnis. Am Anfang steht eine Kindheit ohne Eltern: Karl wuchs ohne Vater auf; dieser starb 28jährig in Burgos an einem Herzschlag, als er nach einem Ballspiel hastig eiskalten Wein trank. Die Mutter wurde wegen ihres angeblich prekären Geisteszustands von ihrem eigenen Vater im Kloster von Tordesillas in Kastilien gefangen gehalten. Karl sah sie zum erstenmal, als er 17 war.

Seine hochgebildete Tante Margarete, Statthalterin der Niederlande, zog ihn auf. Einmalig in der Geschichte: einer seiner Erzieher war ein späterer Papst, Adrian von Utrecht, Papst Hadrian VI. Heute wird in den Niederlanden gern behauptet, Karl habe flämisch gesprochen. Dafür gibt es keinen Beweis. Seine Muttersprache war französisch und das Problem mit den anderen Sprachen seines Reiches drängte sich mehrmals in den Vordergrund.

Als 1516 sein spanischer Großvater Ferdinand starb und Karl König von Kastilien und Leon wurde, konnte er - anders als sein jüngerer Bruder Ferdinand, der in Spanien aufwuchs - kein Wort spanisch. Die spanischen Adeligen verlangten für seine Anerkennung, er müsse sofort die Landessprache lernen und einen Sohn zeugen. Nach dem Tod seines väterlichen Großvaters Maximilian wollte der 19-jährige diesem als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches nachfolgen. So malte er - er konnte kein Wort deutsch - Briefe an die deutschen Kurfürsten ab, um sie davon zu überzeugen, daß er der richtige Bewerber für die Kaiserkrone sei. Er gewann die Wahl gegen den französischen König Franz I. und handelte sich dafür dessen lebenslange und oft gefährliche Feindschaft ein.

Über Karls Person geben am besten die scharfäugigen Berichte venezianischer Diplomaten Auskunft: "Der Kaiser ist von mittlerer Statur, weder groß noch klein, weißhäutig, eher blass als von rosiger Gesichtsfarbe, von gutproportioniertem Körperbau - er hat schöne Beine und wohlgeformte Arme -, die Nase ist ein wenig adlerförmig gebogen, aber nur ein bißchen, seine Augen sind scharf, sein Ausdruck ernst, jedoch nicht grausam oder streng. Nichts kann man an seinem Äußeren beanstanden, ausgenommen sein Kinn, besser noch die gesamte Unterkieferpartie, die sowohl zu breit als auch zu lang ist, und die nicht zum übrigen Aussehen paßt, sogar unnatürlich und künstlich wirkt. So kommt es, daß der Kaiser beim Schließen des Mundes die Oberzähne nicht auf die Unterzähne setzen kann, da zwischen den beiden Zahnreihen ein zahnbreiter Zwischenraum verbleibt, wodurch der Kaiser beim Sprechen, besonders gegen Satzende, die Worte verschluckt und man ihn daher oft nicht sehr gut versteht."

Gaspare Contarini beobachtete auch das Wesen des Kaisers: Er sei ein sehr religiöser Mensch, schrieb er, sehr gerecht, frei von jedem Laster, nicht "der Wollust ergeben", wenig leutselig, bescheiden: "Und doch hat er eine weniger lobenswerte Eigenschaft, ich meine die angeborene Veranlagung, nachtragend zu sein. Wie mir sein Beichtvater, der in Valladolid verstarb und mit dem ich vertraulichen Umgang gepflegt hatte, sagte, behält der Kaiser ihm einmal zugefügte Beleidigungen im Gedächtnis und kann sie nicht so leicht vergessen."

Karl V. war der letzte Reisekaiser ohne festen Wohnsitz. Herrschte gerade Frieden mit Frankreich, so konnte er auf dem Landweg von Deutschland oder Brüssel nach Spanien reisen; in Kriegszeiten blieb ihm nur der Seeweg. Neben den Auseinandersetzungen mit Frankreich, die vor allem in Italien ausgetragen wurden, beherrschten zwei weitere Prioritäten sein politisches Wirken: der Kampf gegen die Osmanen und jener um die Einheit des katholischen Glaubens in Deutschland. Die Türkenabwehr im Osten überließ er seinem Bruder Ferdinand. Er selbst brach im Sommer 1535 von Barcelona nach Tunis auf, wo sich die maurischen Seeräuber festgesetzt hatten.

Seit der Vertreibung der Muslime von der iberischen Halbinsel durch die Großeltern Karls V. im Jahr 1492 raubten und plünderten diese immer wieder im Mittelmeerraum. Mit dem Kaiser an der Spitze schossen die spanischen Truppen - halb verdurstend - die Festung Goletta vor Tunis sturmreif, aber der Anführer der Piraten, Chaireddin Barbarossa, entkam nach Algier. Die kaiserliche Propaganda gab den Tunis-Feldzug dennoch als großen Sieg aus, der auf berühmten Gobelins festgehalten wurde. Wie übrigens Karl V. die Künste weniger als Mäzen förderte, sondern zum Ausdruck seiner Macht und Reputation einsetzte. Die Geschichte vom demütigen Kaiser, der dem großen Tizian den entglittenen Pinsel vom Boden aufhebt, darf angezweifelt werden.

Das Problem, das Karl V. nach seinen Aussagen am meisten belastete, war die Glaubensspaltung in Deutschland. Luther zunächst überhaupt nicht feindlich gesinnt, weil erkennend, daß Reform in der Kirche nötig sei, deklarierte er sich schließlich klar und sogar auf dem Schlachtfeld für die Einheit des Glaubens. Sein Sieg über die protestantischen Fürsten in der Schlacht von Mühlberg im Jahr 1547 blieb politisch folgenlos. Die Spaltung der Kirche konnte er nicht rückgängig machen, Tizian zeigt ihn auf einem Gemälde nach dem Sieg, hoch zu Ross, in glänzendem Harnisch, die Lanze in der Faust, hoheitsvoll im Sattel aufgerichtet: umgeben von grenzenloser Einsamkeit.

In die Regierungszeit Karls V. fiel die Ausdehnung des spanischen Überseebesitzes: die Konquistadoren eroberten die Großreiche der Azteken in Mexiko, der Inka in Peru sowie weite Teile Südamerikas. Der Eroberer Hernan Cortes hatte bereits 1524, nachdem er die Pazifikküste erreicht hatte, dem Kaiser geschrieben, er möge einen neuen Titel annehmen: "monarca del mundo" - Kaiser der Welt. Obwohl Karl V. strenge Gesetze gegen die Sklavenhaltung erließ, siegte schließlich seine Geldnot über die Moral. Sobald die Schiffe mit dem begehrten amerikanischen Silber ausblieben, verschwanden die Gesetze zum Schutz der Indios in der Schublade. Amerika blieb ihm fremd. "Auf den Feldzügen, die ich unternommen habe, teils um Krieg zu beginnen, teils um Frieden zu stiften, bin ich neunmal nach Deutschland, sechsmal nach Spanien, siebenmal nach Italien, viermal nach Frankreich, zweimal nach England und zweimal nach Afrika gekommen und habe damit vierzig große Reisen gemacht ... Ich habe achtmal das Mittelmeer, zweimal die Spanische See durchschifft", sagte der alternde Kaiser in Brüssel, als er verkündete, abdanken zu wollen.

Der zügellose Fleischesser, der seit seinem 27. Lebensjahr an Gicht litt, mußte zu dem Ort in der Extremadura, an dem er sterben wollte, in einer Sänfte getragen werden. Sein Rückzug nach Spanien wurde in der deutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts als Beweis dafür gewertet, daß er die deutschen Anliegen nie verstanden habe. Er wurde zum bösen Spanier. Direkt an das Hieronymitenkloster von Yuste hatte er sich seinen Alterssitz bauen lassen, mit einer großen Terrasse, von der er sitzend die Angel in den Fischteich vor dem Haus auswerfen konnte. Gobelins und Ölgemälde sowie kostbare Möbel, Uhren und andere Instrumente widerlegen die Legende vom Kaiser, der ein Mönch geworden sei.

Die ersehnte Ruhe fand der Erschöpfte in Yuste nicht. Er hinterließ seinem Sohn Philipp II. ein bankrottes Reich, und schließlich holte ihn die Inquisition ein. Der Erzbischof von Toledo, Carranza, sagte dem Sterbenden: "Jetzt kommt es nur mehr auf Christus an." Als kastilischer König, und das war Karl ja auch, hätte er ein strenges Sterbezeremoniell einhalten müssen, das sich bereits im 13. Jahrhundert ausgebildet hatte. Dieser Satz Carranzas brachte den Erzbischof sowie weitere rund 80 Personen vor die Inquisition.

Die Frage lautete: Starb der Kaiser als Lutheraner? Vier Jahrzehnte Mühsal: War er ein großer Herrscher? Wie seine Vorfahren hat er seine gesamte Familie dem dynastischen Prinzip geopfert. Seine Geschwister, seine legitimen und illegitimen Kinder mußten für ihn Statthalterfunktionen übernehmen und dynastisch festigende, zum Teil erschreckend unglückliche Ehen eingehen. Und trotzdem zerfiel das Reich, in dem die Sonne einst nicht untergegangen war.

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