Jenseits von Ebenfurth

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Wer mit der Raab-Oedenburg-Ebenfurter-Eisenbahn nach Sopron fährt, der verläßt die EU in gewisser Weise bereits in Ebenfurth, lange bevor er wirklich die österreichische Staatsgrenze erreicht.

Hier steigt der ÖBB-Schaffner aus, und ein ungarischer Kollege der ROeEE übernimmt den Zug. Die Fahrscheine werden nun nicht mehr von kleinen Computern ausgedruckt, sondern mit der Hand geschrieben. Seinen persönlichen EU-Beitritt hat der ungarische Zugbegleiter aber schon vollzogen. Seit Jahren lernt er, der sich während seiner Schulzeit nur mit Russisch beschäftigen durfte, nun diverse westeuropäische Sprachen - auch während des Dienstes. Deutsch und Italienisch kann er schon, mit den Englisch-Fortschritten ist er zufrieden. Grund genug, sich bald um Französisch-Lehrbücher umzuschauen. Alle ausländischen Reisenden, mit denen er spricht, bedeuten für ihn ein Sück Konversationskurs - der richtige Beruf zum Sprachenlernen also, denn ein Schaffner trifft immer wieder auf gesprächige Touristen.

Vom realen Eintritt seines Landes in die Union hält er - trotz der technischen Überlegenheit der österreichischen Kollegen - nicht allzuviel. Zu groß sind für ihn noch die Unterschiede zwischen Ungarn und dem Westen. Er befürchtet, daß Preise und Lebenshaltungskosten, die ohnehin jetzt schon weit rascher als die Einkommen steigen, wesentlich schneller europäisches Niveau erreichen werden, als die Löhne und Gehälter.

Sofort nach der Grenze ist der niedrigere Lebensstandard erkennbar. Und das obwohl Sopron die reichste Stadt Ungarns ist. Bereits 30, 40 Kilometer weiter wähnt sich der Reisende aus Österreich in die 50er Jahre zurückversetzt. Es gibt Bauern, die Pferdefuhrwerke benutzen, und selbst in größeren Gemeinden sind nicht alle Straßen asphaltiert.

In Denesfa, einer Ortschaft mit 450 Einwohnern, südöstlich von Sopron, versammelt man sich allabendlich in der Kocsma, dem Dorfbeisl. Hier trifft man Bauern, Hilfsarbeiter bei der Bahn, der Straßenverwaltung oder einer der großen ausländischen Firmen wie Audi in Györ oder Linde-Gas in Repcelak, Pensionisten, die hier mit wenig Geld ihre viele Zeit totschlagen können und etliche Arbeitslose, die hin und wieder mit Gelegenheitsjobs ein paar Forint dazuverdienen. Auch wer einen fixen Arbeitsplatz hat, kann sich glücklich schätzen, wenn er umgerechnet etwa 2.500 bis 3.000 Schilling verdient.

So sehr den einen oder anderen der Beitritt zur Union locken mag, sie alle wissen um den Unterschied zu jenem Land, das jenseits der nahen Grenze liegt. Groß ist die Sorge, beim Modernisierungsschub, den die EU bringen wird, unter die Räder zu kommen. Ein Vorarbeiter beim Gleisbau der Raaber-Bahn, die hier GYSEV heißt, ist überzeugt: "Das kann nicht gutgehen, jetzt schon kosten Benzin und Telefon soviel wie in Österreich, die Menschen hier verdienen aber nur etwa ein Sechstel. Und wenn die Löhne auf Westniveau steigen, wird es den Firmen zu teuer, sie werden rationalisieren, und Gleisbaumaschinen ersetzen die Streckenarbeiter. Was sollen diese Arbeiter dann machen?"

Entlang den Landstraßen springen Säcke mit Hausmüll ins Auge, die im Vorbeifahren "verloren" wurden. Im Winter verrät der Gestank in den Ortschaften, daß es mit der Luftqualität nicht zum Besten steht. Dagegen wird von den Behörden wenig unternommen, bei der Ökologie wird gespart, wenn schon rundherum das Leben immer teurer wird. Gerade im Umweltbereich sind noch große Anstrengungen nötig, um mit der Union gleichzuziehen. Anstrengungen, die viel Geld kosten werden, das aufzutreiben nicht einfach sein dürfte. Die Menschen hier wissen das, und die keck in die Landschaft geschnippte Zigarettenkippe wird mit einem sarkastischen: "So kommt Ungarn in die Europäische Union!" quittiert.

Für den österreichischen Reisenden ist der Eintritt in die Union hingegen einfach: Er kauft beim Schaffner erneut einen handgeschriebenen Fahrschein und hat damit für seinen Ausflug ins Nachbarland gut ein Zehntel eines ungarischen Monatslohnes ausgegeben. In Ebenfurth wird der Zug an die ÖBB übergeben - die EU hat beide wieder.

Der Autor lebt in Wien und Denesfa.

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