Jesus von Nazareth - Brücke oder Hindernis?

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Am 17. Jänner begehen die christlichen Kirchen den Tag des Judentums. Ein guter Anlass, sich der Gestalt des Jesus von Nazareth auch aus einem jüdischen Blickwinkel zu nähern.

Die frühchristlichen Evangelien gelten als die wichtigsten Quellen zum äußeren Lebensgang Jesu. Es handelt sich dabei nicht um historische Aussagen. Vielmehr haben die Schilderungen theologische Bedeutung. Das früheste der drei synoptischen Evangelien, das Markusevangelium, ist um 70 entstanden und greift auf ältere Materialien zurück. Der Geschichtswert des Johannesevangeliums, das jüngste der Evangelien, ist aus seiner nachösterlichen Glaubensperspektive heraus hingegen begrenzt.

In den synoptischen Evangelien begegnet uns Jesus, der Jude. Als Erstgeborener einer jüdischen Familie wurde Jesus im Tempel ausgelöst; später erlernte Jesus den Beruf seines Vaters (Mk 6,3; Mt 13,55). Josef war ein Handwerker. Nach Lk 2,46f beeindruckte Jesus die Jerusalemer Schriftgelehrten im Tempel schon mit zwölf Jahren mit seiner guten Torakenntnis. Jesu Taufe im Jordan entspricht der Tewila, dem traditionellen Ganzkörpertauchbad zur rituellen Reinigung. Die Begegnung mit Johannes dem Täufer bedeutet eine entscheidende Wendung; in Folge seiner eigenen Berufungserfahrung kehrte Jesus nach Galiläa zurück und beginnt anno 28/29 sein Wirken als charismatischer Wanderprediger. Sein Wohnsitz ist Kapernaum am See Genesaret, sein Wirkungskreis das Gebiet nördlich und östlich des Sees. Der Evangelist Johannes schreibt von drei Jahren, in denen Jesus öffentlich auftrat, während die drei Synoptiker von einem Jahr und auch nur von einer Reise Jesu nach Jerusalem ausgehen. Viele Ortsangaben der Evangelien wurden später eingefügt und spiegeln die Verbreitung des Christentums zur Zeit ihrer Redaktion wider.

Im Wesentlichen rabbinischer Predigtstil

Jesu Predigtstil ist im Wesentlichen rabbinisch, seine Gleichnisse folgen der biblischen Bildersprache aus Landwirtschaft und Fischerei: der Sämann, das Senfkorn, der Menschenfischer, die "Stillung“ des Sturmes. Seine ersten Jünger nannten ihn "Rabbi“ oder "Rabbuni“. Das drückte Ehrerbietung aus und gab Jesus denselben Rang wie den pharisäischen Schriftgelehrten. Wie Rabbi Hillel (ca. 30 v.u.Z. bis 9 n.u.Z. ) räumte Jesus der Nächstenliebe den gleichen Rang wie der Gottesfurcht ein und ordnete sie damit den übrigen Torageboten über.

Aus christlicher Nichtkenntnis des Judentums zur Zeit Jesu wurde lang angenommen, Jesus habe eine aus dem Judentum unableitbare Auslegung des Religionsgesetzes vertreten. Doch das Judentum war damals enorm vielgestaltig, es ist kein Problem, seine Deutung der Tora als innerjüdisch zu verstehen. Jesu Armenfürsorge, Heilungen und die geforderte Einheit von Beten und Almosengeben ähnelt dem Auftreten des Wundercharismatikers Chanina Ben Dosa (um 40-75).

Heutige Religionswissenschaftler ordnen Jesus ganz ins damalige Judentum ein und betonen seine Verwandtschaft mit dem Pharisäismus. Der Bochumer Neutestamentler Klaus Wengst schreibt: "Wenn wir dem Jesus der Evangelien begegnen, begegnen wir einem Juden, der nicht isoliert von seinem Volk gelebt hat, sondern mitten in ihm und mit ihm. Wenn wir ihm begegnen, begegnen wir also Jüdischem und nur Jüdischem.“

Das Verhältnis des Johannesevangeliums zum jüdischen Umfeld Jesu ist allerdings zwiespältiger. Einerseits wird Jesus ausdrücklich als Jude dargestellt und gesagt: "Das Heil kommt von den Juden“ (4,22). Andererseits werden auch massive Auseinandersetzungen zwischen Jesus und seinem jüdischen Umfeld deutlich. Der Eindruck stellt sich ein, dass es um eine Gegnerschaft, ein Ablösen Jesu aus dem Judentum gehe. Die synoptischen Evangelien schildern dagegen lediglich einige Streitgespräche zwischen Jesus und vor allem den Pharisäern. Die Darstellung des Johannesevangeliums gibt denjenigen Nahrung, die vor allem darauf abstellen wollen, was das Originäre und Neue der Botschaft Jesu gewesen war - im grundsätzlichen Gegensatz zum jüdischen Umfeld, in das Jesus von Nazareth eingewurzelt war. So auch Benedikt XVI. in seinem zweiten Jesus-Buch aus 2011. Historisch-kritische Exegeten sehen darin den Niederschlag des Konflikts nach dem Ausschluss der Christen aus den Synagogen nach dem Jahr 70. Dabei hatten die negativen Darstellungen des Johannesevangeliums enorme Folgen und führten in ihrer Wirkungsgeschichte dazu, einen christlichen Antijudaismus grundsätzlicher Art zu stützen.

Jesus war kein marginaler Jude

Was bleibt, ist der Eindruck einer Spannung unter den Vorzeichen der Ablösung. Diese Spannung müssen Juden und Christen bis heute immer wieder aushalten. Der Bruch ist vor allem ein Phänomen der Wirkungsgeschichte Jesu, nicht aber die Intention des Rabbi Jesus. Denn Jesus war kein marginaler Jude. Was er als Pharisäer gelehrt und getan hat, dem haben Menschen später einen neuen Sinn gegeben.

Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung

Vortrag von Walter Homolka - 17.1., 18.30 Uhr, Theologische Kurse, 1010 Wien, Stephansplatz 3

Info & Anmeldung: www.theologischekurse.at

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