Jodelland Österreich?

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Die neue Regierung und ihre Kulturpolitik stoßen in Künstlerkreisen auf massive Ablehnung.

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Die neue Regierung und ihre Kulturpolitik stoßen in Künstlerkreisen auf massive Ablehnung.

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Die Gesetze gehören uns!", jubelt Martin Humer, jetzt wo "die FPÖ die Macht übernommen hat". Der "Pornojäger", der vorige Woche wegen der Beschädigung eines Gemäldes von Otto Mühl zu sechs Wochen bedingter Haft verurteilt wurde, ist einer der wenigen Österreicher, die in der Öffentlichkeit von der Kulturpolitik der neuen Regierung positive Akzente zu erwarten. Im Kulturbetrieb hingegen stößt die ÖVP-FPÖ-Regierung auf massive Ablehnung. Unter dem Namen "Kulturnation Österreich" etwa haben über 100 Künstler der neuen Regierung die "moralische Qualifikation" abgesprochen, "im Namen der Kunst und Kultur zu sprechen", darunter die Schriftsteller H. C. Artmann, Friederike Mayröcker und Ernst Jandl.

Täglich rattern neue Schreckensmeldungen aus dem Kulturbereich über die Fernschreiber: Daß die Erben Ingeborg Bachmanns dem nach ihr benannten Schriftstellerwettbewerb in Klagenfurt verboten haben, weiterhin den Namen der Schriftstellerin zu benutzen, ist wohl eine der spektakulärsten. Ausländische Künstler wollen Österreich boykottieren: "Ich kann mit Leuten, die ich für Faschisten halte, nicht arbeiten", erklärt der französische Dirigent Sylvain Cambreling, Chefdirigent des Klangforum Wien, der seine Arbeit in Österreich beenden will. Auch Gerard Mortier hat das Kuratorium der Salzburger Festspiele gebeten, seinen Vertrag als künstlerischer Leiter zu lösen; er könne "unmöglich mit Vertretern einer faschistischen Partei zusammenarbeiten".

Vergleichsweise milde reagierten einige Maler. Mit Viktor Klima mußten auch einige Gemälde das Bundeskanzleramt verlassen: Christian Ludwig Attersee, Adolf Frohner und Arnulf Rainer wollten die Bilder dem neuen Kanzler Wolfgang Schüssel nicht mehr als Leihgaben überlassen. Manche Künstler wollen Österreich überhaupt den Rücken kehren: Paul Abraham, Architekt des aufsehenerregenden Österreichischen Kulturinstituts in New York, hat seine Staatsbürgerschaft zurückgelegt. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat die Aufführung ihrer Stücke in Österreich verboten und bleibt lediglich aus familiären Gründen im Lande (sie pflegt ihre kranke Mutter). Robert Fleck, ehemaliger Bundeskunstkurator will sich um eine andere Staatsbürgerschaft bemühen und fordert zum "lückenlosen Boykott der österreichischen Kunstinstitutionen" auf: In einem Land, "in dem die Nazis wieder Regierungsverantwortung tragen", dürfe man nicht mehr ausstellen.

Ein künstlerischer Boykott trifft jedoch jene, die er eigentlich nicht treffen sollte: Ausgerechnet die Filmemacher Barbara Albert und ihr preisgekrönter Film "Nordrand", in dem es um die Freundschaft zweier Frauen unterschiedlicher ethnischer Herkunft geht, wurden in Hollywood bei der Vorausscheidung zum Auslandsoscar Opfer von Boykottaufrufen. Miguel Herz-Kestranek ortet "faschistoide Gedanken" auch bei den "moralisch Entrüsteten": Der Vergleich mit den Nazis sei eine "ungeheure Verharmlosung der NS-Greuel", empört sich der Schauspieler und Autor.

"Seit wann gewinnt man Terrain durch einen Rückzug aus eigenem Antrieb" wundert sich die "Frankfurter Allgemeine" über die zum Teil hysterischen Reaktionen, die der Philosoph Peter Sloterdijk als "Endsieg des Moralismus" geißelt. "Gerade in der derzeitigen politischen Situation ist es unverzichtbar, für die Kunst Position zu beziehen und mit der Kunst Haltung zu zeigen", spricht die Stimme der Vernunft etwa durch Gerald Matt, den Direktor der Kunsthalle Wien. Auch der Regisseur Kurt Palm hält Boykotte für falsch, "würde eine solche Strategie nämlich nichts anderes bedeuten, als den konservativ-reaktionären Kräften das Feld ohne Gegenwehr zu überlassen". "Noch befinden wir uns weder unter Pinochet in Chile noch in Moskau unter Polizeichef Berija", erklärt Luc Bondy in der jüngsten Ausgabe des Magazins "Format". Der Intendant der Wiener Festwochen hat schon Drohungen erhalten, daß er, wenn er in Österreich bleibe, Schwierigkeiten bekommen könnte, wieder in Paris zu arbeiten.

Wie die konkrete Kulturpolitik der neuen Regierung aussehen wird, kann man nur mutmaßen. Möglicherweise wie in Kärnten, vermuten viele, wo FPÖ-Chef Jörg Haider höchstpersönlich für Kultur zuständig ist: "Der Umgang Haiders mit Hochkultur ist absolut korrekt", meint etwa Dietmar Pflegerl, alles was hingegen nicht in diesen Bereich fällt, schätzt der Intendant des Klagenfurter Stadttheaters als "höchst gefährdet" ein, in Kärnten etwa das Tanztheater Ikarus oder das Gehörlosentheater Arbos. Die Stimmung im südlichsten Bundesland scheint jedenfalls nicht sehr kunstfreundlich zu sein: Aufgrund der "permanenten Anpöbelungen vorgeblich kunstinteressierter Passanten" verlegte Irmgard Bohunovsky ihre Galerie Carinthia schon vor zwei Jahren vom Parterre in den dritten Stock.

Drei Punkte im Regierungsprogramm lassen bei vielen Kulturschaffenden die Alarmglocken klingeln: * Die Schaffung einer Nationalstiftung, unter anderem "zur Sicherung und Pflege österreichischen Kulturguts", aber nicht - wie noch von SPÖ und ÖVP geplant - zur Förderung zeitgenössischer Kunst * Die "Förderung der kulturellen Ausdrucksformen der Regionen" * "Volkskultur" wird zum Forschungsschwerpunkt erklärt (Damit seien "wohl Jodelkonzerte gemeint", ätzt Gerard Mortier).

Der neue Kunststaatssekretär Franz Morak hingegen scheint für eine konträre Art der Kulturpolitik zu stehen: Ein Bekenntnis zu Neuen Medien, Design, Architektur, Mode, Freizeitwirtschaft und Populärkultur sowie eine Absage an das traditionelle Paradigma der österreichischen Kulturpolitik ("Sammeln, Bewahren, Erschließen") - dieses kulturpolitische Credo legte Morak vor nicht einmal einem Jahr in dem von ihm herausgegebenen, programmatischen Band "Die organisierte Kreativität" (Edition Atelier) ab.

Doch dort schreibt Morak auch: "Ich habe den Eindruck, daß Jörg Haider den Passus in unserer Verfassung, der der Kunst Freiheit einräumt, noch nicht ganz verstanden hat." Jetzt, wo der Schauspieler in einer ÖVP-FPÖ-Regierung sitzt, ist zumindest diese Aussage wohl Schnee von gestern.

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