Jubiläum mit kritischer Begleitung

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Vor 120 Jahren wurde die Wiener Volksoper als Kaiserjubiläum-Stadttheater eröffnet. Das Gedenkjahr 2018 bietet zugleich Anlass, sich mit ihrer Geschichte in der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Direktor Robert Meyer über bewegte Zeiten und das Erlebnis "Musiktheater".

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Vor 120 Jahren wurde die Wiener Volksoper als Kaiserjubiläum-Stadttheater eröffnet. Das Gedenkjahr 2018 bietet zugleich Anlass, sich mit ihrer Geschichte in der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Direktor Robert Meyer über bewegte Zeiten und das Erlebnis "Musiktheater".

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Wir bringen zur Saisoneröffnung eine neue 'Csárdásfürstin', im Oktober 'Zar und Zimmermann', Leonard Bernsteins 100. Geburtstag feiern wir mit 'Wonderful Town' und George Gershwins 120. Geburtstag mit 'Porgy and Bess' - das sind Werke mit großer Volksoperngeschichte", zählt Wiens Volksoperndirektor Robert Meyer die Premieren der kommenden Saison seines 120 Jahre bestehenden Hauses auf, das aus diesem Anlass auch seine Geschichte kritisch hinterfragt. Die FURCHE bat Meyer zum Gespräch.

DIE FURCHE: Herr Direktor Meyer, die Volksoper Wien feiert ihr 120-jähriges Bestehen, Sie bestreiten Ihre zwölfte Saison als Direktor dieses Hauses. Ein schöner Zufall? Robert Meyer: Ich bin der 23. Direktor und es hat nicht sehr viele gegeben, die länger hier waren: Rainer Simons, die Nummer 2, war vierzehn Jahre hier, und natürlich Karl Dönch. Ich bin also jetzt ein Zehntel der Zeit Direktor.

DIE FURCHE: Die Volksoper hat eine bewegte Geschichte. Zuerst war sie ein Schauspielhaus, bald wurde sie zu einer Heimstätte für Oper, Operette und Musical. Was verbinden Sie mit der Volksoper?

Meyer: Schon unter Simons wurde erstaunlich viel Wagner gespielt, auch die erste Wiener "Tosca". Die Bezeichnung Volksoper, die wir seit 1904 tragen, beinhaltet auch die deutsche Spieloper, die Operette, seit 1956 das Musical. Im Gegensatz zum Haus am Ring sind wir ein Opernhaus, wo man viel leichter hineingeht. Es gibt keine Schwellenangst und die Karten sind günstiger. Es war eben auch gedacht für die Bewohner des Alsergrunds und von Währing. Ursprünglich hatte die Volksoper circa 1800 Plätze, jetzt sind es rund 1330.

DIE FURCHE: Hat sich Ihr Bild über das Haus geändert, seit Sie Direktor sind?

Meyer: 1993 bin ich hier zum ersten Mal als Burgschauspieler aufgetreten und meine Liebe zum Musiktheater ist gegenüber dem Sprechtheater immer größer geworden. Die Musik hat mir viel gegeben. Wir engagieren gelegentlich Schauspieler aus dem Sprechtheater, die sind genauso begeistert, wie ich es damals war. Wenn 56 Orchestermusiker im Graben eine Ouvertüre spielen, reißt es mir das Herz auf. Damit will ich das Schauspiel, das ich 33 Jahre gemacht habe, keineswegs niedermachen, aber es ist ein anderes Flair. Ob sich für mich etwas geändert hat? Für mich hat sich alles geändert!

DIE FURCHE: Eine Rückkehr in das Schauspiel schließen Sie aus?

Meyer: Wenn die Rolle passt, das Stück, das Regieteam: Warum nicht? Nach meiner Volksopernzeit, versteht sich.

DIE FURCHE: Wien hat eine sehr dichte Theaterlandschaft, was soll die Volksoper auszeichnen?

Meyer: Zu allererst die Vielfalt! Die Volksoper zeichnet aus, dass sie das einzige Haus ist, das die Operette noch pflegt, dass wir im Gegensatz zur Musicalsparte der Vereinigten Bühne das alte klassische amerikanische Musical präsentieren, dass wir mit wenigen Ausnahmen im Gegensatz zu Staatsoper und Theater an der Wien Oper in deutscher Sprache spielen und dass das Wiener Staatsballett bei uns tanzt. Wir haben jeden Abend ein anderes Stück. Ganz selten kommt es vor, dass wir ein und dasselbe Stück an zwei Abenden hintereinander aufführen.

DIE FURCHE: Wird die Volksoper ist ein Repertoire-Theater bleiben?

Meyer: Ich hoffe sehr, denn das macht unsere künstlerische Vielseitigkeit aus. Wenn jemand gerne ins Musiktheater geht, hat er bei uns die Möglichkeit, in einer Woche in sieben verschiedene Vorstellungen zu gehen. Bei einem Stagione-Betrieb geht das nicht. Das ist natürlich auch für Touristen interessant.

DIE FURCHE: Plant man eine Jubiläumsspielzeit anders als eine übliche Saison? Hätte man nicht mit einer seiner Opern an den ersten Musikdirektor dieses Hauses, Alexander von Zemlinsky, erinnern können anstelle mit dem "Fliegenden Holländer" ein Werk auf den Spielplan zu setzen, das zum Repertoire der Staatsoper zählt?

Meyer: Wir eröffnen die Saison mit einem Jubiläumsfest am 1. September im Arne-Carlsson-Park mit Kinderprogramm und musikalischer Unterhaltung am Nachmittag. Am Abend gibt es ein prominent besetztes Open-Air-Konzert mit Ausschnitten aus Oper, Operette, Musical. Zemlinskys "König Kandaules" haben wir 2011 gezeigt, nicht nur wegen seiner Tätigkeit im Hause, sondern weil er ein ausgezeichneter Komponist ist. Ich bin überzeugt, dass bis 2022 noch ein Werk von ihm kommt. Der "Fliegende Holländer" wurde hier schon 1908 gespielt. Was ist nicht Repertoire der Staatsoper? Wir haben "Zauberflöte","Carmen","Tosca","La traviata" etc. Wenn wir nur spielen dürften, was nicht im Haus am Ring gespielt wird, täte ich mir schwer.

DIE FURCHE: Ein Opernhaus führen heißt auch, den Blick in die Zukunft richten. Welche Antworten haben Sie?

Meyer: Wenn Eltern gerne ins Theater gehen und ihre Kinder mitnehmen, haben sie von Haus aus einen stärkeren Bezug dazu. Kinder kommen auch mit der Schule. Ich gehe mit Vorliebe in Schulvorstellungen, bei denen Kinder oft vom Kindergarten bis zu siebzehn Jahren drinnen sitzen. Wenn man die Begeisterung sieht, diesen Applaus wie bei einem Konzert anno dazumal bei den Beatles, dieses Johlen, Schreien und Winken zu den Künstlern: Ich bin überzeugt, dass dieses Erlebnis "Theater" bleibt und sie auch wieder kommen. Deshalb haben wir die Abteilung für Musiktheatervermittlung ausgebaut, die mit einem vielfältigen Programm, Workshops und Schulprojekten jene Kinder erreichen wird, die familiär keinen Kontakt zu klassischer Musik und Oper haben.

DIE FURCHE: Auch die Volksoper blieb in ihrer Geschichte von antisemitischen Tendenzen nicht verschont. Wie kann man dem künftig entgegenwirken?

Meyer: Der erste Direktor, Adam Müller-Gutenbrunn, hatte die Auflage, dass er keine jüdischen Künstler anstellen oder Werke jüdischer Autoren spielen darf. Unfassbar. Und das war lange vor dem Nationalsozialismus. Rainer Simons hat das ganz gut umschifft, unter ihm gab es eine Reihe jüdischer Kollegen. Wir haben den 120. Geburtstag und das Gedenkjahr 2018 zum Anlass genommen, uns mit der Geschichte der Volksoper in der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Allein in der Operette gibt es viele jüdische Künstler, fast alle Librettisten waren Juden, auch etliche Komponisten. Marie-Theres Arnbom recherchiert in dem Buch "Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt. Aus der Volksoper vertrieben -Künstlerschicksale 1938" exemplarisch die Biografien von 20 Künstlerinnen und Künstlern, die dem Naziregime zum Opfer gefallen sind. Wie kann man dem entgegentreten? Mit Toleranz. Allein im Orchestergraben haben wir heute 96 Musikerinnen und Musikern aus 25 verschiedenen Nationen. Damit haben wir auch verschiedene Religionsangehörige -Schwierigkeiten gibt es nicht.

DIE FURCHE: Seit zwei Jahren bespielen Sie mit einer zeitgenössischen Produktion das Kasino am Schwarzenbergplatz. Ein Kompositionsauftrag war noch nie ein Thema?

Meyer: Ich schließe das nicht aus, aber ich weiß noch nicht, was Martin Kusej vorhat. Jetzt ist es eine Vereinbarung zwischen Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann und mir, die aus dem Burgtheaterskandal entstanden ist. Damals stand im Raum, dass das Kasino abgestoßen werden soll. Ich habe das Kasino als Probebühne und Spielstätte immer ganz toll gefunden und vorgeschlagen, dass Staatsoper, Burgtheater und Volksoper das Haus gemeinsam bespielen, nichtsahnend, dass die Staatsoper bereits das Theater in der Walfischgasse angemietet hatte. Wir brauchen das Kasino einen Monat, weil wir in der Volksoper proben, um dann zehn Vorstellungen im Kasino zu spielen. Am Schwarzenbergplatz kann ich ein Programm machen, mit dem ich die Volksoper nicht füllen könnte. "Limonen aus Sizilien" und "Marilyn Forever" haben in der kleineren Spielstätte sehr gut funktioniert, nächste Saison machen wir "Powder Her Face" von Thomas Adès. Sollte es nicht weitergehen, werde ich sicher eine andere Spielstätte finden.

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