Juden gegeneinander ausgespielt

Werbung
Werbung
Werbung

Helga Embacher, Historikerin an der Universität Salzburg, hat im Auftrag der Historikerkommission, die Rückstellung von "arisiertem" Vermögen in Österreich untersucht. Embachers Projekt behandelt die "Arisierung" und Rückstellung des Besitzes der Israelitischen Kultusgemeinde: Kein Ruhmesblatt für Österreich, keine Ehre für Wien.

Die Furche: Im Bericht der Historikerkommission heißt es: Das Hauptproblem bei der Rückstellung von "arisiertem" Eigentum sei Österreichs Weigerung gewesen, (Mit)-Verantwortung für die NS-Verbrechen zu übernehmen. Bestätigen Ihre Forschungen diesen Gesamteindruck?

Helga Embacher: Die Moskauer Deklaration, die Österreich als erstes Opfer Nazi-Deutschlands ausgewiesen hat, war zweifellos Sand im Getriebe der Rückstellungsverhandlungen. Österreich wollte aus außenpolitischen Überlegungen heraus die Opferthese keinesfalls in Frage stellen.

Die Furche: Haben die jüdischen Verhandlungspartner diese Sicht vom Nazi-Opfer Österreich geteilt?

Embacher: Die jüdischen Organisationen haben sich auf Grund der Opferthese wenig Chancen ausgerechnet. Das Jewish Claims Committee (JCC) hat daher ursprünglich die Forderungen für die österreichischen Juden in die Verhandlungen mit der BRD miteinbezogen. Deutschland hat jedoch die Opferthese in diesem Bereich nicht anerkannt und sich im September 1952 geweigert, Entschädigungen an österreichische Juden zu zahlen.

Die Furche: Mit welchen Konsequenzen?

Embacher: Nach dem für die jüdische Seite erfolgreichen Verhandlungsabschluss mit Deutschland ist das JCC 1952 an Österreich herangetreten. Die Republik hat aber offizielle Verhandlungen abgelehnt und war nur zu "Gesprächen" bereit. Österreich hat zu dieser Zeit ja noch keinen Staatsvertrag gehabt und wollte auch aus diesem Grund die Opferthese nicht gefährden. Als Opfer war Österreich zu keinen Globalzahlungen für das erblose Vermögen bereit, wollte allerdings gewisse Hilfsmaßnahmen für in Not geratene individuelle Opfer leisten.

Die Furche: Haben die Alliierten in dieser Sache keinen Druck auf die österreichische Regierung ausgeübt?

Embacher: Die westlichen Alliierten haben Österreich zur Aufnahme der Verhandlungen gezwungen, insgesamt aber zurückhaltend reagiert. Nur in gewissen Punkten haben die USA und Großbritannien Forderungen gestellt: Beispielsweise bei individuellen Entschädigungen, wie Pensionszahlungen an Vertriebene, die im Ausland lebten. Da war ein amerikanisches und britisches Interesse vorhanden, denn diese teilweise verarmten Menschen wären ihnen sonst selbst zur Last gefallen. Weniger Druck erfolgte bezüglich des erblosen Vermögens.

Die Furche: Wie hat sich Israel in diesen Fragen engagiert?

Embacher: Israel hat als Staat 1952 auf Entschädigungszahlungen verzichtet. Hinter dieser Entscheidung standen auch realpolitische Interessen: Wien war eine wichtige diplomatische Drehscheibe, über die viele Juden aus dem Ostblock nach Israel gebracht wurden. Außerdem war es in dieser Zeit für Israel unmöglich, offizielle diplomatische Beziehungen mit Deutschland aufzunehmen.

Die Furche: Haben die "Gespräche" zwischen Österreich und dem JCC zu Rückstellungen geführt?

Embacher: Mit dem "Hilfsfonds", der mit 550 Millionen Schilling dotiert war, gab es 1956 den ersten größeren Erfolg. Damit erhielten im Ausland lebende bedürftige Opfer einen einmaligen Betrag ausbezahlt. Danach wurden bis 1961 noch weitere Maßnahmen gesetzt. Österreich hat es jedoch verstanden, die Uneinigkeit der jüdischen Organisationen auszunutzen. Als beispielsweise 1953 die Gespräche mit dem JCC festgefahren waren, haben österreichische Politiker eine kleine dubiose amerikanische Gruppe rund um einen getauften Juden offiziell zu Gesprächen eingeladen und protegiert. Österreich hat von Anfang an versucht, eine jüdische Gruppe gegen eine andere auszuspielen.

Die Furche: Welche Rolle hat latenter Antisemitismus bei der zögerlichen Haltung Österreichs gespielt?

Embacher: Ein Bewusstsein über die Ausmaße des Holocaust hat zu der Zeit weder in Amerika noch in Europa existiert. Antisemitismus hat auch eine Rolle gespielt: Gegen das Weltjudentum, gegen die reichen amerikanischen Juden wurde gewettert. Interessant ist, dass - aus ganz anderen Gründen zwar - auch die Israelitische Kultusgemeinde Wien Ressentiments gegen die reichen amerikanischen Juden gezeigt hat. Z. B. wenn es darum gegangen ist, ihre Interessen gegen die von amerikanischen Emigranten oder gegenüber großen jüdischen Organisationen durchzusetzen.

Die Furche: Was war der Grund für diese Uneinigkeit unter den Juden?

Embacher: Es gab Interessensgegensätze. Auch Vorwürfe wurden laut, die Gelder aus den deutschen Zahlungen kämen nicht den Opfern zugute. Ein Grund mag auch gewesen sein, dass die Kultusgemeinde Wien nach dem Krieg kommunistisch dominiert war. Das hat zu Problemen zwischen den amerikanischen und den Wiener Juden geführt.

Die Furche: Kommunistisch?

Embacher: Viele jüdische Heimkehrer waren im Exil bei kommunistischen Widerstandsgruppen gewesen. Andere waren von den Russen aus den KZs befreit worden.

Die Furche: Konnte die Israelitische Kultusgemeinde ihre Mitglieder bei den Rückstellungen unterstützen?

Embacher: Wenig effizient. Die vor 1938 sehr wohlhabende Kultusgemeinde war nach der Befreiung völlig verarmt. Hinzu kamen politisch wenig einflussreiche, überforderte Funktionäre.

Die Furche: Wie groß war die Kultusgemeinde noch bzw. wieder?

Embacher: 1938 hatte die Kultusgemeinde rund 170.000 Mitglieder. Nach 1945 waren es maximal 10.000. Ab 1946/47 kommen KZ-Überlebende und Vertriebene zurück. Sie sind zum Teil arbeitsunfähig, bekommen ihre Wohnungen nicht zurück. Die Kultusgemeinde musste in dieser Situation mit Sozialleistungen einspringen. Schon mit dieser Aufgabe war sie völlig überfordert, gleichzeitig musste sie aber noch um Rückstellungen kämpfen.

Die Furche: Was war neben persönlichem Besitz "arisiert" worden?

Embacher: Die Kultusgemeinde bzw. jüdische Vereine und Stiftungen haben vor 1938 neben den Synagogen und Tempeln ein Blindeninstitut besessen, ein Krankenhaus, ein Waisenhaus, Friedhöfe und zahlreiche andere Liegenschaften. Ein Teil dieser Liegenschaften ist, wie ich zeige, von der Stadt Wien "arisiert" worden. Von 1948 bis 1955 hat es mit der Stadt zähe Rückstellungsverhandlungen gegeben.

Die Furche: Hat die Stadt Wien von den "Arisierungen" profitiert?

Embacher: Bei den Rückstellungsverhandlungen hat die Stadt versucht, einen Teil der Liegenschaften so günstig wie möglich weiter zu behalten. Zum Teil waren die selben Magistratsbeamten, die die "Arisierungen" durchgeführt hatten, an den Vergleichsverhandlungen beteiligt. Die Kultusgemeinde musste Vergleichsangebote annehmen. So wurden Friedhofsgründe günstig erworben und später in Bauland umgewidmet.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Historikerin mit Faible für Israel

Die Historikerkommission der Republik Österreich wurde am 1. Oktober 1998 mit dem Mandat eingesetzt, "den gesamten Komplex Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit sowie Rückstellungen bzw. Entschädigungen (sowie wirtschaftliche oder soziale Leistungen) der Republik Österreich zu erforschen und darüber zu berichten". Nach gut vier Jahren Arbeit wurden Ende letzten Monats 14.000 Seiten Kommissionsberichte der Öffentlichkeit präsentiert. Rund 160 Wissenschaftler waren an diesem größten Geschichtsprojekt der Zweiten Republik beteiligt.

Die Salzburger Historikerin Helga Embacher war für den Bereich der "Restitutionsverhandlungen mit Österreich aus der Sicht jüdischer Organisationen und der Israelitischen Kultusgemeinde" zuständig. "Ich wollte einfach einmal gerne in Israel leben, weil ich das Land spannend finde", erklärt sie ihr Faible für jüdische Geschichte und den Nahen Osten. Embacher engagierte sich auch bei der Organisation der Wehrmachtsausstellung in Salzburg. Ihre Publikationen kreisen um die Themen: Juden in Österreich nach 1945 und die Beziehungen zwischen Österreich und Israel im Schatten der Vergangenheit. Der Schlussbericht der Historikerkommission sowie die einzelnen Teilberichte sind im Internet abrufbar unter: http://www.historikerkommission.gv.at.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung