Judentum nicht im Christentum auflösen

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Kritische Fragen an Joseph Ratzingers Verständnis des Judentums. Zum dritten Band der "Jesus“-Trilogie des Papstes über die Kindheitsgeschichten.

Das neue Buch des Papstes über Jesus von Nazareth, der dritte und abschließende Band seiner Jesus-Trilogie, enthält eine Kernpassage, die eine Verdichtung der Interpretationsverfahren und -absichten sowie des Ziels dieses Bandes enthält: die Begegnung des Engels Gabriel mit der demütigen Magd des Herrn in ihrer Kammer. Der Papst bezieht sich dabei auf den Engelsgruß:

Am Gruß des Engels fällt auf, dass er Maria nicht mit dem üblichen hebräischen Grußwort schalom - Friede sei mit dir - begrüßt, sondern mit der griechischen Grußformel chaire, die man ruhig mit ‚Gegrüßt seist du‘ übersetzen darf, wie es in dem Mariengebet der Kirche geschieht, das aus Worten der Verkündigungsgeschichte zusammengesetzt ist. (37 f).

Ist das Judentum gescheitert?

Wenigstens zwei Punkte ergeben sich daraus: Zum Ersten ist die jüdische Überlieferung überboten und nach Jesus irrelevant geworden, sofern sie sich nicht in Christus vollendet. Diese Position ist nicht neu, sondern gehört zum Kern der geschichtstheologischen Überzeugung des Papstes und stimmt mit den beiden vorausgehenden Jesus-Bänden überein. Sie wird mehrfach verdeutlicht: Man liest von wartenden und herrenlosen Worten des Alten Testaments (28-30; 40), besonders von Worten in Bezug auf Sohnesaussagen oder Jungfräulichkeit. Massiver jedoch trifft das auf das Zentrum der Tora zu, auf den Sinai und den unnennbaren Gottesnamen. Dezidiert heißt es in Bezug auf den Namen Jesu - "Gott rettet“: Der gleichsam unvollständig gebliebene Name vom Sinai wird zu Ende gesprochen … Die im brennenden Dornbusch begonnene Namensoffenbarung Gottes wird in Jesus vollendet. (41). Auch stellt der Papst fest, dass der Exodus Israels mit Mose in vielerlei Hinsicht gescheitert (119) war. Ich frage mich: Bleibt für Pessach und seine Feier heute noch mehr als die traurige Reminiszenz an dieses Scheitern, das zugleich ein Scheitern des fortbestehenden Judentums in Bezug auf seine ihm notwendige, aber eben doch nicht vollzogene Anerkennung des endgültigen Exodus durch Christus ist?

Damit verdeutlicht Joseph Rat- zinger seine Haltung: Seine Schelten gegen Christologien, die für ihn, wenn auch nur von fern an Nestorios oder Arius erinnernd, illegitim sind, wohl indem sie die Menschheit und das Judesein Jesu betonen, passen zu seinem Dokument "Dominus Iesus“, das das himmlische Wesen Christi bedachte und das faktische Judesein nicht nannte, und zu der vom Papst neu formulierten Karfreitagsfürbitte für den vorkonziliaren Messritus, die darum bittet, dass die Juden Jesus Christus als Erlöser aller Menschen erkennen.

Griechisch vor Hebräisch?

Zum Zweiten kommt es auch in diesem Band zu sprachlichen Entscheidungen. Der christlich verbindliche Grundgedanke der Universalisierung seiner Grundbotschaft des rettenden Gottes führt zu einer Übersetzung der wesentlichen Gehalte aus dem Hebrä- ischen ins Griechische, der Bildungssprache damaliger Zeit. Nicht nur redet der Engel die Magd Maria griechisch an, sondern auch Jesus, der Sohn Gottes, wird direkt griechisch gelesen, auch wenn der biblische Grundton einschließlich den Evangelien das so unmittelbar nicht hergibt.

Dem Papst geht es um die strikte Kontinuität zwischen dem Zeugnis der Evangelien und dem Dogma (40 f; 135), die bei ihm Identität ist. Erst so versteht sich der Auftakt dieses Bandes: Die Ankläger hatten ihren Ruf nach dem Todesurteil für Jesus dramatisiert, indem sie erklärten, dieser Jesus habe sich zum Sohn Gottes gemacht - ein Verbrechen, auf das im Gesetz die Todesstrafe stand. (13). Biblisch gesehen, liegt hier kein Tötungsdelikt angesichts der Tora vor. Jeder biblisch Betende war und ist Sohn Gottes (Ps 2,7).

Der Papst sieht die sinkende Kraft des Christentums. Da ist es wichtig, sich auf den Grund des Christentums zu besinnen. Doch sollte man nicht auf Israel vergessen, indem man es auflöst in die christliche Heilsgeschichte. Denn diese war besonders für jüdische Menschen zu vielen Zeit das Gegenteil von Heilsgeschichte. Daran hatten auch zentrale christliche Lehrgehalte Anteil. Und da heute Nachdenken über Christus nach der furchtbarsten jüdischen Katastrophe, der Schoa, vonstattengehen muss, braucht es eben auch ein Christusdenken vom Anfang her, das Christus in Israel findet und in seinem Glauben an den Gott des ewigen Bundes, der der Gott Israels ist.

* Der Autor ist Prof. für Fundamentaltheologie an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien

Jesus von Nazareth, Bd. 3

Prolog - Kindheitsgeschichten. Von Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI.

Herder 2012.

176 Seiten, geb.

* 20,60

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